Auf die Schnauze ist nicht mehr?

Regisseur Armin Petras, der unter dem Alter Ego Fritz Kater auch ein bekannter Dramatiker ist, über linkes Selbstverständnis, linke Streitigkeiten und die Gefahr des Gemütlich machens im Gespräch mit 360°-Referentin Ferdaouss Adda und Pressesprecherin Diana König.

Diana König: Fritz Katers neues Stück Milchwald, das in deiner Regie im Kleinen Haus uraufgeführt wird, spielt teilweise in Bremen, ist ein bisschen ein Stadtmusikanten-Roadmovie…

Armin Petras: … das Stadtmusikantenbild ist mir tatsächlich erst eingefallen nach der dritten Probe: vier ganz unterschiedliche Leute sind zusammen unterwegs … man muss schon sehr dumm sein, um das nicht direkt zu merken …

Diana König: Im Stück geht es darum, dass eine Frau mit ihren Kindern abgeschoben werden soll und ein paar Bremer:innen sich auf den Weg machen, ihr zu helfen. Das Stück ist mit Blick auf unser Ensemble geschrieben: Was für Typen treffen da aufeinander?

Armin Petras: Ich bin ja sehr viel unterwegs, aber mir war nach zweieinhalb Jahren in Bremen wichtig, etwas über die Stadt zu schreiben. Hier haben gefühlt alle eine linke oder revolutionäre Vergangenheit. Ich habe hier noch nie jemanden getroffen, der die Grünen nicht wählt. Gleichzeitig gibt es so einen Stolz auf die Stadt, den ich von anderen Städten nicht kenne. In Hannover sagen zum Beispiel alle „Hannover ist nicht so schlimm wie man denkt“ und in Kassel „Ich bin in Kassel, weil …“. In Bremen gibt es ein großes Bewusstsein davon, dass sich alle wohlfühlen und links sind. Ich wohne in der Neustadt, da hingen im letzten Jahr überall Banner, auf denen stand „Es ist für alle Platz“. Aber es gibt ganz verschiedene linke Erfahrungen, die hier aufeinandertreffen. Wie zum Beispiel im Stück Frau Niebuhr, so eine 68erin, die bei Kresnik getanzt hat, und Delia, die eine junge, feministische Juniorprofessorin ist. Sylvester, Paketbote und auf einem Ohr taub von einer Schlägerei mit Nazis, trifft auf einen Schwarzen intellektuellen Deutschen, der gerade erst nach Bremen gekommen ist. Daraus ein Gewebe zu bilden, war die Idee.

Ferdaouss Adda: Als ich das Stück gelesen habe, habe ich mich gefragt, ob die Figuren mit ihren unterschiedlichen Lebenswelten auch im Alltag zusammenkommen würden …

Armin Petras: Ich hab sowas in Bremen schon erlebt, egal ob das beim Fußball ist oder in einer Kneipe wie dem Eisen oder wenn du an der Weser sitzt. Hier kann man ins Gespräch kommen. Aber es gibt auch so eine gewisse Wohlfühl-Gefahr, so ein Sich-Einrichten im gemeinsamen Links-Sein, ein Gemütlich machen, mit dem, was man glaubt, zu wissen.

Diana König: Ich habe das Stück als Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Weisen des Links-Seins gelesen. Und würde denken, dass auch wir drei uns auf sehr unterschiedliche Weise als links verstehen. Ich würde Ferdaouss und mich im Stück jetzt am ehesten als die unbösen arte-Moderatorinnen, die kommen und alles besser wissen und richtig machen, sehen.

Armin Petras: Ich hoffe, der Autor hat damit deine Gefühle nicht verletzt … das klingt jetzt so defensiv, aber ich muss das nochmal sagen, der Autor spricht ja nicht, sondern seine Figuren und natürlich wärst du so eine aus der Sicht der Figur, die das sagt.

Diana König: Ich weiß, dass mich manche so sehen und bin manchmal auch von mir selbst angekotzt, wenn ich denke, dass ich einem Stereotyp entspreche. Aber ich wundere mich darüber, warum das so negativ auffällt, warum eine Figur wie Sylvester, der von seiner Haltung auf jeden Fall links ist …

Armin Petras: … das finde ich schon mal toll, dass du das anerkennst, dass er links ist … das finde ich ja schon sehr wichtig …

Diana König: Ja, aber warum verstehen wir uns so schlecht miteinander?

Armin Petras: So manche Bremer Alt-Linke haben damit auch ein Problem, die werden von den neuen, jungen Linken ausgegrenzt, die sagen, „der redet nur Scheiße“.

Diana König: Bei mir ist das genau umgekehrt. Ich habe als Teenie angefangen, die Hannes-Wader-Schallplatten meines älteren Bruders zu hören und fand seine Freunde cool und da wundere ich mich heute einfach, warum diese Generation mich jetzt so nervig findet.

Armin Petras: Klar, wenn man jetzt Sylvester und zum Beispiel Delia nimmt, dann ist der Kernsatz da „Für euch ist das wichtigste Wort Diversität, für uns Euro“. Das ist ja das, was Frau Wagenknecht in ihrem Buch sagt – das ist Gottseidank rausgekommen, nachdem ich mein Stück geschrieben hatte, ich habe also nicht abgeschrieben – manche Linke sind auf jeden Fall links, aber machen mit Bremer Haus im Viertel ein bisschen den Eindruck, als ob sie sich mit manchen Diskussionen oder Haltungen in Luxusproblemen einrichten.

Ferdaouss Adda: Ich habe mich bei dem Zitat gefragt, was versteht Sylvester eigentlich unter Diversität?

Armin Petras: Der weiß schon so ungefähr, was das ist. Aber der hat ein anderes Problem. Der bekommt einfach nur 60 Cent für jedes ausgelieferte Paket. Der hat in Straßenschlachten gegen Nazis gekämpft und für ihn hat sich nichts gebessert. Der ist einfach in einer prekären Situation.

Ferdaouss Adda: Steckt das Linkssein in der Krise? Ich frage mich, dieser Mythos des:der Arbeiter:innen, fallen wir auf den nur rein? Oder ist die Ich-AG die neue Arbeiter:innenklasse? Müsste sich da nicht was an unseren Bildern verändern? Spielt da eine Spaltung im Linkssein eine Rolle?

Armin Petras: Natürlich bin ich marxistisch geschult und würde hier und dort denken, da müsste man links handeln. Ich finde es generell wichtiger, links zu handeln als links zu denken. Das antikapitalistische Verhalten schweißt Leute ganz unterschiedlicher Art zusammen, aber eben nur im Handeln. Deswegen sind die Figuren im Stück ja auch unterwegs, in diesem Fall in einem Roadtrip. Was ich in unserer Gegenwart wirklich als großes Problem empfinde, ist eine Spaltung der linken Haltung. Siehe Klimakrise, wenn sich da die Situation verschlimmert und Abermillionen Menschen flüchten müssen und herkommen wollen, dann kann das eine Spaltung hervorrufen, die wir nicht mehr überwinden können, wieder Wagenknecht: der Nationalstaat definiert sich eben durch seine Grenzen. Als Dramatiker bin ich natürlich per se auch kein Optimist, sondern sehe die Entwicklungen dramatisch …

Diana König: Was meinst du mit Spaltung: Ob man die Geflüchteten dann nach Deutschland rein lässt oder nicht?

Armin Petras: Ja, das wird ja im Stück auch verhandelt. Da gibt es einen EU-Richter, der die Staatlichkeit vertritt und Dylan, der meint, er stellt sein privates Gerechtigkeitsgefühl darüber. Das ist ein uralter Konflikt, der wird schon in der Antigone beschrieben. Aber wie das dann ist, wenn meine Freunde mit den Bannern in der Neustadt ihre Wohnung mit Geflüchteten teilen sollen, weiß ich nicht. Ob das alle aushalten? Es gibt einen großen Unterschied zwischen sagen und handeln. Und den wollte ich beschreiben.

Diana König: Ein Scheitern an der Realität?

Ferdaouss Adda: Das sieht man ja auch im Stück ganz schön an der Figur des Polizisten …

Armin Petras: … der zur Polizei wollte, weil er was Gutes machen wollte …

Ferdaouss Adda: … ja, und der dann mit einer anderen Realität konfrontiert ist, bei Abschiebungen Dienst hat … das ist das Problem der Exekutive. Das muss umgesetzt werden: Wen lässt man rein, wen nicht? Aber auch die Frage, welche historische Verantwortung man hat?

Armin Petras: Polen – Polesien …

Ferdaouss Adda: Genau, das Stück spielt ja nicht nur in Bremen, sondern auch in Polesien … da kommt für mich der Gedanke des Postkolonialismus ins Spiel. Spielt der im Bewusstsein der Figuren eine Rolle?

Armin Petras: Für mich war total wichtig, dass ich jetzt kein Stück über Afrika mache, weil ich davon keine Ahnung habe und auch nicht weiß, ob das ein Feld ist, auf dem ich mich betätigen sollte. Jetzt kann man natürlich sagen, über Polen weiß ich auch nichts, aber ein bisschen mehr weiß ich als alter Ostler darüber schon, und mich reizt es, über blinde Flecke zu schreiben. Mich hat ein Freund gefragt, was ich mir mit Polesien für einen Phantasienamen ausgedacht habe – der wusste gar nicht, dass das eine geografische Einheit ist, die wirklich da ist. 600 Kilometer entfernt wissen wir das alles schon gar nicht mehr. Da ist schon Feierabend, obwohl wir jeden Tag ZEIT und FAZ lesen. Dass wir mit diesem Sumpfgebiet eine Beziehung haben, das ist vergessen.

Diana König: Polesien – ich habe das vorher auch nicht gekannt.

Armin Petras: Der zentrale Text im Stück ist der Monolog von Delia über genau dieses Gebiet, in dem sie über seine Geschichte im Dritten Reich spricht und Hitler zitiert, der die Deutschen auffordert, die Einwohner Polesiens so zu behandeln, wie die amerikanischen Siedler die „Indianer“. Delia sagt da, wer staatlicherseits von „Indianern“ redet, redet von Vernichtung. Die Auseinandersetzung mit political correctness, einem Begriff, der ja ursprünglich von den Rechten kommt, den ich also nicht so mag, der findet genau hier statt: Mit Delias Monolog wollte ich einen Text schreiben, der mir erklärt, warum dieses schwierige Wort richtig ist: Warum wir wirklich vorsichtig sein müssen mit bestimmten Begriffen, wie zum Beispiel „Indianer“. Und ich hoffe, dass wenn man den Text dann auf der Bühne hört, man wirklich begreift, dass das ein historischer Begriff ist, der staatlicherseits vernichten will. Man muss niemanden verurteilen, der dieses Wissen nicht hat und den Begriff benutzt, aber wenn man es weiß, geht es eben nicht mehr.

Ferdaouss Adda: Die Figuren im Stück sind alle auch nicht frei von Vorurteilen …

Armin Petras: Da hast du völlig Recht. Es gibt keinen Menschen, der nicht diskriminiert. Das machen wir alle, teilweise ohne es zu wissen oder zu wollen. Und die vier Figuren im Stück diskriminieren sich natürlich gegenseitig. Auf der Bühne kann man, durch den Abstand zu den Leuten, die da miteinander reden, ganz gut zeigen, dass wir alle, auch wir drei, sicher auch Vorurteile teilen.

 

Veröffentlichung: 16.09.2021