Das März-Editorial: Das Lachen der Täter – Männerphantasien revisited
Michael Börgerding zum Denken und Agieren nach Hanau und Halle
„‚Lösungen‘ zeichnen sich nur da ab, wo die Haut der Anderen – grundsätzlich und selbstverständlich – geachtet und verschont wird. In Annäherung, oder auch freundlich auf Distanz gehalten: ‚Gehalten!‘“ Klaus Theweleit
Klaus Theweleit ist Literaturwissenschaftler, Kulturtheoretiker und Autor. Vor vierzig Jahren erschien mit Männerphantasien seine große Untersuchung über die sexuelle, psychologische und soziopolitische Vorgeschichte des Nationalsozialismus in der Weimarer Republik. Diese zwei Bände – erschienen im Verlag Roter Stern, später bei Rowohlt als Taschenbuch zu haben – haben uns, die wir in den frühen Achtzigern studierten, geprägt wie kaum ein anderes Werk. Angesichts der Rückkehr rechten Straßenterrors und faschistoider Positionen, die viele schon an Weimarer Verhältnisse denken lassen, hat der Matthes & Seitz-Verlag im letzten Jahr eine Neuauflage veröffentlicht – mit dem Ergebnis, dass ein eigentlich nicht vergessenes, aber vielleicht nicht mehr gelesenes Buch wieder entdeckt wurde von einer neuen jungen Generation von Männern und Frauen, die sich nicht vorstellen konnten, dass es das noch immer oder wieder gibt: Tötungslust in faschistischen, neonazistischen Zusammenhängen hier und heute. Elfriede Jelinek, deren Stück Das schweigende Mädchen über Beate Zschäpe und den NSU-Komplex wir im März zum vorerst letzten Mal spielen, schrieb angesichts der Neuauflage: „Ich habe das Buch damals sofort gelesen, es ist und bleibt ein Monolith, ich würde sagen: ‚unerreicht’.“
2015 veröffentliche Theweleit eine erweiterte Vorlesung zum Psychogramm der Tötungslust: Das Lachen der Täter: Breivik u.a.. The Killer smiles. Zwar habe er auch andere Vergnügungen. Aber diese sei seine größte. Eine Entdeckung von Sergio Leone in seinem Italo-Western Spiel mir das Lied vom Tod und eine, so Theweleit, hochkarätige theoretische Einsicht: die vom Lächeln oder Lachen als emblematischem Abzeichen des Killers. Und Theweleit geht sie durch, die Reihe der lächelnden Killer, Anders Breivik, der selbsternannte Tempelritter, der 67 Jugendliche auf der norwegischen Insel Utøya erschießt; die Killer des sogenannten Islamischen Staats, die grausame Köpfungen im Internet ausstellen; fanatisierte Attentäter, die die Karikaturisten von „Charlie Hebdo“ hinrichten; Kindersoldaten, die im Genozid an der Tutsi-Bevölkerung in Ruanda gelernt haben, zu morden und zu vergewaltigen. Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe und ihre Fans, Gigi und die braunen Stadtmusikanten zum Beispiel, die anderthalb Jahre, bevor aufgedeckt wird, dass hinter der Mordserie der NSU steckt, eine CD veröffentlichen konnten mit dem Song „Döner-Killer“: „denn neun sind nicht genug.“ Oder den rechtsextremen Internet-Versand rcqt, der T-Shirts vertreibt mit einer Maske in Döner-Form und der Aufschrift „Killer-Döner – Nach Thüringer Art“. Theweleit schreibt: „Nichts ist so lustig wie das ‚Verrecken der Zecken’. Zeitungsleser mit ein bisschen Gedächtnis werden sich erinnern: die Leute, die das NSU-Trio trafen, bevor es aufflog, in Ferien, an Stränden oder auch nachbarschaftlich, stimmen darin überein, wie ‚lustig’ und aufgekratzt die drei immer waren. Richtig erfreuliche angenehme Zeitgenossen.“ Und dann kommt ein Satz, den man nicht vergisst: „Zschäpe sagt nichts vor Gericht, weil sie sonst ausbräche in Gelächter.“
Noch weiß man wenig über das Psychogramm der Täter von Hanau oder Halle. Es wäre aber eine große Überraschung, wenn sie die Welt anders beschreiben würden als der Tempelritter Breivik oder eben die deutschen Freikorpsleute, die Theweleit in den Männerphantasien als „soldatischen Mann“ untersucht hat. Es geht um die Wahrung einer bedrohten hierarchischen Ordnung, in der Männer vor Frauen, Weiße vor Nicht-Weißen und Christen vor Muslimen rangieren.
Theweleit: „‚Der soldatische Mann‘ (zugespitzt: ‚der Faschist‘) ist eben kein klinischer Fall; so ‚krank‘, so ‚borderlining‘, so ‚schizophren‘, so ‚narzisstisch‘ oder auch ‚dumm‘ er in den Augen überlegener Therapeuten erscheinen mag. Er ist vielmehr das, was er sich unter einem ‚richtigen Mann‘ vorstellt. Er guckt nicht zu. Er geht nicht ‚unter‘ in der Flut. Er ist aktiv. Er handelt. Er richtet die Welt zu; so wie sie in seinen Vorstellungen zugerichtet gehört.“ Theweleit bezeichnet den Körpertyp „soldatischer Mann“ als „Nicht-zu Ende-Geborenen“, gekennzeichnet durch Erhaltungsmechanismen wie Entdifferenzierung und Entlebendigung. Beide vollziehen sich als massive Gewalteingriffe in die äußere Welt. Es sind halluzinatorische Wunscherfüllungen, die sich realisieren in Wahrnehmungsidentitäten. Theweleit nennt drei davon, die sich in den Gewaltakten der soldatischen Männer ständig wiederholen: „leerer Platz“ („Wenn alles ringsum voller Blut – aber nicht von unserem eigenen! – ist, sind wir heil. Ganz und glücklich.“), „blutiger Brei“ („Ein Schuss und die Meute rennt. Der Platz ist leer. Wir können zaubern.“) und „Black Out“ („Ob ich euer König werden will? Werd’s mir überlegen, ob Ihr es verdient – Oh, mir wird ganz schwarz vor Augen, vor lauter Siegestaumel“).
Alle drei Identitäten, sagt Theweleit, führen zu einer momentanen körperlichen Erleichterung, die sich bevorzugt in exzessiven Gelächter Bahn bricht. Von diesem Gelächter berichten vor allem Opfer der Gewalt, aufgezeichnet von Journalist*innen und Künstler*innen. Ihre aktuellen Aufzeichnungen in Zeitungen, Romanen, Filmen wie Aus dem Nichts oder Theaterstücken wie Das schweigende Mädchen bestätigen ihr Fortdauern. „Fast alles stimmt noch in schrecklichster Weise“, bilanziert Theweleit vierzig Jahre nach seiner Studie über die Gewaltgeschichte in männlichen Körpern.
Hilft es einem, wenn man das liest, wenn man das weiß? Wie reagieren wir als Mensch, als Bürger*in, als Theatermensch auf diese schrecklichen Ereignisse? Ich würde denken, eher mit dem, was wir können, mit Theater und nicht mit Bekenntnissen. Das schweigende Mädchen, Aus dem Nichts, aber auch Vögel, Coexist oder Nana kriegt keine Pocken sind Reaktionen auf die Gewalt und ihre Opfer, erzählen etwas von Männerphantasien, rechter Gewalt und Geschlechterverhältnissen. Genau wie unsere Gesprächs- und Informationsreihe Nach den Rechten sehen. Reicht das? Es ist eine Frage, die uns begleiten wird.
Der Schluss gehört Klaus Theweleit:
„Kein ‚Politiker‘, keine ‚Wissenschaftlerin‘, kein ‚Journalist‘, keine ‚Analytikerin‘ kann irgendetwas davon dauerhaft lösen. ‚Wir‘ (die ‚Wirs‘ aller Sorten) müssen das im Alltag tun. Dort ‚lösen‘ sich bekanntlich selten (oder: nie) Probleme. Sie werden beackert, hin- und hergeschoben; verdrängt, überlagert von ‚jeweils‘ alltäglich Nächstliegendem. Was ‚auf den Nägeln brennt‘, ruft nach Bearbeitung (& wird erst recht verdrängt). Und dann, Hals über Kopf, entschieden.
(Hals über Kopf!)“
„While others say don’t hate nothing at
all execept hatred“
Bob Dylan: It's Alright, Ma (I'm Only Bleeding)