Die Kraft, zu fliegen

Sasha Yankevych startet mit seiner ersten Produktion als Erster Kapellmeister am Theater Bremen. Die Dramaturgin Frederike Krüger hat ihn getroffen.

Beschäftigt man sich mit Mozart, so kommt man um zwei Begriffe nur schwer umhin: „Wunderkind“ und „Genie“. Glaubst du an das Konzept der Genialität?

Sasha Yankevych: Auf jeden Fall. Es gibt diese Menschen, die in einem bestimmten Bereich Außergewöhnliches leisten. Mozart konnte als Kind bereits Dinge, die andere Menschen ihr Leben lang nicht erreichen. Er spielte Instrumente und komponierte Musik, die von Anfang an etwas Großartiges hatte. Es gibt Menschen, die sind talentiert. Aber dieser Typ, Mozart, der war noch etwas Anderes. Definitiv ein Wunderkind.

Für Mozart war der Weg durch seinen Vater Leopold, selbst Musiker, in gewisser Weise vorgezeichnet. Wie war das bei dir?

Meine musikalische Reise begann relativ spät, etwa mit zwölf Jahren. Andere spielten zu diesem Zeitpunkt bereits ein Instrument, das war bei mir anders. Ich saß in der Schule und unser Musiklehrer fragte, wer Violine oder Klavier spielen wolle. Ohne darüber nachzudenken, riss ich meinen Arm hoch. Dann spielte ich auf einem Klavier – und es war Liebe auf den ersten Blick.

Wie ging es dann weiter?

Obwohl ich so spät begann, Klavier zu spielen, wurde ich schnell immer besser. Ich übte und übte und als ich merkte, dass das, was mir so viel Freude bringt, meine Profession sein könnte, war mir sofort sehr klar, dass das der Weg ist, den ich gehen wollte.

Dann hieß es also Üben statt Bolzplatz …

Ja, das war manchmal schon ein Albtraum, wenn deine Freunde draußen Fußball spielten und du selbst üben musstest. Aber ich wollte es so. Ich quälte mich durch die Etüden von Carl Czerny und Bach, wie es alle Pianist:innen machen müssen. Und als ich mein erstes Stück von Chopin spielte, wusste ich, ich habe es geschafft. Weil ich wusste, wenn du Chopin spielst, dann bist du bereit, etwas wirklich Schönes zu erschaffen. Diesen Moment sehe ich noch ganz klar vor mir, ich dachte „Oh mein Gott, da liegt ein ganzes Universum vor mir und es gehört mir“. Irgendwie so.

Hattest du nie Angst, es nicht zu schaffen?

Wenn du anfängst und naiv genug bist, wenn du noch wenig vom Leben weißt, dann denkst du, du wirst irgendwann die Nummer 1 der Welt sein. Das sollte auch dein Ziel sein.  

Anders lässt sich der Druck wahrscheinlich kaum aushalten …

Ja, du musst an dich selbst glauben. An dein Talent und dass du es schaffen kannst. Die Konkurrenz ist so groß, es wird immer jemanden geben, der besser ist als du. Wahrscheinlich schon direkt hinter der nächsten Tür. Also musst du etwas in dir suchen, was dich trägt und was dir immer wieder Hoffnung gibt und die Kraft, zu fliegen.

Es braucht also einen gewissen Idealismus?

Absolut.

Und wie sieht es mit Menschen aus, die dir die Hand reichen und Türen öffnen?

Die braucht es genauso. Ohne meine Musiklehrer aus der Schule, meine Professoren und Menschen, die mir eine Chance gegeben haben, wäre ich nicht da, wo ich bin. Es muss immer Menschen geben, die an dich glauben. Da danke ich vor allem meiner Mutter. Das musst du unbedingt schreiben! (lacht.) Sie war der Hauptantrieb bei all den Dingen, die ich gemacht habe. Ich bin hier, weil es sie gibt. Nach dem Studium in Polen kam ich als Korrepetitor ins Opernstudio der Oper Zürich. Ich liebte das Klavier, ich liebte die Sänger:innen, das war meine Welt. Dann ging ich in gleicher Position nach Stockholm. Wir probten gerade Król Roger von Karol Szymanowski. Weil ich polnisch spreche, war das einfach mein Stück. Dann fiel der Dirigent aus und plötzlich hieß es, ich solle die Proben dirigieren. Ich dachte erst, das wäre ein Scherz. Ich hatte keinerlei Erfahrungen im Dirigieren.

Du hast dir das Dirigieren also nicht ausgesucht, sondern umgekehrt?

Ja. Ich war mir sicher, dass ich schlecht darin sein würde. Aber ich habe es ausprobiert und es hat sich vom ersten Moment an total natürlich angefühlt. Ich habe mich sofort wohlgefühlt. Und als wir dann auf die Bühne gingen und ich vom Graben aus das Orchester und die Sänger:innen dirigierte, dachte ich, so müsste der Himmel sein.

Wie ging es dann weiter?

Ich durfte an der Oper Bordeaux ein Konzert mit dem Tenor Benjamin Bernheim dirigieren. Davon gab es eine Aufnahme, die ich zum Toscanini-Dirigier-Wettbewerb nach Parma schickte. Das war vielleicht wieder ein bisschen naiv … Ich war immerhin ein kompletter Anfänger und war mir sicher, dass ich nicht eingeladen würde. Aber dann kam die Einladung, ich machte den zweiten Platz. Da war mir klar, ich habe zwar keine Erfahrungen im Dirigieren, aber ich habe ein gutes Gespür und eine gewisse Begabung: Ich will dirigieren.

Nun bist du seit Januar dieses Jahres in Bremen. Mozarts La clemenza di Tito ist deine erste Produktion. Wie fühlt sich das an?

Sehr gut. Ich freue mich über die Arbeit mit dem Orchester und dem Ensemble. Die Proben mit dem Regisseur Marco Štorman sind eine tolle Erfahrung, wir haben eine sehr ähnliche Vorstellung von dem, was wir da zusammen schaffen wollen.

Du hast zuletzt viel in Italien, Hamburg und Kopenhagen gearbeitet.

Ja, aber eigentlich spielen die Orte für mich keine Rolle. Ich diene immer der Musik und dem Publikum. Ich mache an anderen Orten keinen anderen Job, sondern konzentriere mich ganz auf das Stück, was vor mir liegt. Meine größte Aufgabe ist, dass alle sich wohlfühlen und wir etwas Gemeinsames schaffen.

Spielt es für dich eine Rolle, dein Debüt in Bremen mit einem Stück von Mozart zu geben?

Mozart war immer ein enorm wichtiger Komponist für mich. Als Pianist habe ich viele seiner Sonaten für Klavier und Violine gespielt, ich habe viele seiner Opern mit Sänger:innen einstudiert … In all seinen Kompositionen spürt man seine Liebe für die Stimme, selbst wenn es gar keinen Gesang gibt. Die Oper war alles für ihn, das merkt man in jeder Melodie. Mozarts Musik ist so pur, deswegen wirkt sie so direkt. Es gibt keine unnötigen Schnörkel und Verzierungen. Er brachte das Menschliche in die Musik.

In Titus geht es um die Frage, ob es „milde Macht“ und „gütige Herrschaft“ geben kann. Wie ist dein Verhältnis zur Macht als Dirigent?

Ich habe durch meine Position eine gewisse Macht. Aber die ist mir nicht wichtig, es geht mir immer darum, eine gute Beziehung aufzubauen zwischen dem Orchester, dem Ensemble auf der Bühne und mir. Ohne die bin ich nichts, denn sie produzieren den Klang. Meine Aufgabe ist es, zu beobachten, zu analysieren und Impulse zu geben für eine gemeinsame Klangsprache.

Titus war Herrscher eines totalitären politischen Systems. Glaubst du ihm seine namensgebende Milde?

Nein.  

 

 

Veröffentlicht am 13. März 2024