Das Bühnenbild als Mitspielerin
Wie wird aus einem Entwurf eine Bühne? Sarah Kreuzberg, Mitarbeiterin der Marketingabteilung, im Gespräch mit Marlene Lockemann, die das Bühnenbild für Antigone entworfen hat, und dem Leiter der Werkstätten am Theater Bremen, Carsten Schmid.
In dem Bühnenbild von Antigone gibt es viele verschiedene Ebenen. Was ist die Idee dahinter?
Marlene Lockemann: In meiner Arbeit als Bühnenbildnerin interessieren mich vordergründig choreografische Räume. Ich liebe es, mir selbst technische Mechanismen auszudenken, die den Raum und die Spielenden in Bewegung setzen. Raumtransformation begeistern mich, Konstruktionen, die zu atmen scheinen und das Bühnenbild so zu einer Mitspielerin werden lassen. Im Zentrum von Antigone steht der Konflikt zwischen der individuellen Moral, verkörpert durch Antigone, und dem staatlichen Gesetz, verkörpert durch Kreon. Bei der Entwicklung des Bühnenbildes hat mich vor allem der Vorgang des Beerdigtwerdens interessiert und wie man dafür eine räumliche Übersetzung finden kann. Denn das Motiv ist ganz zentral in der Geschichte. Antigone beerdigt ihren Bruder und wird zur Strafe selbst beerdigt. Der von mir entwickelte Mechanismus ermöglicht eine horizontale Beerdigung der Protagonistinnen, indem der Bühnenraum die Spielenden auftauchen und verschwinden lassen kann. Er steht aber auch sinnbildlich für die Macht des Staates, weil der Raum die Spielenden bedrängen und ausschalten kann. So habe ich Themen wie Verlust, Trauer und Staatsgewalt räumlich bearbeitet.
Wie kann ich mir das konkret vorstellen?
Marlene Lockemann: In dem Bühnenbildentwurf gibt es in die Raumtiefe hinein drei Ebenen hintereinander. Diese Ebenen wirken wie Bilderrahmen oder Passepartouts, durch die man durchblickt. Sie haben alle einen unterschiedlichen Formausschnitt. Die erste hat eine organische Form, die zweite eine ovale und die letzte eine rechteckige Form. Das ist erstmal das, was man sieht. Und der Mechanismus, den ich für Antigone entwickelt habe, arbeitet mit einem parallelen technischen Vorgang, mit einer parallelen Fahrt, den sogenannten Hubpodien, die von unten kommen und Hängern, die von oben kommen und im Schnürboden hängen. So lassen sich, einem fokussierenden Kameraobjektiv ähnlich, alle drei Ebenen hintereinander öffnen und schließen. Jetzt müsste Carsten vielleicht erklären, was ein Hubpodium ist …
Carsten Schmid: Hubpodien sind vertikal bewegliche Flächen. Die ganze Bühne ist unterteilt in sechs vertikal bewegliche Flächen von jeweils 2x12 Metern. Diese Flächen ermöglichen, dass fast der gesamte Boden der Bühnenfläche 1 Meter abgesenkt oder 2,5 Meter erhöht werden kann. Der Schnürboden, ist eine Anordnung von Winden und Seilen, mit denen bemalte Flächen oder Dekorationsteile heruntergelassen und hochgezogen werden können. Das Schließen der verschiedenen Passepartouts sieht ziemlich eindrucksvoll aus, technisch ist es durch die gegebenen Voraussetzungen jedoch relativ einfach zu realisieren.
Wie sah der Prozess – von der ersten Idee bis zur Realisierung – aus? An welcher Stelle kamen die Werkstätten ins Spiel?
Carsten Schmid: In den 25 Jahren, in denen ich nun schon in dem Bereich arbeite, hat sich einiges verändert. Früher war es oft so, dass die Bühnenbildner:innen kamen und sagten „Mach mal“ und wenn es dann nicht ging, gab es verärgerte Reaktionen. Heute sind wir schon ziemlich frühzeitig im Austausch darüber, was unter welchen Voraussetzungen möglich ist. Der offizielle Prozess beginnt mit der Modellabgabe, bei Antigone war diese im Februar, danach gibt es eine sogenannte Bauprobe, bei der aus günstigen oder vorhandenen Materialien die Dimensionen auf der Bühne abgesteckt werden. Zwei Wochen später ist die Werkstattabgabe, danach fängt unsere hauptsächliche Arbeit an.
Marlene Lockemann: … in der Sachen durchaus noch geändert werden können, auch aus Nachhaltigkeitsaspekten heraus. Ich wollte z.B. den letzten Hänger aus Holz machen. Letztendlich haben wir uns dann jedoch dafür entschieden eine Holzplatte abzufotografieren und das Bild drucken zu lassen, weil es von den Zuschauer:innen so weit weg hängt, dass man den Unterschied zwischen echtem Holz und einem Druck gar nicht wirklich erkennen kann.
Carsten Schmid: Das Schöne hier am Haus ist, dass wir, dadurch, dass wir die Werkstätten vor Ort haben, auch im aufgebauten Bühnenbild noch Dinge verändern können. Durch den Wunsch die Werkstätten zu rationalisieren und zweckmäßiger zu gestalten, werden Produktionsstätten an vielen Theatern immer mehr ausgelagert aus den Innenstädten. Das hat für den Herstellungsprozess Vorteile, aber insgesamt empfinde ich das als nachteilig. Denn so können wir einfach Leute auf die Bühne holen und sagen: „Hier müssen wir etwas machen“. Bei Antigone sollte es z.B. auf einmal eine relativ waghalsige Bekletterung von einem Element geben, die eigentlich so nicht vorgesehen war. Die Konstruktion war ursprünglich nicht dafür gemacht, wurde dann aber angepasst.
Wie seid ihr bei der Auswahl der Stoffe und Materialien vorgegangen?
Marlene Lockemann: An dem Bau und der Umsetzung dieses Bühnenraums sind viele der wirklich tollen Werkstätten des Theaters Bremen beteiligt: die Schlosserei, die Tischlerei, der Malersaal und die Dekorationsabteilung. Da ich dieses Haus schon kenne, weiß ich, in welchen Bereichen Werkstätten eine extreme Expertise haben. Es gibt z.B. ein gebogenes Stahlelement in meinem Bühnenbild, das ich sehr selten an Theatern gebaut bekomme. Gebogener Stahl ist immer eine Schwierigkeit, aber auch schon bei meiner letzten Produktion Wüst haben die Werkstätten das ganz toll hinbekommen. Darüber hinaus war es mir wichtig, dass es eine malerische Ebene gibt, weil ich den Malsaal gut kenne und weiß, dass sie sehr gut malen können. Das heißt, ich versuche stets die jeweiligen Kompetenzen in die Konzeption des Bühnenbildes mit einzubeziehen.
Du hast es gerade schon angesprochen, du arbeitest jetzt schon zum dritten Mal hier am Haus. Was bedeutet das für dich?
Marlene Lockemann: Das Haus wird für mich persönlich immer eine ganz besondere Bedeutung haben, weil es das erste Theater ist, an dem wir – die Regisseurin Elsa-Sophie Jach, die Kostümbildnerin Belle Santos, die Dramaturgin Theresa Schlesinger und ich – nach dem Studium als Team in größerem Rahmen gearbeitet haben. Und ich finde es auch sehr besonders, wie respektvoll hier miteinander umgegangen und auf Augenhöhe gearbeitet wird. Als Berufseinsteigerin, als junge Frau, ist das leider vor allem in Bezug auf die Kommunikation mit der Technischen Direktion nicht selbstverständlich.
Carsten Schmid: Das finde ich von unserer Seite aus einen ganz wichtigen Aspekt, sich selbst zu hinterfragen, und nach so vielen Jahren nicht den Besserwisser heraushängen zu lassen, vor allem mit jungen Teams.
Worauf freut ihr euch am meisten bei der entstehenden Produktion?
Carsten Schmid: Für mich ist es auch nach so vielen Jahren immer noch ein Erlebnis, ein Modell, was da anfangs steht, vielleicht im Maßstab von 1:20, genauso auf der Bühne realisiert zu sehen. Das ist für uns als Produzierende in einem breit aufgestellten Manufakturbetrieb, schon ein Erfolgserlebnis.
Marlene Lockemann: Ich freue mich auf viele unterschiedliche Sachen, es gibt ganz viele Überraschungen in dem Raum. Ich hoffe, dass es die Zuschauer:innen schocken wird, im positiven Sinne. Aber wenn ich eine Sache nennen müsste, auf die ich mich am meisten freue, dann ist das der große Auftritt von Antigone. Ich stelle mir das so vor, die Bühne fährt auf und es gibt ein grandioses Zusammenspiel von Schauspielenden, Bühnenmaschinerie, Licht und Musik. Der Moment, wenn die harte Arbeit von allen Beteiligten zusammenkommt, um ein Bild zu generieren, das einen vom Hocker haut.
Veröffentlicht am 23. September 2024