Das Dezember-Editorial: Erschöpft aber glücklich – arm aber sexy?

Ein Rückblick von Michael Börgerding

Zum Ende des Jahres blickt man natürlich auch zurück, fragt sich, wie es einem geht und wie es dem Theater geht. Alles ein bisschen früh, ich weiß, die Spielzeit ist noch lang, sie geht bis in den Juli, aber es war viel, sehr viel, was wir bis jetzt auf die Bühne gebracht haben. Drei große Opernpremieren, zwei Schauspielpremieren im großen und vier im kleinen Haus, drei Premieren im Kinder- und Jugendtheater und eine im Tanz. Das Theater lebt, es pulsiert, es zeigt sich – aber es ächzt und stöhnt auch. Vieles war vielleicht auch manchmal zu viel, zu viel an Anstrengung, an Zeitdruck und Ressourcenverbrauch. Die Regieteams wissen inzwischen, was das Haus kann und sie fordern es immer wieder heraus. Und um mich herum sind – zu meinem, zu unserem Glück! – nur Kolleginnen und Kollegen, die es lieben, Herausforderungen anzunehmen und nichts so sehr hassen, wie ein „das schaffen wir nicht“. Und bisweilen den Preis der Erschöpfung zahlen so kurz vor Weihnachten und Silvester. Wie geht es also dem Theater? Erschöpft aber glücklich? Arm aber sexy?

Ist Alcina vielleicht der Liebling des Bremer Publikums, so ist Don Giovanni in der Inszenierung von Tatjana Gürbaca vielleicht der Liebling der überregionalen Kritik.

Mit Der Rosenkavalier, Don Giovanni und Alcina haben wir drei Opernproduktionen zur Premiere gebracht, die nicht nur in Bremen sehr beachtet wurden. Ist Alcina vielleicht der Liebling des Bremer Publikums, so ist Don Giovanni in der Inszenierung von Tatjana Gürbaca vielleicht der Liebling der überregionalen Kritik. Dass wir als mittelgroßes Haus im Vergleich mit der großen Hamburger Staatsoper bei einer Don Giovanni-Sammelkritik in der „Opernwelt“ so viel besser abschneiden, ist schon mehr als eine Überraschung. Und freut einen Intendanten und eine Musiktheaterleitung, die keine Stars einkaufen kann, dafür aber ein wunderbares Ensemble gefunden und entwickelt hat, natürlich sehr. Dass überregionale Wahrnehmung und Beachtung aber nicht automatisch zu einer Steigerung der Zuschauerzahlen führt, ist auch eine Erkenntnis der letzten Monate. Fast hat man den Eindruck, schaut man auf den Rosenkavalier und Don Giovanni und ihre zum Teil sehr elaborierten Kritiken, dass analysierende und Aufführungspraxis reflektierende Kritiken eher abschrecken als einladen. Aber wie hat der legendäre Adi Preisler gesagt: „Grau ist alle Theorie – entscheidend is auf’m Platz.“ So gesehen braucht Alcina vielleicht gar keine überregionale Kritik, es ist einfach ein großer und kluger Bremer Musiktheaterabend, der sein Publikum verzaubert und uns sehr glücklich macht. Auf’m Platz ist es bei Rosenkavalier und Don Giovanni im Übrigen auch sehr spannend!

Vertrauen in das Bremer Schauspielpublikum

Dass ein neues unbekanntes Stück eines nur Theaterspezialisten bekannten Autors über einen israelisch-palästinensischen Familienkonflikt für ausschließlich ausverkaufte Vorstellungen sorgen kann, haben wir auch nicht vor dem Spielzeitbeginn zu wagen gehofft. Natürlich hatten wir Vertrauen in das Stück, in die Besetzung und in die Regisseurin des Abends, Alize Zandwijk, aber dieses Interesse und diese Begeisterung hat uns dann doch überrascht. Und weiter bestärkt in unser Vertrauen in das Bremer Schauspielpublikum. Das schon ein besonderes Publikum ist, nach fast acht Jahren darf ich mir vielleicht eine Einschätzung erlauben, interessiert an politischen Stoffen und Geschichten, an Auseinandersetzung, Inhalt und Haltung. Es ist nicht unbedingt interessiert an formalen oder ästhetischen Zuspitzungen, auch nicht wirklich interessiert an Quatsch und Blödsinn und schon gar nicht an bürgerlicher Repräsentation. Im Januar spielen wir Vögel von Wajdi Mouawad aufgrund der großen Nachfrage gleich an vier Abenden.

Dass alle angekündigten Vorstellungen innerhalb weniger Tage im Vorverkauf ausverkauft waren, macht „unsere“ Bremer Mütter aus aller Welt schon sehr stolz

Mütter, der Abend von Alize Zandwijk im Foyer des Theater am Goetheplatz, ist so ein Abend für Bremen, vielleicht nicht unbedingt innovativ oder avantgardistisch, aber dringlich, notwendig und höchst kommunikativ. Zugegeben, es sind nur 120 Plätze, die wir da anbieten, aber dass alle angekündigten Vorstellungen innerhalb weniger Tage im Vorverkauf ausverkauft waren, macht „unsere“ Bremer Mütter aus aller Welt schon sehr stolz. Und da so viele keine Karten bekommen haben, planen wir noch eine dritte Staffel ab Mitte April. Der Vorverkauf beginnt am 1. März, für Abonnent*innen schon am 1. Februar. Auch eine schöne Vorstellung, dass diese Mütter-Inszenierung dazu führen könnte, sich für ein Festabonnement zu entscheiden.

Der Deutsche Theaterpreis DER FAUST für Birgit Freitag

Und dann gibt es noch Preise und Einladungen. Der Deutsche Theaterpreis DER FAUST wurde im November in Kassel verliehen: Birgit Freitag vom Moks hat ihn gewonnen in der Kategorie „Regie Kinder- und Jugendtheater“. „Birgit Freitag zeigt mit Für Vier, wie Tanz im Jugendtheater für vier Menschen zum individuellen Ausdrucksmittel und zur gemeinsamen Sprache werden kann. Das Tanzstück besticht durch die Authentizität und Lässigkeit, mit der zwei Jugendliche und zwei Erwachsene, zwei Männer und zwei Frauen die Frage nach der eigenen Identität verhandeln und ihr jugendliches Publikum dabei vom ersten Moment an auf ihrer Seite wissen“, heißt es dazu in der Begründung der Jury. Ab dem 26. Januar zeigen wir diese mehr als sehenswerte Produktion für Kinder und Erwachsene wieder im Brauhaus.

Gleich zwei Einladungen zur TANZPLATTFORM Deutschland

Die TANZPLATTFORM Deutschland ist für den Tanz so etwas wie das Berliner Theatertreffen für das Schauspiel: Eine Jury sichtet aus über 400 Produktionen die „bemerkenswertesten Positionen des gegenwärtigen Schaffens in den Bereichen Tanz und choreografische Performance“. Das Theater Bremen ist in diesem Jahr mit zwei Produktionen eingeladen worden: Die Koproduktion mit Samir Akika und La Macana Pink Unicorns wird ebenso im nächsten Frühjahr in München vertreten sein wie Coexist von Adrienn Hód. Tanztheater kann wie das Vater-Sohn-Tanzstück Pink Unicorns (oder Akikas Nachfolgearbeit Bravehearts mit Mutter und Tochter) klein, zärtlich und berührend sein oder wie Coexist groß, aggressiv und verstörend – schön, dass das hier in Bremen zu sehen ist und von dieser Expertenjury wahrgenommen und anerkannt wurde. Gratulieren möchte ich auch zwei langjährigen Weggefährten: Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen. Auch sie sind zur Tanzplattform eingeladen, allerdings mit einer Arbeit, die sie am Berliner Hebbel Theater herausgebracht haben.

Besondere musikalische Herausforderungen brauchen bisweilen besondere Orte

Jakob Lenz ist eine Kammeroper von Wolfgang Rihm, ein intimes Psychogramm in zwölf Bildern frei nach Georg Büchners Erzählung Lenz. Besondere musikalische Herausforderungen brauchen bisweilen besondere Orte. Wir bauen für diese Produktion kein normales Bühnenbild, sondern ein hölzernes anatomisches Theater auf der Bühne. Sie werden unter dem Bühnenhimmel ganz dicht dran sein an Claudio Otelli als Jakob Lenz und seinem Weg in den Wahnsinn. Das wird nicht unbedingt bequem werden – Ihre Plätze sind im Prinzip Stehplätze mit einer erhöhten hölzernen kleinen Sitzbank –, aber aufregend und einmalig. Und kurz: Die Kammeroper dauert nur 70 Minuten. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, wenn Sie sich auf dieses kleine Abenteuer einließen. Da wir nur knapp dreihundert Plätze haben, wird es zwei Premieren geben, eine vorgezogene am Donnerstag, 30. Januar, mit anschließendem Sektempfang auf der Bühne und eine wie geplant am Samstag, 1. Februar, mit anschließender Premierenfeier im Foyer. Premierenkritiken werden Sie allerdings erst nach der zweiten Premiere lesen können.

Für all die, für die Weihnachten vollkommen überraschend kommt

Wie im letzten Jahr möchte ich Ihnen wieder das Geschenkabo des Theater Bremen empfehlen. Für 100 € beinhaltet es vier Gutscheine, zwei für das Theater am Goetheplatz und zwei für das Kleine Haus. Für all die, für die Weihnachten vollkommen überraschend kommt: Das Geschenkabo kann bis zum 24. Dezember um 14 Uhr an der Theaterkasse erworben werden und ist bis zum Ende der Spielzeit einlösbar!

Wenig Geld zu haben ist keine Garantie für ein gutes Theater

Ich möchte mich bei Ihnen sehr herzlich bedanken für Ihre Neugierde, Ihre Treue und Ihre Zuneigung. Wir sehen uns im Theater, zu Weihnachten, an Silvester oder im neuen Jahr!

Wie es einem selbst geht? Ein wenig müde fühle ich mich, wie so viele um mich herum – aber sehr froh mit diesem Theater! Mal sehen, ob und wie es weitergeht in den nächsten Jahren. Wenig Geld zu haben ist keine Garantie für ein gutes Theater. Und macht nicht immer glücklich. Aber das ist ein anderes Thema – aber ein Thema, das kommen wird 2020.

Ich wünsche Ihnen einen besinnlichen Advent, frohe Weihnachten und ein glückseliges Neues Jahr!