Die Volksbühne Bremen gibt es nicht mehr
Frank Schümann hat Ilse und Holger Kohlmann für die Kreiszeitung getroffen. Wir dürfen den Artikel freundlicherweise zweitveröffentlichen.
Ein Leben fürs Theater: Über 2300 Stücke haben Holger und Ilse Kohlmann insgesamt gesehen, zuletzt waren es 80 bis 100 Theaterbesuche pro Jahr – eine enorme Quote. Ob Schauspiel oder Oper, Tanz oder Kinder- und Jugendtheater, auch niederdeutsches – die Kohlmanns sind vielseitig, was ihre Theater-Rezeption betrifft. Und das waren sie schon von Anfang an. Da ist es naheliegend, dass Holger Kohlmann in den vergangenen Jahren auch in einer besonderen Funktion auftrat: als Vorsitzender der Volksbühne Bremen. Schon als junger Mensch war er in diese Besucher-Organisation eingetreten, ebenso wie seine Frau; 1987 gründete er die Kinderbühne innerhalb der Volksbühne Bremen, 1998 wurde er dann Vorsitzender.
Im Herbst 2021, gab es allerdings Trauriges zu verkünden: Die Volksbühne Bremen gibt es nicht mehr.
„Wir sind darüber natürlich sehr traurig“, sagt Holger Kohlmann, aber die Entwicklung sei leider nicht aufzuhalten gewesen. Zum einen habe dies an der Altersstruktur gelegen: Die Einrichtung der Volksbühne habe sich immer auch an bestimmte Generationen gerichtet, die aufgrund des zunehmenden Alters eben irgendwann nicht mehr ins Theater gingen – oder, noch schlimmer, verstarben. Das Interesse der Jüngeren habe sich zuletzt stark in Grenzen gehalten – „wir haben sie nicht so erreicht, wie wir uns das gewünscht hätten“, sagt Kohlmann. Zum anderen würden die Bühnen heute selbst Angebote machen, die Vergünstigungen beinhalten; Vergünstigungen, die immer zum Prinzip von Publikumseinrichtungen wie der Volksbühne gehört hatten. In einem Schreiben an die zuletzt nur noch etwa 1000 Mitglieder führte er aus, dass es kaum noch neue Mitglieder gäbe, aber viele Kündigungen – außerdem fehlten zusätzliche Einnahmen.
Als Holger Kohlmann selbst in die Volksbühne eintrat, herrschten andere Zeiten.
1948 gegründet, gab es in den 50er-Jahren rund 12 000 Mitglieder, zu einer Zeit, in der das Theater am Goetheplatz nur 100 Plätze hatte, und in der außerdem in den Kammerspielen an der Böttcherstraße Aufführungen stattfanden. Seinerzeit konnte das Theater nur für 9000 der 12 000 Mitglieder Karten vermitteln. Theater war da noch etwas Besonderes – an ein Freizeit-Angebot wie heute war nicht zu denken. Seine Frau Ilse hatte er schon früh kennengelernt, in der Schule am Leibnizplatz: „Wenn wir uns treffen wollten, sind wir immer in die Musikbibliothek gegangen – und später ins Theater. Diese Affinität haben wir gemeinsam entwickelt.“
Erstmals waren sie 1959 im Theater – vor 63 Jahren.
Die richtige Liebe zum Theater, die bis heute anhält, entflammte dann in der Hübner-Zeit zwischen 1962 und 1973 – als Granden wie Bruno Ganz, Jutta Lampe, Angela Winkler oder Volkert Kraeft in Bremen engagiert waren und das Bremer Theater das Non-Plus-Ultra der Szene in der Bundesrepublik war. „Das fanden wir richtig gut, und sind dabei geblieben“, sagt Kohlmann. Und überhaupt: „Wir sind immer mit dem Theater mitgegangen, auch inhaltlich“, sagt Holger Kohlmann, und Ilse Kohlmann pflichtet ihm bei. Sie fänden es auch gut, „wenn es mal gegen den Strich geht.“ Auch wenn Bremen immer klar im Fokus war, hätten sie sich in früheren Jahren auch in anderen Städten das eine oder andere angeschaut.
Dann wurde die Familie ins eigene Wohnmobil verfrachtet, in eine andere Stadt gefahren – und gemeinsam Theater geschaut.
In ihrem Haus in Grolland, das auch Holger Kohlmanns Geburtshaus ist, finden sich einige Beweise ihrer Theaterleidenschaft: Ein großes Othello-Plakat etwa, und im Wohnzimmer fällt an zentraler Stelle ein Bilderrahmen in den Blick, mit Erinnerungen an wichtige und schöne Theatererlebnisse im Rahmen der Volksbühne. Von hier aus trat Kohlmann einst den Weg zu seinen ersten Theatererlebnissen an, auf dem Fahrrad – und mit dem Rad fahren die Kohlmanns auch heute noch ins Theater, zumindest in den allermeisten Fällen. Auch ihre drei Kinder waren dann oft dabei – natürlich sind auch sie theateraffin, ebenso wie die meisten der insgesamt neun Enkel, die es mittlerweile gibt.
Mit der Bremer Volksbühne „stirbt“ auch ein beliebter Preis, den die Volksbühne seit der Spielzeit 1983/84 übergab.
Zunächst jährlich, später alle zwei bis drei Jahre wurde eine Künstlerpersönlichkeit, die sich durch besondere Leistungen ausgezeichnet hatte, mit dem „Silbernen Roland“ geehrt. Zu den Besonderheiten gehört, dass es keine Jury war, die diesen Preis verlieh, sondern das Publikum selbst, das befragt wurde; auch stammen die Preisträger nicht ausschließend vom Theater Bremen, auch der niederdeutsche und Amateurbereich wurden gewürdigt. Die letzten drei Preisträgerinnen allerdings waren sämtlichst vom Theater Bremen: die Schauspielerin Gabriele Möller-Lukasz (2014) sowie die Sängerinnen Nadine Lehner (2010) und Marysol Schalit (2017).
Eines ist klar: Auch wenn es die Volksbühne Bremen nun nicht mehr gibt – die Kohlmanns werden weiterhin vom schönen Grolland aus zum Theater am Goetheplatz radeln. „So lange es irgendwie geht“, sagen die beiden unisono, „da können Sie aber ganz sicher sein!“
Veröffentlichung: 1.2.22