„Das Bekenntnis zur eigenen Ahnungslosigkeit als Ausgangspunkt“

Ein Probentagebuch von Jorid Lukaczik.

Dezember 2023

Wir lesen alle gemeinsam Keine Ahnung von Nele Stuhler. Wir lesen reihum. Es dauert zwei Tage. Es gibt Kekse, Mandarinen und Mini-Karotten. Außerdem bringe ich das Ende einer Karotte mit, um zu schauen wie es am Ende der Produktion im Mai aussehen wird (Andy? Any one? WO IST DIESES ENDE eigentlich hin gekommen?!) 
Wir sprechen über Verdauung, unsere Verbundenheit über die gemeinsame Ahnungslosigkeit, und lernen uns kennen. Theresa, Janis, Giulia, Andy, Jorid. 
Wir beginnen mit Automatic Writing. Zehn Minuten schreiben ohne absetzen. Sowas wie: „Hast du’s gefunden? Äh hab ich was gesucht? Krass, dass Nele Stuhler lebt, wir könnten sie alles fragen. Goethe nicht.“ 
Formbare Bühne? Knete? Schaumstoff?
Keine Ahnung. Was machen wir? Zwischen Performance und Schauspiel und Tanz, Show, Zirkus, Lesung. 
Janis fragt: „Wie kann eine Person es langweilig finden bei der Entstehung von etwas zuzuschauen?“ 

Januar 2024

Wir sind im Ballettsaal. Dort werden wir im März auch Nele treffen, was wir jetzt noch nicht wissen.
Gegenentwurf zur Überforderung. 
„Wusel, wusel.“ (Nele Stuhler, Keine Ahnung
Die Idee, Zaubertricks auf der Bühne zu probieren, entsteht. 
Andy und ich machen Body Research. Er zitiert: „There are no such things as silly things.“ Das macht mir Mut. Also versuche ich Dinge, die mein Körper macht, weniger zu bewerten. „How to create memories?“
Wir probieren mit dem Körper Orte zu beschreiben, an denen ich mal war. 
Brauchen wir eine Fassung?! 
Die Idee des Bühnenbildes wird konkreter. Und wir machen einen Ausflug mit dem Zug nach Hamburg, um Garten der Lüste von Philippe Quesne/Vivarium Studio auf Kampnagel anzusehen. Es fühlt sich gut an, gemeinsam einen Ausflug zu machen. 

März 2024

Bauprobe. Ich bekomme nur die letzten zwei Minuten mit. Die Bühne sieht toll aus. Auch groß für zwei Leute. Konkrete Bilder im Raum kommen auf. Es kribbelt. 
Ich bekomme Fieber. Das Fieber geht kurz weg, denn: 
NELE KOMMT! Wir machen gemeinsam mit Shirin eine Lesung. Das ist krass aufregend. Am nächsten Tag kommt Nele zu uns auf die Probe in den Ballettsaal. Das ist krass aufregend! Wir können gut miteinander sprechen, erzählen von unserem Probenstand. Ich bin aufgeregt, bedanke mich für dieses Buch. 
Wir sprechen über „Warum Schreiben“, „Warum Kunst“, „Warum Theater“ —
Warum schreiben? Warum Kunst? Warum Theater? 
Weitermachen. Aber ich erstmal nicht, denn das Fieber kommt zurück. Nele sagt, sie versucht zur 3. Vorstellung da zu sein. Juhu!

April/Mai 2024

Der letzte Probenblock beginnt. Zwei Wochen sind wir jetzt auf der Probebühne Tanz. Der Raum ist hell, heller Boden, helle Wände. Das tut etwas gut. Denn vieles andere ist gerade dunkel. Wir sprechen darüber, erkennen, dass das auch die Stärke dieser Arbeit sein kann, dass das Leben Platz haben kann hier drin. Wir fangen an eine gemeinsame Videosammlung anzulegen. Carla kommt für den letzten Block dazu. Das ist schön. 
How to prepare for the first word? 
Julius kommt. Einen Tag lang darf ich eine Zauberroutine von ihm lernen. Es ist der Hammer. 
Dann wechseln wir auf die Bühne im Brauhaus. 
Anke ist da! Und Timo! Und wir alle. 
Entwicklung einer Struktur, aber was ist eine Struktur, wenn das Stück Keine Ahnung heißt? 
Doch so langsam nimmt es Form an. Was immer das heißen mag. In einer Woche ist Premiere. Bis dahin wuseln wir rum. Immer die Hoffnung, dass diese Zeit seit Dezember teilbar gemacht werden kann, im Moment dann gemeinsam mit dem Publikum. 
Also wir haben einen Plan, aber ich habe keine Ahnung wie und was es bei den Vorstellungen wird. Wie immer. Ach Theater. Liebe. 
I can relate to the book. Immer wieder. 
„Es ist nur scheiß Theater. Es ist nur scheiß Theater. 
Das scheiß Theater, das die Welt ist irgendwie doch.“
Also frohen Mutes in die Ahnungslosigkeit hopsen. Oder so. 
Oder anders.

 

 

Veröffentlicht am 22. Mai 2024