Wie aus 24 Kubikmetern Stoffspenden Behelfsmasken für den Krisenstab werden
Ein Besuch von Dramaturgin Brigitte Heusinger in der Kostümabteilung
Es ist nicht schwierig mit Claudia Hartmann, der Leiterin des Kostümabteilung und ihrer engsten Mitarbeiterin in der Kostümleitung, Bente Matthiessen, in Corona-Zeiten einen Termin zu vereinbaren. Sie sind im Haus, denn sie stehen einer Abteilung vor, die momentan vollständig und geregelt arbeitet: der Kostümabteilung.
Mitte März hatten sie gerade eine wahre Kostümschlacht hinter sich.
Die grandios opulenten Falstaff-Kostüme, die Andy Besuch entworfen hatte, waren gefertigt, auf der Bühne überprüft und die Änderungen ausgeführt. Schließlich hatte die Orchesterhauptprobe stattgefunden, die letzte Probe, bei der kostümtechnisch noch eingegriffen werden kann und dann: Corona – keine Generalprobe auf Wunsch der Philharmoniker. Die Arbeit der Kostümabteilung war getan, doch dann: Stopp, aus, Ende. Verwirrung aller Orten, absoluter Stillstand.
Schicht im Schacht – auch in der Kostümabteilung.
Eine ungewohnte Ruhepause in einer Abteilung, die oft am Rande der Machbarkeit arbeitet. Nach Zeiten des Kostüm-Purismus gibt es eine Renaissance zum aufwendigeren Kostüm und dadurch viel zu tun für die Gewandmeister, Schneider*innen, Ankleider*innen, die Schuhmacherin, die Färberinnen, die Hutmacherin, die Fundusverwalterinnen und die Wäscherinnen. Sie alle gingen erstmal in die verordnete Ruhe und Isolation. Doch dann kam eine Anfrage vom Senat, die wörtlich lautete: „Der Krisenstab bittet ergänzend um Klärung, ob in bremischen Unternehmen zur Krisenbewältigung benötigte Schutzausstattung und Mittel hergestellt werden können.“ Daraufhin kontaktierte Claudia Hartmann den Krisenstab und veranlasste, dass die Arbeit für ihre Abteilung wieder begann, teils im Theater, teils zuhause in Heimarbeit, am Zuschneidetisch und an der Nähmaschine. Aber nicht nur die Kostümabteilung arbeitete weiter, sondern auch Freiwillige aus allen Abteilungen – von Schauspieler*innen bis zu Bühnentechniker*innen. Sie sind beim Zuschneiden der Stoffe im Theater anzutreffen – an weit auseinanderstehenden Tischen im Foyer beispielsweise. Schön – denn wenn man jetzt durch die verwaisten Räume geht, in denen normalerweise das Publikum flaniert – hört man ab und zu richtig live und echt mehrere Leute miteinander sprechen. Erstaunlich!
Tätige Menschen gab es von Anfang an genug, doch an Material mangelte es.
Ein Aufruf an Bremer Bürger*innen zeigte Wirkung. Vor allem ältere Menschen, so Claudia Hartmann, spendeten Bettwäsche, Handtücher und Stoffreste in rauen Mengen. Zwölf Requisitenwagen, die jeweils zwei Kubikmeter Stoff fassen, wurden befüllt. Noch jetzt befindet sich ein Teil davon in der Wäscherei und harrt der Verarbeitung. Doch woher die Gummibänder nehmen? „Eine große Herausforderung“, berichtet Bente Matthiessen: Schließlich verfielen gerade viele Theater, Handwerksbetriebe und auch die Industrie darauf, Alltagsmasken zu fertigen. „Eines der wenigen Dinge, für die es überhaupt noch einen Absatzmarkt gab.“ Bente Matthiessen telefonierte, mailte quer durch die Republik, alle bekannten Quellen wurden angezapft, jede Restware in jeder erdenklichen Farbe wurde in jeder verfügbaren Menge bei den üblichen Theaterlieferanten gekauft. Auch der Kontakt zu Bremer Stoffgeschäften wurde gesucht, die mit ihren lagernden Beständen aushalfen.
Ein Gerücht, dass die Herstellung der Nasenbügel eine Bremer Erfindung sei, muss korrigiert werden.
Auch andere Theater entdeckten, dass die ummantelten Drähte der Fernmeldekabel sich wunderbar biegen lassen und perfekt auf der Nase sitzen. Auch hier ist gibt es Entwirrungs-, Biege- und Schneidebedarf. Die 11 cm langen Nasenbügel landen dann ebenso in den vierzig Transportkisten wie die vorgeschnittenen Stoffe (18 x 38 cm), Garn und Gummibänder. Bente Matthiessen: „Wir schummeln in die Kisten originelle Muster, ungewöhnliche Designs als Farbtupfer und kleine Lichtblicke hinein. Schließlich hat keiner Lust beim Nähen immer auf die gleiche Farbe zu schauen.“ Die gepackten Kisten werden dann zu den Heimarbeitsplätzen gebracht – das ist die Aufgabe von Bianca Vespermann, die im normalen Leben Fundusverwalterin ist. Einige Kolleg*innen kommen auch persönlich vorbei und holen sich neues Material ab, auch um den persönlichen Kontakt zu halten. Gefertigt wird übrigens das „Essener Feuerwehrmodell“, dessen auch für Laien nachzuvollziehende Nähanleitung sich auf der Homepage der Stadt Essen anschauen lässt.
Der Output sind 1500 bis 2500 pro Woche.
Geliefert wird an den Krisenstab des Landes Bremen, der die Masken an Institutionen wie Kliniken, Pflegeeinrichtungen, Zahnarztpraxen und Altenheime weiterreicht. Trotz sinnvoller Aufgabe sehnt sich natürlich auch die Kostümabteilung nach dem Normalbetrieb. Das Gefühl zwischen Anspannung und Lähmung, Nervosität und Stagnation eint alle Abteilungen des Theaters. „Alle fragen sich, wie es weitergeht. Da ist es für die meisten gut, etwas Sinnvolles, etwas für die Gemeinschaft zu tun“, sagt Claudia Hartmann. Und natürlich machen Spezialaufgaben besonders Spaß, wie die Maske für den Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft Frank Imhoff, eine Speckfahne als Mundschutz, gemeinsam entwickelt mit dem Herrenschneider Wladimir Jungmann und handbemalt von der Theatermalerin Tanja Zimmermann.
Inzwischen wird die Maske eben zum gesellschaftlichen Statement, zum Modeaccessoire und wird sich bestimmt in Zukunft auch auf Bühnen finden. Ehrlicherweise keine schöne Vorstellung – nicht nur aus künstlerischen Gründen. Und auch für alle Mitarbeiter*innen der Kostümabteilung wird es wunderbar sein, wieder mal etwas Anderes zu nähen, kreativ gestaltete Kostüme zum Beispiel, und ihre profunden handwerklichen Fähigkeiten einzusetzen – so gerne sie jetzt Masken in Serie fertigen, um in dieser schwierigen Zeit zu helfen. Danke dafür!