DO WOMEN HAVE TO BE NAKED TO GET INTO THE MUSEUM?
Zu Guerilla Girls, Femmes fatales und der „Naturgewalt Frau“: Gedanken der Dramaturgin Caroline Scheidegger anlässlich der Salome-Premiere.
Mit Bananen, Partyhüten und Gorillamasken treten sie auf, sie nennen sich „das Gewissen der Kunstwelt“ und lassen mit unermüdlichem Nachdruck immer wieder neue Plakate, Postkarten und andere aktionistische Schnipsel über die amerikanische Kunstlandschaft regnen. Die Rede ist von den Guerilla Girls, die sich 1985 als anonyme Gruppe von Aktivistinnen in New York gegründet haben und seither Politik gegen Diskriminierung und Rassismus im Kunstgeschäft machen. Sie wettern gegen Kurator:innen und Sammler:innen, gegen Museen, die sich nicht als Speicher einer diversen Kultur verstehen, sondern nur die Geschichte von Reichtum und Macht konservieren. Und sie entlarven die Widersprüche eines Kunstzirkus', der sich zwar humanistisch und aufgeklärt gibt, in der Praxis aber konservativer ist als jedes New Yorker Busunternehmen. Konsequenterweise ließen die Guerilla Girls 1989 eine ganze Flotte von Bussen ihr neuestes Plakat durch New York fahren, das die Fahrgäste mit seinen großen schwarzen Lettern auf quietschgelbem Untergrund buchstäblich anzuschreien scheint: „Do women have to be naked to get into the Met. museum?“(Müssen Frauen nackt sein, um ins Metropolitan Museum zu kommen?) Darunter räkelt sich ein Mischwesen, ein weiblicher Akt mit brüllendem Gorilla-Kopf, und in etwas kleinerer Schrift folgen weitere nackte Tatsachen: „Weniger als 5% der Künstler:innen der modernen Abteilung sind Frauen, aber 85% der Aktdarstellungen sind weiblich.“ Auch 23 Jahre später, im Jahr 2012, als die Guerilla Girls die Kunstwelt mit einer Neuauflage ihres Plakates tapezierten, hatte sich die Lage nicht entscheidend verändert:
„Weniger als 4% der Künstler:innen der modernen Abteilung sind Frauen, aber 76% der Aktdarstellungen sind weiblich.“
„Jedes Bild verkörpert eine bestimmte Art des Sehens“, schreibt der Kunstkritiker John Berger und die ist – folgt man der Statistik der Guerilla Girls – eine fast ausschließlich männliche und binär geprägte. Das in den Museen gespeicherte Frauenbild ist das Bild, das sich der Mann von der Frau macht, in jedem Jahrhundert ist es anders und doch immer wieder gleich. Überall, in allen Abteilungen hängen die Frauen als liebende Mütter, schöne Tote, kindlich Fragile und – in der radikalsten Ausprägung imaginierter und auf Leinwand gebannter Weiblichkeit: als todbringende Verführerinnen, als Femme fatales, die Männer zuerst in ihren Bann schlagen und dann eiskalt ins Verderben stürzen. Durch die gesamte westliche Kulturgeschichte hindurch setzten ihre Schöpfer sie immer wieder ins Bild, vor allem im späten 19. Jahrhundert war die Kunstwelt regelrecht besessen von der Femme fatale. In ihre nackten Körper schienen sich die Ängste und Begierden einer ganzen Epoche zu brennen, in der Vieles und vor allem der männliche Selbstwert gefährlich ins Wanken geraten war.
Sie wird zur Hauptfigur, die keine Hauptfigur ist, weil sie mehr über ihre Schöpfer und Betrachter verrät, als über sich selbst.
Der Stammbaum der Femme fatale geht weit zurück: Er reicht bis zu den Ursprungsmythen und schließt die prominentesten Frauenfiguren der Kulturgeschichte ein. Sie alle sind schön, verführerisch und brandgefährlich. Dazu gehört Pandora, die erste menschliche Frau aus der griechischen Mythologie, die ihre Büchse voller Übel über die Menschen ergießt. Verkörpert wird sie auch von der Zauberin Circe aus Homers Odyssee, die ihre Opfer in Tiere verwandelt oder der rätselhaften Sphinx, ein hybrides Wesen aus geflügelter Löwin und Frau, die die Männer erst erwürgt und dann ganz verschlingt. Hoch im Kurs stehen auch die todbringenden Wasserfrauen und die biblischen Skandalfiguren: die apfelessende Eva, die gemeinsame Sache mit der Schlange macht und das Problem mit der Nacktheit überhaupt erst in die Welt bringt. Judith, die Holofernes verführt und dann köpft, gefolgt von Salome, die ihr in nichts nachsteht:
Für ihren erotischen Tanz vor Herodes verlangt sie den abgeschlagenen Kopf von Johannes dem Täufer auf einer Silberschüssel.
Gerade letztere stand ganz vorne in der Reihe jener Femme fatales, die an der Wende zum 20. Jahrhundert nicht nur die Leinwände füllten, sondern ihren Weg längst auch in die Literatur und auf die Bühne gefunden hatten. Stéphane Mallarmé und Gustave Flaubert schrieben über sie, Gustave Moreau malte sie gleich mehrfach. 1891 ließ sich auch Oscar Wilde vom Salome-Fieber mitreißen und verfasste sein skandalumwittertes Fin de Siècle-Drama, auf das Richard Strauss 1905 seine nicht weniger skandalöse Welterfolgsoper komponierte.
Danach ist es stiller geworden um die Femme fatale.
Einen ihrer letzten großen Auftritte hatte sie als Heroine im Film noir der 1940er und 1950er Jahre, bevor die feministische Kunst ihr vehement den Kampf ansagte und versuchte, sie und viele andere misogynen Gespinste endgültig in der Mottenkiste der patriarchalen Geschichte zu verstauen. Ganz verschwunden ist sie nie, aber es gibt zahlreiche Gegenentwürfe und Überschreibungen von Künstlerinnen, die mit den alten Projektionen und Sehgewohnheiten brechen und die Geschichte weiblicher Sexualität und Körperlichkeit anders fortschreiben. Oder, die die Femme fatale als produktive wie subversive Folie feiern, wie es die Guerilla Girls mit ihrer „art of behaving badly“ (Kunst des schlechten Benehmens) tun – mit brüllender Gorillamaske und als liegender Akt.
Und wie ist es in der Oper?
Als Carmen und Lulu ist die Femme fatale nicht wegzudenken. Auch nicht als Salome, die als Protagonistin in Strauss‘ Oper seit ihrer Uraufführung weit mehr als 10.000 Mal vor den roten Vorhang getreten ist und es weiterhin tut. Aber natürlich bleiben hier dieselben Fragen, wie sie auch die Regisseurin Ulrike Schwab an ihre Bremer Inszenierung von Salome stellt: „Wie um alles in der Welt wollen wir diese ‚Naturgewalt Frau‘ darstellen? Wie wollen wir dieses Stück, das voll von Klischees, Sexismen und Rassismen ist, im Jetzt erzählen? Welches Bild der Salome wollen wir entwerfen?“
Veröffentlicht am 30. Januar 2024