acting is re-acting #2: Ein warmer Händedruck, ein inszenierter Fluch
Unsere Regieassistentin Nora Strömer hat Ihnen einen Brief geschrieben …
Liebe Leser*innen des Theater Bremen Online-Mags, liebe Zuschauende und Freund*innen (to be),
ich habe die Möglichkeit, mit diesem Text meine Reihe „acting is re-acting“ vorzustellen und freue mich sehr darüber. „Darüber“ bedeutet hier: Ich freue mich, die Reihe am Theater Bremen umsetzen zu können und ich freue mich, die Plattform zu bekommen, sie hier (im Online-Mag) schriftlich zu rahmen. Ich möchte versuchen, den Text möglichst einladend zu gestalten, denn als Publikum seid ihr ein wesentlicher Bestandteil des Formats. In dem Verhältnis, das zwischen meinem und euren Körpern in den Aufführungen entstehen wird, liegt so schon eine These von „acting is re-acting“: Wir werden aufeinander reagieren – ihr auf mich, indem ihr zum Beispiel meiner Einladung folgt und an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Zeit an einen bestimmten Ort ins Theater kommt und ich auf euch, indem ich zum Beispiel bestimmte Bereiche des von mir vorbereiteten Raums umgehe, weil sie von euren Körpern besetzt sein werden. Am Ende der Aufführung verlasse ich und auch ihr das Theater, ohne genau sagen zu können, ob unser jeweiliges Verhalten im Rahmen der von uns geteilten Zeit aus uns selbst heraus entstanden ist oder ob es ein Effekt der anderen Körper im Raum war. „acting is re-acting“, also „agieren ist re-agieren“ könnte so eine Dynamik der Verhältnismäßigkeit innerhalb eines Systems aus Aktion und Re-Aktion beschreiben: Ich stelle einen Beamer auf und ihr achtet (vielleicht) darauf, euch nicht in den Weg der Projektion zu stellen.
Ich setze „acting is re-acting“ angebunden an meinen Job als Regieassistentin um, den ich im September 2019 begonnen habe. Bevor ich nach Bremen gekommen bin, habe ich fünf Jahre lang in Hildesheim „Szenische Künste“ studiert – ein Studiengang, der auf kollektive Arbeitsprozesse und die Entwicklung solcher Theaterformen ausgelegt ist, die man vielleicht als „alternativ“ oder „neu“ beschreiben könnte, wenn man wollte. Mit meinem Umzug nach Bremen sind für mich zwei Fragestellungen präsent geworden: Zum einen – in der Konfrontation mit dem für mich ungewohnten Stadttheaterbetrieb – die Frage danach, inwiefern der Begriff „Theater“ historisch gewachsene Vorstellungen davon, was Theater denn nun sei und was es nicht sei, impliziert und so die eigene Form erst hervorbringt. Warum zum Beispiel scheint eine „Vernissage“ kein „Theater“ zu sein? Zum anderen – durch den Abschluss meines Studiums und die Annahme eines festen Jobs – die Frage danach, inwiefern die Vorstellung eines beruflichen „Fortschritts“ (im Kulturbetrieb) ein Zurücklassen bereits erarbeiteter Strukturen, Vertrauensverhältnisse und Kenntnisse bedeutet. Warum zum Beispiel scheine ich meine Freund*innen zurücklassen zu müssen, um selbst voranzukommen? Beiden Fragestellungen übergeordnet ist für mich die Perspektive einer aktiven Umwelt, in der „agieren“ zum „re-agieren“ wird: Inwiefern schafft eine Struktur Möglichkeitsräume für die in ihr Agierenden und wird so zur Co-Autorin von Effekten, Oberflächen und Ereignissen?
Was aber heißt das für das Format? Ich entwickele „acting is re-acting“ parallel zu meiner Arbeit als Regieassistentin. Die Performances sind so sowohl zeitlich als auch inhaltlich an die Ereignisse, Ästhetiken und Strukturen im Theater und auf den Proben angebunden. Ich produziere sie mit einem geringen Material-, Proben- und Personenaufwand und in Räumen, die keine expliziten Bühnenräume sind. Hinter dieser Entscheidung steht zum einen die konzeptuelle Frage danach, ob und wie der institutionelle Rahmen eines Stadttheaters innerhalb von Aufführungen zum Material werden kann. Zum anderen möchte ich nach Wegen suchen, Theater zu machen, die sich von den zeitlichen, räumlichen und ästhetischen Grenzziehungen dessen, was Theater vermeintlich bedeutet, emanzipieren: Wie kann ich zum Beispiel Theater in kurzer Zeit produzieren, was kann ich zu Hause vom Laptop aus vorarbeiten, wo kann ich auf bereits Produziertes aus einem (popkulturellen) Repertoire zurückgreifen und: Wie sieht ein so produziertes „Theater“ dann aus? Im Hinblick auf den eingangs formulierten Wunsch der Einladung an euch und ausblickend auf das, was „acting is re-acting“ sein könnte, hier (abschließend) einige Beispiele: Ein lauter Song im Sitzungszimmer; Nebel überm Backsteinpflaster des St.-Pauli-Platzes; ein warmer Händedruck; ein inszenierter Fluch, der das Theater heimsucht; ein Diavortrag über eine Gastspielreise nach Paris; eine Theater-Bremen-Fashionshow; der Blick auf eine leere Bühne.
Ich freue mich sehr, wenn ihr Lust habt, zu meinen Aufführungen zu kommen und euch im Anschluss mit mir zu unterhalten (s. Aktion-Reaktion).
Liebe Grüße und bis bald,
Nora