Der Wald, mein Zuhause
„Ronja Räubertochter“ kommt zurück auf die Bühne im Theater am Goetheplatz: gespielt von Shirin Eissa, die hier einen kleinen Einblick in Ronjas Welt gibt.
Pssst. Der Wald schläft noch.
Ich ziehe die Schuhe aus und lasse sie am Waldesrand stehen. Stopfe meine Socken rein und patsche barfuß zwischen die Tannen.
Das ist meine Lieblingszeit. Wenn die meisten Menschen noch schlafen, aber die Natur und die Tiere langsam aufwachen. Die Sonne ist gerade aufgegangen und küsst mit jedem Sonnenstrahl die Erde wach. Ich mache die Augen zu und spüre, wie warm die Sonne auf mein Gesicht scheint. Wie schön das ist! Ich öffne die Augen und schaue den Rehkids dabei zu, wie sie ihre morgendlichen Dehnübungen machen.
Ich spüre das Moos unter meinen nackten Füßen und atme die frische Luft.
Es riecht immer noch nach Regen. Dabei regnet es gar nicht mehr.
Das Laub am Boden ist ganz bunt und ich werfe mich hinein, bis ich ganz dreckig bin.
Ich springe in die Pfützen auf dem Pfad, bis mein Körper voller Matsch ist.
Ich schreie in den Wald, bis die Vögel mit einsteigen und wir schließlich gemeinsam singen.
Ich renne und renne bis zu der Stelle, wo ich nicht mehr kann.
Ich hocke mich hin und schau dem Gras beim Wachsen zu.
Hör wie die Bienen ihre Arbeit tun, von Blüte zu Blüte fliegen.
Als eine Biene an mir vorbeifliegt, sage ich „Danke für eure Arbeit, ihr fleißigen Bienen“. Dann kriege ich Lust, mich bei allem zu bedanken, was ich liebe. Ich springe auf und laufe zum ersten Baum. Eine große Buche. Ich falle der Buche um den Hals und drücke ihr einen dicken Kuss und ein lautes „Danke, dass du da bist“ auf den Stamm. Näher‘ mich einem Marienkäfer und sage „Danke du fliegendes Pünktchen, dass du hin und wieder auf meinem Arm pausierst und mir Glück bringst.“ Hüpfend und tanzend laufe ich weiter, und spreche mit allem, was mir in den Weg kommt: „Danke Wurm, dass du unseren Boden lockerst und danke Regen, dass du die Pflanzen gießt. Danke Pflanzen, dass ihr mir die Luft zum Atmen gebt und danke Sonne, dass du dem Wald die Energie gibst, die er braucht. Danke Pilz, dass du so viele Lebewesen versorgst und danke Eichhörnchen, dass ihr die Baumsamen sammelt und verteilt.“ Dann mache ich meinen Frühlingsschrei und rufe schließlich, so laut ich kann zwischen alle Bäume, so laut, dass die Vögel aufschrecken und davonfliegen: „Und danke Birk, mein Bruder, dass du immer zu mir hältst.“
Dann setze ich mich auf den Boden einer Lichtung. Meine Arme fest um meine Knie geschlungen und schaue in den Himmel.
Ich schaue zu, wie die Sonne dem Mond die Hand reicht und es langsam dunkel wird. Gleich kommen die Sterne. Dann sollte ich nach Hause gehen.
Sterne sind Zauberstaub. Die sind voller Magie. In den hellsten Stern am Himmelszelt lege ich manchmal einen Wunsch. Und während ich schlafe, versucht der Stern, meinen Wunsch zu erfüllen. Wenn ich Glück habe, klappts, das kommt drauf an wie viel die Sterne gerade zu tun haben.
Ich denke an Birk, er fehlt mir. Ich denke daran, wie wir durch den Wald rennen und ein Lagerfeuer machen. Ich schaue zum hellsten Stern und wünsche mir, morgen mit Birk in den Wald zu gehen und Pilze zu sammeln. Schließlich ist alles schöner, wenn man es zusammen macht.
Sobald es Morgen ist und der Stern nicht mehr zu sehen, wird mein Wunsch in Erfüllung gehen. Deswegen ist der Morgen meine Lieblingszeit. Weil da werden die Wünsche wahr und ein neues Abenteuer beginnt.
Veröffentlichung: 04.11.22