Brief aus Litauen / Letter from Lithuania
Wie sich die litauische Theater- und Tanzszene um mehr politische Unterstützung in der Corona-Krise bemüht.
--- English version below ---
Mit Coexist hätten Unusual Symptoms heute beim New Baltic Dance Festival in Vilnius gastiert. Statt einem Gastspiel in Litauen berichtet Gintarė Masteikaitė, Künstlerische Leiterin von New Baltic Dance und Direktorin des Lithuanian Dance Information Centre, in ihrem Gastbeitrag, wie die litauische Theater- und Tanzszene sich um mehr politische Unterstützung in der Corona-Krise bemüht.
Als die Pandemie ausbrach, gehörten die Organisationen der darstellenden Künste zu den ersten, die ihre Türen schlossen und ihre Aktivitäten einstellten. Und es ist sehr schwer zu sagen, wann es möglich sein wird, die Arbeit innerhalb der lokalen Szene und unsere internationalen Aktivitäten wieder aufzunehmen, ganz zu schweigen von der Planung von Gastspielen und Veranstaltungen außerhalb Litauens. Der Sektor der darstellenden Künste in Litauen teilt sich in staatliche und nicht-staatliche, unabhängige Organisationen. Das Lithuanian Dance Information Centre und das internationale zeitgenössische Tanzfestival New Baltic Dance gehören zur unabhängigen, freien Szene, ebenso wie der überwiegende Teil der zeitgenössischen Tanzlandschaft.
Die freie Szene hat sich seit der Unabhängigkeit Litauens – also innerhalb der vergangenen 30 Jahre – zu einem Feld von mittlerweile etwa 500 verschiedenen Organisationen in Musik, Theater, Tanz, Zirkus und neuem Musiktheater entwickelt, die heute eine gewichtige Rolle sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene spielen.
Leider räumt das litauische Kulturministerium nur seinen direkt untergeordneten Institutionen, Vorrang ein, während hochrangige Regierungspolitiker*innen die freie Szene nach wie vor mit dem privaten und kommerziellen Sektor gleichsetzen. Als sich die Pandemie beschleunigte, stellte die litauische Regierung lediglich 5 Millionen Euro an Hilfen für den Kulturbereich zur Verfügung, und leider hat noch längst nicht der gesamte Betrag die Organisationen und unabhängigen Künstler*innen erreicht. Die bisherigen kulturpolitischen Maßnahmen befriedigen den realen Bedarf der in diesem Bereich tätigen Organisationen und Einzelkünstler*innen nur teilweise oder gar nicht. Es muss betont werden, dass diese Gelder wettbewerbsorientiert verteilt werden sollen, indem Anträge für neue Projekte und kreative Ideen eingereicht werden müssen.
Einige Beispiele für mögliche Förderungen innerhalb des bisherigen Hilfsprogramms:
- 607 Euro für anerkannte Künstler*innen, die über einen sogenannten „Künstler*innenstatus“ verfügen. Dies trifft allerdings nicht auf Manager*innen, Produzent*innen, Kurator*innen, Licht/Sound-Designer*innen und andere professionell im künstlerischen Sektor arbeitende Menschen zu. Tausende von professionellen Kunstschaffenden besitzen keinen offiziellen „Künstler*innenstatus”“, weil die Verfahren und Kriterien für die Erlangung eines solchen Status schwierig sind.
- 600 Euro Kreativstipendium, das an konkrete Projektvorschläge gebunden ist und lediglich etwa 300 Künstler*innen zur Verfügung steht.
- eine neue Ausschreibung für die Produktion alternativer Inhalte und Präsentationsformen, beispielsweise im digitalen Raum. Hier steht eine maximale Fördersumme von 15.000 Euro für etwa 200 Organisationen zur Verfügung. Diese Förderung richtet sich an alle Bereiche einschließlich des Regierungssektors und steht sowohl staatlichen als auch freien Akteur*innen zur Verfügung. Wie gesagt gibt es jedoch allein in der freien Szene etwa 500 Organisationen, die im Bereich der darstellenden Künste tätig sind und jeweils mit einer Vielzahl von freischaffenden Künstler*innen und Mitarbeiter*innen zusammenarbeiten.
Als Reaktion auf die gegenwärtige Situation haben sich binnen kürzester Zeit einige der derzeit umtriebigsten Manager*innen, Produzent*innen und Künstler*innen der freien Szene zu einer Initiative zusammengeschlossen, die sich für die Bedürfnisse des unabhängigen Sektors einsetzt:
eine langfristige Strategie, die Bereitstellung umfangreicherer Hilfsmittel, speziell auf freischaffende Akteur*innen und nicht-staatliche Organisationen zugeschnittene Förder- und Hilfsprogramme, eine Kompensation für verloren gegangene Einnahmen und die Inklusion von Produzent*innen, Videokünstler*innen, Lichtdesigner*innen und andere professionell Arbeitende Akteur*innen innerhalb der Darstellenden Künste in die aufgelegten Programme.
Gegenwärtig bereitet diese Initiative die benötigten Dokumente für die Gründung eines Verbands der freien Darstellenden Künste vor, in der Hoffnung, damit eine Basis für größere Reformen des gesamten Sektors und eine deutlich solidere finanzielle Unterstützung seitens der Regierung legen zu können.
--- English version ---
With Coexist, Unusual Symptoms would have performed at New Baltic Dance Festival in Vilnius today. Instead of a guest performance in Lithuania, Gintarė Masteikaitė, artistic director of New Baltic Dance and director of the Lithuanian Dance Information Centre, reports in her guest contribution how the Lithuanian theatre and dance scene is trying to get more political support in the Corona crisis.
When the pandemic broke out, performing arts organizations were among the first to close their doors and cease their activities. It is very difficult to say when it will be possible to resume work within the local communities, resume our international activities or plan events abroad.
The performing arts sector in Lithuania consists of governmental and non-governmental, independent organizations. The Lithuanian Dance Information Centre and the international contemporary dance festival New Baltic Dance belong to the independent sector, as does the majority of the contemporary dance community.
This sector, which now consists of about 500 different performing arts organizations in music, theatre, dance, circus and new opera, was formed during the period of Lithuania's independence within the past 30 years.
Regrettably, the Ministry of Culture of the Republic of Lithuania only gives priority to its subordinate institutions, while high-ranking government politicians continue to equate the independent scene with the private and commercial sector. When the pandemic accelerated, the Lithuanian government allocated only 5 million euros in aid for the cultural sector, and unfortunately not all of it has yet reached the organizations and independent artists. The cultural policy measures taken so far only partially or not at all meet the real needs of organizations and individual artists operating in this field. It must be emphasized that these funds are going to be distributed in a competitive manner, with applications for new projects and creative ideas having to be submitted.
Some examples of possible funding within the current aid programme:
- 607 Euro for recognized artists who have a so-called “artist status”. However, this does not apply to managers, producers, curators, light/sound designers and other secondary professions in the field. Thousands of art professionals do not have official “artist status” because the procedures and criteria for obtaining such status are diffcult.
- 600 Euro creative grant, which is linked to a creative project and is only available to about 300 artists
- A new call for proposals for the production of alternative content, for example in digital space. Here, a maximum funding amount of 15,000 euros is available for about 200 organisations. This funding is aimed at all sectors and both government organizations and NGOs are considered eligible applicants. However, as already mentioned, in the independent scene alone there are about 500 organizations working in the field of the performing arts, each of which collaborates with a large number of freelance professionals.
In response to the current situation, the independent sector quickly assembled an initiative group made up of the most active managers, producers and artists in the field. The goal of this group is to advocate the needs of the sector, which are:
a long term strategy; the provision of more extensive funds; support programmes specifically tailored to freelancers and NGOs, compensation for lost income and the inclusion of producers, video artists, lighting designers and other professionals within the performing arts in the programmes that have been launched as well as other appropriate measures.
This initiative group is currently preparing the necessary documents for establishing the Association of Independent Performing Arts Organizations. Hopefully, this will lay the foundations for major reforms of the entire sector and a much more solid financial support from the government.