Glamour, Gloss und die totale Orgie

Entertainment ist ein Placebo, findet Pınar Karabulut und inszeniert den Weltuntergang als schrille Party. Von Simone Sterr.

Nein. Wir sprechen nicht über ihre extravaganten Schuhe, ihren sexy Nagellack, ihren knalligen Lippenstift. Schon gar nicht über Körpergröße, einnehmendes Lachen, energische Gesten und volles Haar. Auch wenn man das bei jungen, erfolgreichen Frauen, die einen Platz im oberen Teil der Hierarchie des Stadttheaters einnehmen, nur allzu gerne tut. Warum eigentlich? Lassen wir's doch einfach. Sprechen wir über die Theaterfrau Pınar Karabulut und über ihre erste Arbeit für das Theater Bremen: die Uraufführung Attentat oder frische Blumen für Carl Ludwig von Mehdi Moradpour.

Jugendclub in Mönchen-Gladbach, Magisterstudium der Theaterwissenschaft und Literatur in München, parallel dazu Assistenzen an den Kammerspielen München, Beendigung des Studiums, feste Assistentin am Schauspiel Köln, Vorglühen auf einer kleinen eigenen Spielstätte, dann die große Bühne erobern, um als freischaffende Regisseurin durchzustarten.

Warum nochmal raus aus dem Theater?

Ein klassischer Weg. Viele ihrer Generation sind den gar nicht mehr gegangen, sondern haben ein Regiestudium absolviert. „Ich wusste ja gar nicht, dass es sowas wie ein Regiestudium gibt. Das habe ich erst in München entdeckt und hätte das schon auch gerne gemacht. Aber ich war ja schon Assistentin, konnte gleichzeitig studieren, hatte die Theorie bei diesen tollen Leuten an der Uni und die Praxis an einem renommierten Haus. Warum noch mal raus aus dem Theater?“

Sie blieb drin. Und kam groß raus. Schauspielhaus Köln, Staatschauspiel Dresden, Volkstheater Wien, Maxim Gorki Theater Berlin, Volksbühne Berlin. Der Markt stürzt sich auf sie und spart nicht mit vollmundigem Labeling: Shooting Star der Generation der Fernsehkinder der 90er Jahre, die jetzt Regie führen, Vertreterin des Lipstick-Feminismus, genderbewusst, schnelldenkerisch, demokratiegeschult, migrantisch ...

„Diese Sehnsucht etwas in Kategorien festzuhalten zu wollen ist schon sehr lustig. Es stimmt alles und nix. 90er, klar. Fernsehen, klar. Lipstick, klar. Aber vergiss es. Alles Quatsch“.

Ernst ist es ihr mit der Veränderung des Theaterbetriebes und seinen Leitungsstrukturen. Mehr Diversität, weniger Machtkonzentration, mehr Frauen. Andrea Breth, eine der ersten Frauen unter den durchweg männlichen Regiezampanos ging nicht ohne ihren Schäferhund ins Schauspielhaus Bochum. Das war 1986. Was für Strategien hat die 1987 geborene Pınar Karabulut? „Am Anfang habe ich zu Terminen mit Intendanten oder mit der Technik immer Hosen getragen. Aber dann hatte ich keinen Bock mehr, mich zu verbiegen, nur weil die ihre Eier nicht in den Griff kriegen.“ Sie hat keine Lust, ihre Weiblichkeit zu verstecken, geht stattdessen lieber auf direkte Konfrontation, spricht sofort an, wenn es Vorfälle in Richtung Sexismus, Diskriminierung, Alltagsrassismus gibt. Es geht darum, wach zu sein, was zu sehen, es anzugehen und zu verändern. Am Theater als Arbeitsplatz und auf der Bühne. Da inszeniert sie unabhängige, starke Menschen, läßt Spieler*innen ihre Figuren behaupten und erlaubt ihnen das lustvolle Hin- und Herspringen zwischen Trash und Text, zwischen alberner Verspieltheit und berührender Ernsthaftigkeit, zwischen Entäußerung und innerem Gefühl.

„Mal so mal so. Ich habe klassische Phasen und dann mache ich drei Uraufführungen hintereinander.“

Viele zeitgenössische Stücke hat Pınar Karabulut bereits inszeniert, sich mit Ibrahim Amir, Dirck Laucke, Jonas Hassan Khemiri auseinandergesetzt und zuletzt mit Katja Brunners schriller Show rund um den weiblichen Körper „Die Hand ist ein einsamer Jäger“ an der Berliner Volksbühne. Und jetzt eben Mehdi Moradpours neuestes Stück, mit dem sie innerhalb einer szenischen Lesung am Maxim Gorki bereits Erfahrungen gemacht hat und das sie nun in Bremen zur Uraufführung bringt. Neue Dramatik, neue Texte. Ein Schwerpunkt? „Mal so mal so. Ich habe klassische Phasen und dann mache ich drei Uraufführungen hintereinander. Gerade in der Begegnung mit Mehdi ist es sehr wichtig, dass ich einen künstlerischen Prozess gehe mit einem Menschen, den es gibt, den ich fragen, mit dem ich mich austauschen kann, dessen Stück ich durch die Begegnung mit ihm begreifen kann. Kann ich, wenn ich demnächst Schiller mache nicht. Warum diese Sprache, was ist da los, was soll das? Aber auf ‚Uraufführungsregisseurin‘ möchte ich auf keinen Fall reduziert werden.“

Placebo: Entertainment

Mehdi Moradpours Text ist ein großer Resonanzraum und ein weiter Bogen: von einem Vulkanausbruch 1815 bis zum vollzogenen Klimawandel 2067, von den national liberalen Bewegungen zu Beginn des 19. Jahrhundert zum Rechtsaußen-Denken von heute. Es geht um politische Gewalt, erzählt in einer Endzeitstimmung, einem hysterischen Tanz auf dem Vulkan. Und den inszeniert Pınar Karabulut als glamouröse Gala zum Weltuntergang, als großen Knall. „Der Regenwald brennt seit Wochen, Gletscher werden beerdigt, es lodert überall, wir sind gerade sehr nah dran am Stück, die Dystopie ist ganz real“.

Auf den Proben herrscht dabei eine sehr fröhliche, ausgelassene Stimmung, dominieren schriller Humor, große Freiheit, anarchisches Spiel und der schnelle Wechsel zwischen Spaß und Bitterkeit. Das passt zu Mehdi Moradpours Konglomerat aus Assoziationen, Fakten, politischen Analysen und Visionen. Immer wieder hakt sie ein, verlangt inhaltliche Auseinandersetzung, Tiefe, Ernst. Um was geht´s? Was wird hier verhandelt? Das Entertainment soll nur ein Placebo sein. „Die Zukunft, die Mehdi entworfen hat, ist ganz nah. Wir können durch die Welt gehen, unser naiv-believe-system einschalten und es uns gut gehen lassen oder aber die Augen aufmachen, den Fehler im Suchbild finden.“