After Tomorrow: Ein Rückblick. Was gestern war, wird morgen wieder sein. Aber anders

Schauspieldramaturgin Theresa Schlesinger über den Abschluss einer Reihe mit Zukunftsperspektive: letzte Gelegenheit am 9. Juli auf dem Goetheplatz ….

Heute ist ein Tag im Juli 2022. „Heute“ ist fast vorbei. Heute passieren weltweit so viele Dinge, die ich als Einzelperson hier an meinem Schreibtisch sitzend fast nicht fassen kann. Heute verzweifle ich daran. Und morgen? Morgen ist ein neuer Tag. Morgen geht es weiter. Morgen ist greifbar. Morgen trägt eine Hoffnung in sich auf Besserung, auf eine neue Chance. Morgen ist der Tag, an dem ich mir vornehme etwas anders zu machen. Aber was kommt danach? Wie lässt sich das Übermorgen denken, was hinter dem auf uns wartet, was planbar, vorhersehbar, greifbar ist? Ein Übermorgen, was vielleicht sogar ohne mich stattfindet, weil es nicht nur der Tag nach dem Morgen ist, sondern einer in noch viel weiterer Zukunft? Ein Übermorgen, was aufbaut auf dem was morgen und auf dem was heute ist, kann Dystopie sein, kann Ende heißen oder Apokalypse, weil es so undenkbar ist, dass nach uns tatsächlich noch etwas kommt, was nicht Ende ist. Übermorgen kann aber auch utopisch gedacht werden, ganz anders, neu und besser als das, was Heute ist. Das Übermorgen trägt ein zukünftiges Potenzial in sich, was es uns erlaubt über uns hinaus zu denken.

Dieses Potenzial ist „After Tomorrow“.

Mit After Tomorrow startete im Januar 2020 eine Reihe an Thementagen, die Türen öffnen sollte. Türen zum Theater – ganz praktisch und real – weil sie so oft verschlossen sind oder sich nur für bestimmte Personen öffnen lassen. Türen in unseren Köpfen, die manchmal etwas hinter sich verbergen, Gedanken oder Perspektiven, die ausgeschlossen werden, weil sie unbequem sind oder weil wir gelernt haben, sie verschlossen zu halten. Und Türen zu einer Zukunft, die nachhaltig, divers und feministisch ist.

Wie sieht die Zukunft aus? Und wie können wir aktiv mit gestalten, was da vor uns liegt, statt es einfach über uns ergehen zu lassen?

Im Januar 2020 trafen sich erstmals fünf Menschen in der Hörbar im Foyer des Kleinen Hauses um den Film Storytelling for Earthly Survival von Fabrizio Terranova über die Biologin und Wissenschafts-Historikern Donna Haraway gemeinsam anzusehen und anschließend darüber zu sprechen. Ausgehend von der Produktion The End. Eine Replikantenoper wollten wir dazu einladen dieses filmische Porträt anzusehen, worin die Frau vorgestellt wird, die mit ihrem Cyborg Manifesto im Jahr 1985 den Grundstein legte für ein Denken, in dem die Grenzen zwischen „Mensch“, „Tier“ und „Maschine“ aufgehoben werden. Sie ruft in ihren Texten immer wieder dazu auf ein mehr-als-menschliches Denken zu etablieren, Geschichten anders zu erzählen, zu hinterfragen worauf unsere vorherrschenden Narrative aufbauen und die Fäden neu zu verknüpfen:

„Thinking is what we are about and some of the best thinking is done as story telling.“

Diese Begegnung sollte der Grundstein sein für eine Diskursreihe. Acht weitere Ausgaben folgten noch: Gemeinsam haben wir nachgedacht über Allianzen und Solidarität, Klassismus, Artensterben, Feminismus und über ihre Relevanz für die Zukunft des Theaters – und die Zukunft generell.

Wir haben mit Julian Warner und Monika Gintersdorfer über Allianzen nachgedacht und mit Franck Edmond Yao einen Crash Kurs in Coupé Decalé gemacht. Wir haben mit der Autorin Mithu Sanyal über intersektionalen Feminismus, ihr Buch Vergewaltigung und die Verbindung zur Produktion Wüst von Enis Maci gesprochen. Wir haben einen Tag lang den Instagram-Account des Theater Bremen von erklärmirmal bespielen lassen, die die Plattform nutzten, um über intersektionalen Feminismus zu informieren. Wir haben vom Ehrenfrauenkollektiv eine Playlist erstellt bekommen und mit Arpana Aischa Berndt und Maja Bogojevic einen digitalen Workshop zu „How to be an Ally?“ gemacht. Wir durften Frances Seeck und Bahareh Sharifi dabei zuhören, wie sie über Klassismus sprechen – was das ist, wie man dagegen vorgehen kann – und bekamen Artikel zu lesen von der Klimaaktivistin Yi Yi Prue über die Auswirkungen des Klimawandels in Südasien, von Arpana Aischa Berndt über das Weiße Schweigen, von Dr. Ferdaouss Adda darüber, wer einen Platz am Tisch hat, wer nicht und warum das so ist und von Dr. Margrit E. Kaufmann über Solidarität in der Diversität.

Wir haben in einen Aufruf gestartet gemeinsam über das Theater im Jahr 2041 nachzudenken und haben viele verschiedene Zukunftsentwürfe zurückbekommen.

Diese Entwürfe haben wir mit Hilfe von verschiedenen Ensemblemitgliedern und des Soundkünstlers Jonas Wiese vertont und daraus eine Soundinstallation gemacht. Wir haben uns Input geholt von der Autorin und Künstlerin Antigone Akgün, der Bremer Klimaaktivistin Friederike Oberheim und Helene von Schwichow, Co-Gründerin des MOTIF Institute for Digital Culture und Initatiorin der digitalen Plattform Feminist Futures. Wir haben immer wieder eingeladen und uns ausgetauscht, zusammen gebastelt und gespielt, einander zugehört, herum gesponnen und diskutiert, um den Faden nicht abreißen zu lassen.

Was können wir dem Heute entgegen setzen?

Wir können uns zusammenschließen. Wir können uns austauschen. Wir können uns solidarisieren. Wir können andere Stimmen hörbar machen. Wir können unsere Plattform nutzen. Sie teilen. Sie hergeben. Wir können laut sein. Und unruhig. Wir können uns selbst hinterfragen, unsere Positionen und Narrative. Wir können diese Narrative verändern, nach und nach, und damit neue Pfade einschlagen. Wir können in Dialog treten. Wir müssen es nur probieren.

Mit der Ausgabe am 9. Juli endet die Reihe After Tomorrow, aber das Übermorgen bleibt. Und unsere Unruhe auch.

 

 

Veröffentlichung: 6.7.22