Das ist ein großes „Weh“ …
Der ukrainische Bass Taras Shtonda ist momentan Gast am Theater Bremen. Brigitte Heusinger, leitende Dramaturgin im Musiktheater, stellt ihn vor.
Taras Shtonda: Ich muss Sie warnen, ich spreche besser Deutsch als ich es verstehe. Sie müssen langsam mit mir reden.
Brigitte Heusinger: Ich werde mich gerne bemühen. Also: Sie gastieren an anderen Häusern mit der Partie, die sie in Bremen gerade singen, mit dem Großinquisitor in „Don Carlo“ von Giuseppe Verdi.
Taras Shtonda: Ja, 2012 habe ich die Partie in Kiew in der Ukraine schon gesungen, davor in Spanien, dann 2013 bei den Münchner Opernfestspielen an der Bayerischen Staatsoper.
Und Sie werden in diesem Sommer im Royal Opera House in London als Großinquisitor gastieren.
Taras Shtonda: Die Produktion war für 2020 geplant, wurde aber wegen Covid verschoben. Ich habe im Internet geschaut. Der ganze Cast wurde ausgetauscht, nur mein Name steht noch auf der Besetzungsliste. Wahrscheinlich hat Boris Johnson vor ein paar Monaten persönlich gesagt: „Bitte tastet mir das Engagement von diesem ukrainischen Sänger nicht an“.
Wie ist die politische Situation für Sie?
Taras Shtonda: Sie ist schwer. Unsere Armee ist fantastisch gut, fantastisch stark und war gerade sehr erfolgreich. Aber die Mobilmachung in Russland macht mir große Sorgen. Wir wissen nicht, wie viele Waffen wir noch aus der westlichen Welt bekommen werden und wie schnell. Der Kriegsverlauf wird davon abhängen.
Wie geht es Ihrer Familie?
Taras Shtonda: Mein Vater ist in Kiew, meine Mutter ist im Frühling während der Evakuierung in Polen gestorben. Das ist ein großes „Weh“ für mich. Aber ich muss damit klar kommen.
Seit dreißig Jahren sind Sie der Kiewer Oper verbunden, wird dort momentan Theater gespielt?
Taras Shtonda: Ja, seit Mai. Zuerst zweimal pro Woche, jetzt dreimal.
Möchten Sie nach Kiew zurückkehren?
Taras Shtonda: Das ist die Hauptfrage meines Lebens. Ich bin in Kiew geboren, habe dort am Konservatorium studiert. Bisher hätte ich nicht zurückkehren können, da ich die ganze Zeit in Bremen geprobt habe. Jetzt allerdings habe ich zwischen den Aufführungen Zeit. Wenn ich zurückkehre, besteht die Gefahr, dass ich nicht wieder ausreisen kann. Ich bin in einem Alter, in dem ich eingezogen werden könnte. Ich müsste meine Verträge mit den Theatern brechen. Und in Kiew würde ich auch nicht sofort Soldat. Ich kommuniziere mit meinen Kolleginnen und Kollegen am Opernhaus regelmäßig über eine Internetgruppe. Kein einziger Opernsänger wurde bisher eingezogen. Momentan gibt es in der Ukraine keine Mobilmachung, da sich gerade sehr viele junge Menschen freiwillig melden. Ich, der noch nie eine Waffe in der Hand gehalten habe, denke, dass ich meinem Land mehr Gutes bringen kann, wenn ich hier arbeite und Geld verdiene, mit dem ich die ukrainische Armee unterstützen kann. Ich habe im Frühling in Leipzig gearbeitet, danach in Litauen, in Schweden und jetzt in Bremen. Und so trage ich meinen Teil für unseren Sieg bei. Mein Bremer Vertrag hört am 16. Dezember auf und natürlich hoffe ich, dass der Krieg dann vorbei ist. Aber nur Gott kann das entscheiden.
Und jetzt doch noch eine Frage an den Opernsänger, die sehr typische Frage nach der Lieblingsrolle.
Taras Shtonda: Meine Lieblingsrollen sind Wagner-Rollen: Wotan in der Walküre, Hagen in der Götterdämmerung und Gurnemanz im Parsifal. Und natürlich nenne ich keine russischen Rollen.
Würden Sie, wenn man Sie fragt, eine ihrer Paraderollen, die Titelpartie in Mussorgskys „Boris Godunow“, singen?
Taras Shtonda: In Europa wäre ich einverstanden. Am Krieg haben Tschaikowsky und Mussorgsky keine Schuld. Man darf diese wunderbaren Komponisten nicht mit den russischen Aggressoren in einen Topf werfen. Ich würde Boris Godunow machen, aber ich habe noch kein Angebot bekommen und werde wahrscheinlich auch keines erhalten.
Als professioneller Künstler liebe ich immer die Partie, die ich gerade mache. Ich verliebe mich in den Charakter, das ist normal. Hier singe ich die kleine – nein, so klein ist sie wiederum nicht – die mittlere Rolle des Großinquisitors. Ich versuche etwas Gutes, etwas Starkes auszudrücken und den besten Weg zu finden, dem Publikum etwas zu zeigen. Die Vorstellung ist sehr interessant – wirklich. Sie gefällt mir. Es ist nicht leicht für uns Sängerinnen und Sänger, denn wir müssen uns viel bewegen. Am Einfachsten wäre es, sich an die Rampe zu stellen und zu singen. Aber das ist keine Oper, das ist Konzert. Wir haben eine phantastische Besetzung, und es ist für mich sehr angenehm mit meinen neuen Freunden auf der Bühne zu stehen.
Und wie geht es Ihnen in Bremen, das jetzt ja eine ganze Zeit lang Ihre Heimat sein wird?
Taras Shtonda: Ich mag Bremen sehr. Wirklich. Das Zentrum ist fantastisch schön, der Ostertorsteinweg, der Marktplatz, der Dom St. Petri und die Unser Lieben Frauen Kirche. Einige Plätze erinnern mich an Kiew, auch die Straßenbahn. In Kiew fahre ich immer mit dem Auto, nie mit der Straßenbahn, aber hier ist sie so modern, so bequem. Und so fahre ich in Bremen Straßenbahn mit großem Genuss.