„Besteht Sexappeal wirklich aus viel nackter Haut?“

Über Klischees von Frauenrollen in der Oper und ihren persönlichen Werdegang: Sopranistin Elisa Birkenheier im Gespräch mit Dramaturgin Brigitte Heusinger.

Elisa Birkenheier probt gerade die Partie der Musetta in La Bohème. Oft hat sie die Figur auf der Bühne gesehen, sich die berühmte Arie „Quando m’en vo“ in unendlich vielen Variationen im Internet angeschaut. Musetta ist eine Grisette, eine Frau, die zwar arbeitet, für ihren Lebensunterhalt aber trotzdem die Unterstützung von Gönnern benötigt. Und Musetta wird nahezu immer gleich gezeichnet: kokett, lasziv, aufreizend, zickig. „Man muss richtig aufpassen, dass sich diese einseitigen Vorstellungen von der Rolle, die wieder und wieder unreflektiert reproduziert werden, nicht in den eigenen Körper eingraben. Ich hingegen möchte eine junge Frau verkörpern, die genau weiß, was sie will, auf eine coole und entspannte Art. Reicht es nicht, eine tolle, lebendige Frau zu sein, die selbstbewusst mit sich im Reinen ist, um attraktiv zu wirken und Männer anzuziehen? Muss man niedlich wie aufreizend sein, sich klein machen oder sich ausziehen, wie ich es vor kurzem in einer Inszenierung gesehen habe, damit man wirkt? Besteht Sexappeal wirklich aus viel nackter Haut?“ 

Wahrscheinlich, stellen wir gemeinsam fest, hat sich dieses Muster so verfestigt, weil es eben Männer waren, die Frauen inszeniert haben. 

„Ja“, sagt Elisa selbstkritisch, „ich muss mich immer an der Nase fassen, um nicht Frauen für Männer zu spielen“. Die Gefahr besteht gerade nicht. Alize Zandwijk, die leitende Regisseurin im Schauspiel, verantwortet die Regie. Anfangs musste Elisa sich an die Arbeitsweise gewöhnen, das gemeinsame Entwickeln der Rolle, die Diskussionen darüber. „Alize ist vollkommen unvoreingenommen an unsere Rollen rangegangen. Inzwischen begreife ich es als Chance, dass man Vieles ausprobieren kann.“ Und fühlt sie sich freier, wenn sie ein weibliches Gegenüber hat? Sie arbeitet gerne mit Männern oder Frauen, wichtiger als das Geschlecht sei die Atmosphäre und Qualität der Arbeit. „Aber trotzdem, immer, wenn Frauen mein Gegenüber waren, hatte ich schnell das Gefühl, sie sind auf meiner Seite. Natürlich sind das auch die meisten männlichen Regisseure, aber es gibt einfach manchmal Inszenierungsvorschläge, von denen ich denke, dass eine Frau sich nicht so verhalten oder so nicht reagieren würde.“ 

Wir quatschen uns fest an Themen, die uns unter den Nägeln brennen. 

Doch einige biographische Dinge will ich noch wissen. Wie ist sie zum Singen gekommen? Ein klassischer Werdegang: Als Kind im Kirchenchor ihrer Heimatstadt Andernach gesungen und nachts beim Einschlafen Klassic4Kids gehört. Eltern, die zwar beruflich nicht mit dem Theater in Verbindung stehen, aber musik- und theaterbegeistert sind und sie daher voll unterstützt haben. Instrumente gelernt, im Schulchor, im Jugendchor gesungen. Eine befreundete Gesangspädagogin, bei der sie mit 14 Jahren Stunden nahm: „Ich habe sie immer sehr bewundert und jetzt weiß ich, dass sie stolz auf mich im Publikum sitzt.“ Und dann in ein „cooles Jugendtheater“ gekommen, das mit dem Stadttheater Koblenz kooperiert hat. Für Oliver Twist wurden viele Jungen gesucht, nur zwei Mädchen. Eines davon ist sie geworden. 

So stand sie dann mit den „Professionellen“ auf der Bühne, die sie bei ihren Besuchen aus dem Zuschauerraum heraus immer so bewundert hatte.

„Hast du eine richtige Jugend gehabt?“, frage ich sie. Sie bejaht. Trotzdem, es gab Produktionen, in denen sie beteiligt war, die über 50mal gespielt wurden. Da fielen einige Partys, Feiern und Geburtstage flach wie heute auch: „Das hat sich damals schon abgezeichnet, dass, wenn man das Singen und den Theaterberuf ernsthaft machen möchte, man auf einiges verzichten muss.“ Studiert hat sie an der Folkwang Universität der Künste in Essen und hatte Engagements in Koblenz, Dortmund und Bonn, bevor sie in der Spielzeit 22/23 nach Bremen kam, wo sie jetzt gerne wohnt mit ihrem Partner, der aus einer Theaterfamilie stammt und daher viel Verständnis für ihren seltsamen Beruf hat, aber selber nicht zum Business gehört.

Was ist eigentlich ihr Gesangsfach? 

Lyrischer Koloratursopran, antwortet sie. Sie vermeidet die Fachbezeichnung Soubrette, die der Duden folgendermaßen charakterisiert: „naiv-heiteres, komisches Rollenfach für Sopran in Operette, Oper, Singspiel.“ Als Soubrette bezeichnet zu werden sei für sie keine Beleidigung, aber schon eine Abwertung. Ja, ihre Stimme sei fachgemäß leichter, aber „es gibt leichte Stimmen, die tragen, die gut zu hören sind und schwere, die nicht durchkommen“. Aber eigentlich seien Rollen wie Adele (Die Fledermaus), Blondchen (Die Entführung aus dem Serail) oder Despina (Così fan tutte) ja ziemlich spannend. 

Und jetzt sind wir wieder beim Ausgang unseres Gespräches, denn alle diese Partien haben den Niedlichkeitsstempel. 

Während die dramatischen, weiblichen Hauptrollen überwiegend passiv leiden und Opfer ihrer Männer und der Umstände sind, sind die volksnahen Soubretten gewitzt, intelligent, patent und nehmen die Dinge selbst in die Hand. „Ich finde diese aktiven Frauen eigentlich viel interessanter und von meinem persönlichen Charakter würde ich mich eher bei ihnen einordnen“, sagt Elisa Birkenheier. Und so wächst während unseres Gesprächs immer mehr die Verpflichtung, diese unterschätzten Frauenfiguren dem Klischee zu entreißen. Nicht nur Elisa Birkenheier, sondern auch das Musiktheater Bremen hat eine Aufgabe! 

 

 

Veröffentlicht am 26. November 2024