„Aber etwas fehlt“ – Vom Verschwinden des dritten Orts

Dramaturg*in Jordan Luke Tanner anlässlich der Jungen Akteur:innen-Premiere Einsamkeiten über Begegnung und Mit-Sich-Allein-Sein.

Früher als Teenager war ich Dauergast in meiner lokalen Stadtbibliothek. Die Bibliothekar:innen kannten mich beim Namen und wussten oft genau welche Bücher ich gerade ausgeliehen hatte. Ich traf dort häufig gleichgesinnte Jugendliche, die ebenfalls nach der Schule vorbeikamen um Bücher zu lesen, aber auch um sich mit anderen über das Gelesene auszutauschen und Empfehlungen für neuen Lesestoff zu bekommen. Nach einem Umzug in eine neue Stadt und eine neue Schule konnte ich in der Schulbibliothek, die ich stattdessen besuchte, ebenfalls schnell Freund:innen finden und auch hier kannte mich die Bibliothekarin bald mit Namen. Ich musste meine Karte quasi gar nicht mehr vorzeigen, ich durfte Bücher ausleihen, die sie eigentlich erst für ältere Kinder rausgaben, weil sie ja wusste, wie viel ich lese.

Cafés, Bars, Nachmittagstreffs, Freizeitzentren, kleine Läden, Parks, Sportplätze und eben Bibliotheken, das alles sind Orte, an denen man Menschen treffen oder kennenlernen kann. 

Abseits von der eigenen Familie und dem Arbeitsleben. Der amerikanische Soziologe Ray Oldenburg beschrieb und benannte diese Orte in seinem 1889 erschienenen Buch The Great Good Place und prägte darin den Begriff dritter Ort oder auch great good place für diese Lokalitäten. Orte, an denen Menschen Zeit verbringen, sich mit Freund:innen treffen können, aber auch auf neue Menschen treffen. Diese Orte sollten allen Menschen unabhängig ihrer finanziellen Mittel offenstehen und dadurch eine Beteiligung aller ermöglichen, doch genau hier findet sich das Problem: Die dritten Orte verschwinden immer mehr aus unseren Städten. Durch finanzielle Kürzungen sowie stark gesunkene Einnahmen in der Pandemie mussten viele Einrichtungen schließen. Besonders viele kleine Cafés und Bars, die sich an eine bestimmte Subkultur, wie etwa queere Menschen richten, mussten zumachen.

Durch die Digitalisierung von Shopping, was natürlich auch viele Vorteile mit sich bringt, sind unsere Innenstädte zunehmend leerer geworden.

Dadurch gibt es immer mehr Leerstände, was die Innenstädte immer unattraktiver für einen Ausflug macht und noch weniger Menschen anzieht. Auch das Interesse an Orten wie Bibliotheken als Begegnungsstätten ist stark zurückgegangen. Habe ich früher als Teenager viel Zeit in Bibliotheken verbracht, ist das heutzutage lange nicht mehr angesagt (und auch vor 15 Jahren war ich damit sicherlich kein cooler Teenager). Bei vielen dritten Orten ist es aber keine einfache Trendsache, sondern eine Folge unserer Politik. Fördermittel waren schon immer knapp für kleine Lokale und nicht-kapitalistische Begegnungsstätten, aber viele weitere Kürzungen, die Inflation und damit gestiegene Kosten sowie weniger Geld für Freizeitausgaben führen uns in die jetzige Situation: Viele Menschen fühlen sich einsamer als je zuvor. Immer mehr Menschen arbeiten im Homeoffice und treffen dadurch selbst im Berufsleben nur noch wenige Menschen tatsächlich vor Ort, sodass selbst der sogenannte zweite Ort weniger soziale, nicht-digitale Begegnungen bietet.

Einsamkeit wird oft als ein individuelles Problem dargestellt.

Wer einsam ist, soll „einfach mehr unter die Leute gehen“. Aber wo? Wo soll man hin, mit wenig Geld und wenig eigenen Kontakten? Für viele Leute ist das nicht klar, die dritten Orte, die es noch gibt, sind oft Geheimtipps, die man alleine nicht mehr entdeckt, da es längst nicht mehr so viele gibt, dass man einfach über sie stolpert in der eigenen Nachbarschaft. Einsamkeit ist auch ein Produkt unserer Leistungsgesellschaft. Mit immer weiter steigenden Anforderungen an uns als Individuen und immer mehr Methoden der Selbstoptimierung bleibt nur wenig Zeit für etwas, das vielleicht als unproduktiv gesehen werden könnte. Social Media zeigt uns Methoden um besser auszusehen, bessere Leistung im Sport zu bringen, einem gesellschaftlichen Ideal von dem wunderschönen, hyperproduktiven Wesen zu entsprechen, das nie Probleme hat oder nie mit sich alleine sein muss.

Wann soll da Zeit sein für ein paar Stunden um in die lokale Bibliothek zu gehen, ohne ein konkretes Ziel zu haben, in den Park zu gehen, einfach um dort Zeit zu verbringen?

Aber noch sind sie nicht alle weg, die dritten Orte. Es gibt sie, die Stadtbibliotheken und Parks. Auch die Spieleläden und Cafés, wo man einfach Zeit verbringen und Begegnungen mit anderen Menschen haben kann. Nähtreffs und Reparaturcafés, die oft auf ehrenamtlicher Basis gestemmt werden, laden Menschen zu Begegnungen ein. Wir müssen uns nur bewusst machen, wie signifikant diese Orte sind, um gegen die zunehmende Vereinsamung in unserer Gesellschaft anzugehen. Ich appelliere also: Ladet euch gegenseitig ein, stellt Bekannten eure liebsten Orte und Treffs vor oder geht auch selbst einfach mal alleine los an einen solchen, euch vielleicht noch unbekannten Ort. Vielleicht treffen wir uns ja demnächst mal in der Bremer Stadtbibliothek?

 

 

Veröffentlicht am 10. Januar 2025