„Das Meiste ist Vergangenheit und sehr viel ist Zukunft.“

In der Reihe Ein Stück Gegenwart. Salon zu neuer Dramatik ist im November Svenja Viola Bungarten zu Gast. Dramaturgin Sonja Szillinsky hat mit ihr gesprochen.

In einigen deiner Stücke, z. B. in Die zweite Sonne oder Die Zukünftige, verknüpfst du feministische Themen mit Szenarien der globalen Klimaveränderungen. Wie wichtig ist das Zusammendenken von Feminismus und Erderwärmung aus deiner Sicht?

Svenja Viola Bungarten: Die Klimakatastrophe als Konsequenz einer rücksichtslosen Emissions- und Rohstoffpolitik vergangener Jahrzehnte steht in direkter Verbindung zu einem patriarchalen, kolonialistischen Kapitalismus. Global sind von der Ausbeutung des Planeten vor allem diejenigen betroffen, die Care-Arbeit für den Planeten und Menschen auf dem Planeten leisten. Ich denke, es kann keine ökologische Gerechtigkeit ohne soziale Gerechtigkeit und ein neues feministisches, antikapitalistisches und antirassistisches Bewusstsein geben.

Eine deiner Figuren im Stück Garland – der Filmemacher Salvatore Brandt – beschäftigt sich mit der These von der Katastrophe als Zustand. Er versteht die Katastrophe nicht „als kathartisches Ereignis“, sondern „als Basis allen möglichen Denkens.“ Welches Katastrophenbild liegt dem Gedanken zugrunde und welche Folgen hat dieses Verständnis für die Handlungsmöglichkeiten der Figuren?

Also im Stück geht es um den Umgang mit der Dürre, einer Art der Katastrophe, die eher ein Zustand ist, als ein Ereignis, oder genau genommen ein langfristiges Ereignis, das die Katastrophe in Normalität und somit in einen Grundzustand verwandelt. Für die Figuren geht es in dem Stück darum, dass sie ihre Handlungsmacht behalten, auch wenn ihre Gegenwart katastrophal ist.

Gerade arbeitest du auch an deinem Debüt-Roman. Worum geht es darin und wann wird er erscheinen?

In meinem Debütroman, der 2026 bei Hanser Berlin erscheinen wird, verlieren zunehmend mehr Frauen im öffentlichen Raum das Bewusstsein, einige dieser Frauen geben während ihrer Ohnmacht Vorhersagen über die Zukunft von sich. Als diese teilweise eintreten, wird eine Gruppe aus Wissenschaftlerinnen auf die neue Symptomatik aufmerksam. Unter dem Banner der Heilung und Aufklärung entspinnt sich ein brutaler Kampf um Information, Deutung und Macht. Ich möchte in meinem ersten Prosatext die literarischen Genres Autofiktion und Science-Fiction miteinander verschränken – und zeigen, dass das kein Widerspruch sein muss. Übergeordnet interessiert mich dabei, wie ein neuer, zum Beispiel feministischer, nicht-linearer Blick auf die Vergangenheit unser Verhältnis zur Zukunft verändern kann.

Unterscheidet sich der Schreibvorgang eines Prosatextes von einem dramatischen Text für dich?

Es ist ein riesiger Unterschied, ob man einen Text schreibt, der sich leise gelesen in die Gedanken einer Person mischen soll, oder einen Text, der vor einem Publikum laut gesprochen wird. Im Sinne des Vorgangs kann ich momentan vor allem sagen, dass ein guter Prosatext für mich erst einmal mehr Zeit braucht als ein guter Theatertext. Auch arbeite ich für Theatertexte sehr stark an der Zuspitzung von Charakteren und denke viel über ihre Verbindung mit meinen Themen nach, während ich beim Prosaschreiben das Gefühl habe, stärker in einen Dialog mit mir selbst zu treten. 

Du arbeitest ja zum Teil auch kollektiv. Welche Arbeitsweisen haben sich für dich als produktiv erwiesen?

Es ist immer gut „Rücken“ zu haben, also vor allem positiven Support abseits der Abhängigkeit von Institutionen zu erhalten. Aber positiv meint hier vor allem konstruktiv. In Kollektiven habe ich die Erfahrung gemacht, dass es einfach sehr maßgeblich ist, in einem geschützten Raum ehrlich Meinungen auszutauschen und anzunehmen. 

Unsere Reihe zu aktueller Dramatik heißt Ein Stück Gegenwart. Was bedeutet „Gegenwart“ für dich? Was würdest du als gegenwärtig bezeichnen?

Das Meiste ist Vergangenheit und sehr viel ist Zukunft. Schwierig zu sagen, was Gegenwart ist – ich glaube, das ist dann wohl Gegenwart: Das, was immer gerade schon gone ist. Also, unsere Gegenwart ist wahrscheinlich immer der Verlust von Gegenwart als Zustand. 

 

Svenja Viola Bungarten ist am 26. November zu Gast in der Reihe Ein Stück Gegenwart. Salon zu aktueller Dramatik im noon / Foyer Kleines Haus, Beginn ist um 19.30 Uhr.

 

 

Veröffentlicht am 19. November 2024