„Wer lacht, der kann nicht gleichzeitig den Rollladen runterlassen, den inneren“
Magdalena Schrefel ist zu Gast bei Ein Stück Gegenwart. Salon zu neuer Dramatik. Schauspieldramaturgin Sonja Szillinsky hat sie interviewt.
Sonja Szillinsky: Du schreibst Theaterstücke, Prosa und auch Hörspiele – wie wichtig ist dir der Sound eines Textes? Wie stark denkst du beim Schreiben über Töne und Klänge nach?
Magdalena Schrefel: Tatsächlich schreibe ich mehr entlang von Klang, Sound und Rhythmus als von Bildern für oder Handlung auf der Bühne, weil ich zwar stark in Bildern denke, aber diese eben immer sofort in eine Stimme, in Sprache, in ein Sprechen (oder manchmal auch Stammeln) übersetze. Das ist das Einzige, was ich kann. Das ist, wie ich denke.
Unsere Reihe zu aktueller Dramatik heißt Ein Stück Gegenwart: Welche Rolle spielt Gegenwärtiges in deinem Schreiben?
Jeder meiner Texte ist die Antwort auf eine Frage, die ich mir persönlich in diesem Moment stelle – und die haben oft mit unserer Gegenwart zu tun –, aber gleichzeitig führen diese Fragen früher oder später eigentlich immer zu einer Variation der einen zentralen Frage, die mich als Autorin seit Beginn meines Schreibens beschäftigt: Was tun wir, wenn wir einander Geschichten erzählen? Und das ist, glaube ich, eine ganz und gar überzeitliche Frage, die uns mit der Vergangenheit so sehr wie mit der Zukunft verbindet.
In deinem Stück Archiv der Tränen ist unser lineares Verständnis von Zeit außer Kraft gesetzt. Du schreibst: „Hier ist alles Gegenwart, auch die Vergangenheit.“ Welche Art von Raum ist das Archiv der Tränen? Was wird hier archiviert?
Das Archiv der Tränen ist ein Raum wie ein abgegriffener Pappkarton ohne Wand – den es nur auf einer Theaterbühne gibt und auch nur dort geben kann –, was ihn nicht kleiner, mindestens aber größer macht; es ist ein Raum wie ein komplexes Beziehungsgefüge – das nur im praktischen Zusammenspiel von Stimmen, Körpern und Erinnerungen entstehen kann –, das in der Dauer seine Wirkung entfaltet; und es ist der Ort, an dem ich manchmal selber gern sein würde, weil unsere Affekte auf ihren flüchtigsten Trägermedien, den Tränen, dort nicht nur archiviert werden, sondern wir ihnen begegnen können, in Verbindung und Verbundenheit mit anderen.
Welche Räume siehst du in unserer Realität für den Schmerz, die Trauer und das Unsagbare, das Menschen erleben?
Ich glaube, das Theater ist zum Beispiel ein ganz hervorragender Raum dafür!
In deinem zuletzt erschienenen Theaterstück Die vielen Stimmen meines Bruders erzählst du von zwei Geschwistern, die sich gemeinsam auf die Suche nach einer passenden Stimme für die zukünftige Sprachassistenz des Bruders machen, dem es aufgrund eines seltenen Gendefekts immer schwerer fällt zu sprechen. Du hast sehr viel Aufmerksamkeit für den Text bekommen – auch, weil er als Beitrag zu den vieldiskutierten Fragen rund um Inklusion und Disability Mainstreaming gelesen wird. Im Theater wird seit einigen Jahren die Frage nach Repräsentation neu verhandelt. Für welchen Weg hast du dich in deinem Stück entschieden?
Das Stück ist ja ein rein fiktionaler Text, in dem jedes Wort und jede Szene erfunden ist, aber es muss sich eben auch an einer Realität messen: Dass ich eine Schwester bin, die schreibt, und dass ich mit meinem Ko-Autor Valentin Schuster einen Bruder habe, der tatsächlich von der Eingeschränktheit seiner Sprechstimme betroffen ist. Dieses Stück zu schreiben, war nur möglich in Einverständnis und Zusammenarbeit mit meinem Bruder. Und gleichzeitig haben sich alle Fragen nach Repräsentation aus der Erzählung selbst ergeben – ich hatte mir also nicht vorgenommen, darüber zu schreiben, was es heißt, für jemand anderen zu sprechen, gleichzeitig war jedoch von Anfang an klar, dass sich diese Geschichte eben nur so erzählen lässt: indem ausreichend markiert und miterzählt wird, dass hier jemand, eine Schwester, eine Geschichte erzählt. Und dass das Geschichtenerzählen eben immer auch eine Form von Projektion darstellt – der eigenen Ideen, Sehnsüchte und Ängste. So sind aus meinem Bruder und mir zwei Figuren in einem Stück geworden: MEIN BRUDER und SEINE SCHWESTER.
Dein Text hat – wie alle deine Texte – einen ganz besonderen Humor. Zum Beispiel weiß die Figur MEIN BRUDER sehr schnell, dass ihm eine einzige Stimme nicht ausreichen wird und dass er unterschiedliche Stimmen für unterschiedliche Situationen zur Verfügung haben möchte. Es beginnt ein großes, zum Teil sehr witziges Stimm-Casting. Welche Chance steckt für dich darin, über Humor einen Zugang zu Themen zu suchen?
Ich glaube, wer lacht, der kann nicht gleichzeitig den Rollladen runterlassen, den inneren, meine ich, der uns manchmal daran hindert, Empathie zu empfinden, mitzufühlen, uns anstecken zu lassen. Und weil Theater für mich eine Begeisterungsmaschine ist, ist Humor ein Schmiermittel, das die Maschine ölt, damit sie ihre Arbeit verrichten kann.
Am 5. Juni 2024 ist Magdalena Schrefel zu Gast in der Reihe Ein Stück Gegenwart. Salon zu neuer Dramatik im noon / Foyer Kleines Haus, Beginn ist um 20 Uhr.