„Die Welt ist ja nur, was wir über sie denken“
Der Dramatiker und Prosaautor Jakob Nolte ist zu Gast in Ein Stück Gegenwart. Salon zu neuer Dramatik. Dramaturgin Sonja Szillinsky hat mit ihm gesprochen.
Sonja Szillinsky: Dein Stück Gespräch wegen der Kürbisse von 2016 wurde für das deutsch-tschechische Übersetzungsprojekt der Universitäten in Ústí nad Labem und der Technischen Universität Dresden ausgewählt und ist in der dabei entstandenen zweisprachigen Anthologie des deutschsprachigen Gegenwartstheaters enthalten, über die wir im April im Salon zu neuer Dramatik sprechen. Wie hast du das Projekt mitverfolgt?
Jakob Nolte: Mein Stück wurde dort im Rahmen des Projekts auf Tschechisch gespielt. Ich bin zu der Aufführung nach Ústí gefahren und hatte dort einen tollen Abend. Das Haus, die Spielenden, die Stadt, alles hat mich begeistert. Ich glaube, es war Frühling oder Herbst, auf jeden Fall schien die Sonne. Bis heute hängt das Poster der Veranstaltung, das damals eine Studentin gemacht hat, bei mir in der Wohnung.
In Gespräch wegen der Kürbisse treffen sich zwei Freundinnen zum Kaffee. Das Gespräch, das mit einem Reisebericht beginnt, entgleist in seinem Verlauf immer mehr: Am Ende stehen Anschuldigungen und Geständnisse im Raum. Der sehr präzise komponierte Text wurde zuvor bereits ins Japanische und Italienische übersetzt: Bekommst du mit, welche Herausforderungen deine Schreibweise an die Übersetzer:innen stellt?
Das Schwierigste am Übersetzen meiner Texte ist, befürchte ich, der Stil. Mit dem der Humor einhergeht. Dieser Humor ist, das kann man, glaube ich, sagen, trocken. Zwar würde ich nicht sagen, dass trockener Humor etwas speziell Deutsches ist, aber es geht im Deutschen gut. Und in anderen Sprachen vielleicht weniger. Außerdem gefallen mir Fehler und umständliche Satzkonstruktionen. Beides Dinge, für die man Entsprechungen finden muss. Das ist der Moment, in dem die Interpretation das Steuer der Übersetzung übernimmt und ungenauer wird.
Du übersetzt auch selbst, zuletzt hast du Shakespeares Sturm neu ins Deutsche übertragen und bearbeitet. Was hat dich daran gereizt und welche Erfahrungen hast du mit dem Text gemacht?
Das war eine fantastische Arbeit und hat viel Spaß gemacht. Idee war es, das gesamte Stück Wort für Wort zu übersetzen, und dabei auch die Syntax des Originals beizubehalten. Dabei entstand eine wunderliche Kunstsprache, die unsere Idee von Verständlichkeit herausfordert. Hier ein Beispiel:
„Know thus far forth / By accident most strange, bountiful Fortune, / Now my dear lady, hath mine enemies / Brought to this shore; and by my prescience / I find my zenith doth depend upon / A most auspicious star, whose influence / If now I court not but omit, my fortunes / Will ever after droop“ wurde zu:
„Weiß dies weit voran. / Durch Zufall höchst seltsam, mildtätige Fortuna, / (Jetzt meine liebe Dame) hat meine Feinde / Gebracht zu dieser Küste; und durch mein Vorherwissen / Ich finde meinen Zenit tun abhängen von / Einem höchst günstigen Stern, dessen Einfluss / Falls nun ich werbe nicht, aber meide, mein Geschick / Wird jäh später erschlaffen.“
Charakteristisch für viele deiner Texte ist – neben ihrem Humor – das Spiel mit entlarvender Kommunikation. Gespräche, die zunächst alltäglich wirken, geraten im Verlauf überraschend, abgründig und manchmal so absurd, dass beim Lesen bzw. Zuhören nicht eindeutig ist, ob das, was die Figuren sagen, als wahr zu betrachten ist. Was interessiert dich an dem Spannungsfeld rund um unser Verständnis des Begriffs Wahrheit?
Kommunikation ist das Heilsversprechen schlechthin. Beziehungen, Familie, Konflikte, alle Spannungen sollen sich im Gespräch lösen. Im Zuhören. Im Aussprechen. Positionen/Momente/Gefühle in Sprache zu verwandeln, und dann miteinander auszutauschen, das ist unsere Idee davon, mit Problemen umzugehen. Nur ist unser Vokabular begrenzt, ungenau und zweideutig. Der Prozess des Verstehens ist fragil, und läuft vielleicht seltener so ab, wie man sich das wünschen würde. Ich finde es sinnvoll, in einem Medium, das von dem gesprochenen Wort lebt, mit dieser Spannung umzugehen – am liebsten freudvoll.
Im Mai erscheint dein neues Buch Die Frau mit den vier Armen, in dem ein Mordfall in Hannover aufgeklärt werden soll. Der Verlag nennt das Genre „Niedersachsen Noir“. In welcher Weise taucht die Frage nach (Re)konstruktion von Wahrheit darin auf?
In der Frage nach dem Verhältnis zwischen Innen und Außen. Eigentlich wird in dem Roman die Frage gestellt, ob man das Denken einer anderen Person derart manipulieren kann, dass ihre Welt dabei kaputtgeht. Denn die Welt ist ja nur, was wir über sie denken. Oder halt: sagen.
Am 8. April ist Jakob Nolte neben den Herausgeberinnen der Anthologie des deutschsprachigen Gegenwartstheaters, Veronika Jičínská und Renata Cornejo, zu Gast in der Reihe Ein Stück Gegenwart. Salon zu neuer Dramatik. Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Festival So macht man Frühling im noon / Foyer Kleines Haus statt.
Veröffentlicht am 2. April 2024