Auch Täterarbeit ist Opferschutz
Christian Spoden ist Tätertherapeut und Leiter der Fachstelle für Gewaltprävention Niedersachsen, Bremen und Bremerhaven. Dramaturg Stefan Bläske sprach zum Orange Day mit ihm über Gewalt, Verantwortung und „männliche Sozialisation“.
Stefan Bläske: Ihr unterstützt Menschen, die nicht (mehr) gewalttätig werden wollen. Wie?
Christian Spoden: Die Fachstelle für Gewaltprävention ist spezialisiert auf die Problembereiche „Partnerschaftsgewalt“ und Formen sexualisierter Gewalt. Menschen, die sich in dieser Hinsicht grenzverletzend oder strafwürdig verhalten, bieten wir Beratung und Therapie an. Dabei lernen sie, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen, die Ursachen zu ergründen und ihre Einstellungen und ihr Verhalten zu ändern.
Wie wichtig ist, dass Menschen aus eigener Einsicht heraus zu euch kommen?
Überraschung: Überhaupt nicht! Problemeinsicht ist nicht das Eintrittsticket, sondern eines der Ziele der Behandlung. Die allermeisten Klienten kommen auf Druck, zwangsweise oder mit gerichtlichen Auflagen. Im Verlauf unserer Behandlung wird dann aus der extrinsischen eine intrinsische Motivation.
Männer dominieren den öffentlichen Raum ja viel zu sehr, aber auch und gerade zum Orange Day muss es um sie gehen: über Gewalt reden heißt über Männer reden?
Es lohnt sich, darüber zu sprechen, um den Zusammenhang zwischen traditioneller männlicher Sozialisation und aggressiv-gewalttätigen Verhalten zu verstehen. Frauen sind nicht per se das friedfertige Geschlecht. So sind z.B. 40 Prozent aller Täter:innen häuslicher Gewalt weiblich. Aber etwa 95 Prozent aller Sexualstraftaten werden von männlichen Jugendlichen und Erwachsenen verübt. Und wer haut sich im öffentlichen Raum gegenseitig die Schnauze ein, auf Demos oder bei Werder-Spielen oder auf den Schlachtfeldern der Welt? Gewaltverhalten – nicht zu verwechseln mit Aggression! – ist immer verknüpft mit Dominanz und Macht, und die sind in unserer Gesellschaft halt ungleich verteilt. Vorschlag: nicht über Männer reden, sondern mit ihnen – genau darüber.
Wie kommst du auf 40 Prozent weibliche Täterschaft? In anderen Statistiken ist die Zahl geringer, laut aktueller BKA-Studie sind in 70,5 Prozent der Fälle häuslicher Gewalt Frauen und Mädchen betroffen.
Die von den Bundesministerien präsentierten Zahlen beziehen sich alle auf die Polizeikriminal-Statistik, d.h. es werden nur angezeigte Straftaten zu Grunde gelegt. Aber Männer, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, haben ein großes (und größeres) Hemmnis, damit zur Polizei zu gehen. Dass in patriarchalen Gesellschaften – in Fortführung eines veralteten Geschlechtsrollenstereotyps – Jungen und Männer nicht als Opfer wahrgenommen werden, erschwert es Männern in besonderem Maße, mit dem Label „von Partnerin misshandelt“ zur Polizei zu gehen. Sogar in jüngeren repräsentativen Befragungen zeigt sich, dass Männer erst bei Nachfragen eine Victimisierung angeben (vgl. KFN-Studie). Wir haben es also mit dem Problem des under-reporting zu tun. Aussagekräftiger sind repräsentative Studien, die Dunkelfeldforschung.
Ich kann diese 40 Prozent weiblicher Täterschaft nur schwer mit meinem Menschenbild vereinen. Auch gibt es ganz verschiedene Formen und Qualitäten häuslicher Gewalt …
Es steht außer Frage, dass sich Männergewalt gegen Frauen in Partnerschaften qualitativ von Frauengewalt gegen Männer unterscheidet, dass es kein geschlechtsspezifisches Pendant zu Femiziden gibt, das sexualisierte Gewalt eine Männerdomäne ist und Misogony weiter verbreitet als struktureller Männerhass. Aber der Hinweis auf den Mythos der „friedfertigen Frau“, den die feministische Psychoanalytikerin Magarete Mitscherlich schon 1987 aufgriff, und das Beispiel, dass eben auch Frauen zu einem signifikanten Teil Täterinnen partnerschaftlicher Gewalt sind, muss und darf seinen Platz haben. Im „Kampf“ gegen gender-based violence ist es kontraproduktiv, nicht über weibliche Täterschaft und männliche Opfer zu reden. Das ausschließliche Skandalisieren von Männergewalt, dass ständige Männer-bashing und Kampfbegriffe wie „toxische Männlichkeit“ führen in die Sackgasse, wie alles Hantieren mit Feindbildern. So gewinnt man keine gewalt-abgeneigten Männer als Verbündete. Die aber braucht mann/frau, damit sich endlich etwas bewegt.
Als Ziele eurer Arbeit formuliert ihr neben Rückfallvermeidung auch „Verantwortungsübernahme“.
Das heißt: vollständig einzuräumen und dazu stehen, was man gemacht hat. Zweiter Schritt: Begreifen, was man angerichtet hat, also Opferempathie. Dritter Schritt: Verantwortung auch für die Folgen übernehmen und Wiedergutmachung leisten. Täter haben die Bringschuld, der Heilung der Opfer zuzuarbeiten. Viertens: Alles dafür tun, dass sich das Gewaltverhalten nicht wiederholt. Wir müssen endlich ran an die Täter! Auch prügelnde Ehemänner und Vergewaltiger sind Menschen, die sich verändern können. Opferschutz hat Priorität und Täterarbeit ist ein Teil des Opferschutzes.
Kontakt und weitere Infos unter www.fgp-bremen.de
Veröffentlicht am 25. November 2024