Das Weiße Schweigen – oder: „Du siehst zu viel Rassismus“
Arpana Aischa Berndt, Kolumnistin für das Missy Magazine und Autorin, über die Gefahr des Nichtstun, Solidaritätsprinzipien und Unsicherheiten.
Arpana Aischa Berndt, Kolumnistin für das Missy Magazine, ist Autorin und in der politischen Bildungsarbeit tätig. In ihren Workshops behandelt sie Fragen zu Allyship, Allianzen und Rassismuskritik, am Theater Bremen ist sie bei After Tomorrow #3 nun virtuell zu Gast mit dem Webinar „How to be an ally“ am 16. Mai.
Warum so still?
Alle sprechen und schreiben über Corona. „Das Virus kennt keine Hautfarbe“ stand irgendwo auf Instagram. Sicherlich wollte die Person, die das geschrieben hat, damit sagen, dass wir nun alle zusammen gleichermaßen in der Krise stecken würden. Dem ist aber nicht so. Denn das Virus greift keine Machtstrukturen an – stattdessen wird nun nur noch deutlicher, dass es sie gibt: Rassismus ist immer noch da und hat immer noch negative Auswirkungen auf Betroffene. Trotz und zum Teil auch gerade wegen Corona. Einerseits erleben asiatisch gelesene Menschen täglich Anfeindungen im Zusammenhang mit dem Virus. Andererseits ist Rassismus der mehrheitsgesellschaftlichen Aufmerksamkeit entzogen. Über das Attentat von Hanau spricht heute kaum jemand, obwohl es noch nicht mal einen Monat her ist.
Schweigen ist nicht neutral
In der Rassismuskritik heißt es Weißes Schweigen, wenn sich weiße Menschen nicht zu Rassismus äußern. Schweigen ist nicht neutral. Wer auf der Straße nichts dagegen unternimmt, dass eine Person verprügelt wird, sorgt mit dafür, dass diese Gewalt sich fortsetzt. Ähnlich verhält es sich mit Diskriminierung. Wer in Fällen von situativem oder strukturellem Rassismus nichts unternimmt, unterstützt auch diese Gewalt. Dabei ist Diskriminierung für Nicht-Betroffene aber viel schwerer zu erkennen als körperliche Gewalt. Es ist Teil eines Privilegs, sich nicht mit bestimmten Diskriminierungsformen auseinandersetzen zu müssen. Weißes Schweigen beschützt und festigt weiße Privilegien. Wenn eine weiße Person also auf der Straße mitbekommt, wie eine andere Person rassistisch beleidigt wird, muss sie erst einmal erkennen, dass es sich dabei um Rassismus handelt.
Jede Handlung, jedes Eingreifen, aber auch jedes Nichtstun hat Auswirkungen auf die*den Betroffene*n
Manchmal ist es glasklar, andere Male vielleicht nicht so offensichtlich. Vielleicht werden rassistische Beleidigungen nicht direkt als rassistisch erkannt, sondern durch Tonfall und Gestik nur als „normale Beleidigungen“ gelesen. Um rassistische Aussagen zu erkennen, muss man sich vorher schon mit Rassismus auseinandergesetzt haben. Und um entsprechend reagieren können, muss man genau verstehen, was in einer Situation passiert. Denn je nach Situation ergeben sich unterschiedliche Handlungsoptionen, Gefahren und Grenzen: Ist es Tag oder Nacht? Sind noch andere Menschen auf der Straße? Bin ich allein oder mit Freund*innen unterwegs? Solidarisieren sich die Menschen um mich herum mit der*dem Betroffenen oder der Täter*in? Könnte die verbale Gewalt in körperliche umschlagen? Wenn ich – als Person of Color – in eine rassistische Situation eingreifen möchte, kann ich schnell von einer Helferin zur Betroffenen werden. Was nicht heißen soll, dass ich nicht die betroffene Person unterstützen sollte. Doch meine Handlungsoptionen, um mich und die betroffene Person zu schützen, sind an meine Person gebunden. Also ein weiter Faktor: Aus welcher gesellschaftlichen Position handele ich? Eine weiße Person hat im Kontext von Rassismus einen anderen Handlungsspielraum als Personen of Color. Jede Handlung, jedes Eingreifen, aber auch jedes Nichtstun hat Auswirkungen auf die*den Betroffene*n. Weißes Schweigen entsteht aus der Angst etwas Falsches zu sagen, aus der Unsicherheit im Umgang mit Rassismus, aus mangelnder Erfahrung und dem Fehlen von Wissen.
„Das muss ein richtiges emotionales Thema für dich sein, ich verstehe, dass das schwierig für dich ist, aber wir schaffen das“
Tatsächlich habe ich schon oft Situationen erlebt, in denen weiße Menschen die Situation verschlimmert haben, indem sie etwas gesagt haben – obwohl ihre Intention war, Personen of Color zu unterstützen. In einer Diskussionsrunde, in der es um rassistische Sprache an der Universität ging, sagte zum Beispiel eine weiße Person zu mir (während alle andere anderen schwiegen und mitleidig schauten): „Das muss ein richtiges emotionales Thema für dich sein, ich verstehe, dass das schwierig für dich ist, aber wir schaffen das“. Mir Emotionalität beim Thema Rassismus zu unterstellen, lenkt die Diskussion über strukturelle Diskriminierung auf mich als Person und beinhaltet die Behauptung, ich könne auf Grund meiner Gemütslage nicht so rational denken wie die weißen Personen im Raum. Ich konnte aber klar denken und die rassistischen Begriffe, um die es ging, gut in den historischen Kontext und den aktuellen Rassismusdiskurs einordnen. Was im Gespräch also deutlich wurde: Während viele schwiegen, ein paar sagten „ist ja nicht so schlimm, ist ja nicht böse gemeint“ und die eine Person über Emotionalität reden wollte, haben ich (und eine weitere Person of Color) Wissen über Rassismus zur Verfügung gestellt. Ich frage mich, was passiert wäre, wenn ich und die andere Person of Color nicht im Raum gewesen wären. Schließlich muss auch über Rassismus gesprochen werden, wenn keine negativ betroffene Person im Raum ist. Das passiert aber seltener. So wird Betroffenen zum einen Arbeit aufgelastet. Zum anderen festigen sich rassistische Strukturen in Kontexten, in denen keine Betroffenen anwesend sind.
Hilfe kann schnell zu Bevormundung werden oder in Wahrheit nur die Interessen Privilegierter befriedigen anstatt die Bedürfnisse Betroffener
„Du siehst zu viel Rassismus“, hat mir mal jemand vorgeworfen, als würde das Problem in meiner Wahrnehmung liegen. Ich sehe Rassismus beim Einkaufen, bei Arztbesuchen, bei Hauspartys, bei meiner Arbeit in der Literaturzeitschrift, im Studium. Genauso wie sich Rassismus in alle Lebens- und Arbeitsbereiche zieht, sich in Strukturen verankert und immer Auswirkungen auf Schwarze Menschen und Personen of Color hat, muss sich die Unterstützung Privilegierter in all diese Bereiche ziehen – damit es möglich ist, Strukturen zu verändern. Die Frage, wie Unterstützung aussehen kann, ist schwer in wenigen Zeilen zu greifen. Die Antwort darauf muss als Prozess verstanden werden. Denn Menschen und Erfahrungen sind unterschiedlich. Hilfe kann schnell zu Bevormundung werden oder in Wahrheit nur die Interessen Privilegierter befriedigen anstatt die Bedürfnisse Betroffener. Wenn wir über Rassismus reden, müssen wir das auch über Sexismus, Ableismus, Klassismus und Trans*feindlichkeit und die Überschneidung dieser Diskriminierungsformen tun. Das mag überwältigend wirken und ist auch herausfordernder als Schweigen, aber das sind Rassismuserfahrungen auch.