Eight takes on Jupiter

Pauline Michel, Hospitantin der Produktion Dawn, über das im Stück zentrale Thema der Hoffnung.

Auf der Bühne sind die Silhouetten von acht Tänzer:innen zu erkennen. Sie stehen wie auf Umlaufbahnen, mit unterschiedlichem Abstand zum Zentrum und ganz still. Ich erkenne, wie sie anfangen, zu gehen und ein Drehmoment entsteht, das sich kaum merklich beschleunigt. So beginnt Dawn, das neue Stück von Unusual Symptoms und der Choreografin Milla Koistinen. Es macht Hoffnung zum Thema: nicht als ein optimistisches Zukunftsversprechen, sondern als gemeinsame Anstrengung, als Füreinander-Sorgen, um zusammen handeln und Veränderungen bewirken zu können. Dieser Text entstand, während ich den Probenprozess von Dawn als Hospitantin begleitet habe. Er beschreibt das Stück nur in Momenten und ist vielmehr eine Collage, eine wilde Unterhaltung mehrerer Autor:innen und Interviewpartner:innen zum Thema der Hoffnung – und ein Verweis auf Inspirationsquellen und astronomisches Hintergrundwissen, das den Entstehungsprozess des Stücks beeinflusst hat.

Abbild einer Jupiter Büste
 © Musée du Louvre, Dist. GrandPalaisRmn / Maurice et Pierre Chuzeville

Im Zentrum der Tänzer:innen lässt sich Jupiter, der größte Planet unseres Sonnensystems vorstellen. Er gilt als Planet der Hoffnung und ist eines der hellsten Gestirne, die wir am Himmel sehen können. Sein Namensgeber, der römische Gott, gilt als „Himmelsvater“ und Beschützer, wird aber auch mit staatlicher Herrschaft assoziiert. Staatliche Herrschaft – dies ist etwas, das mir insbesondere zurzeit, vielleicht aber auch schon immer, eher keine Hoffnung macht.

Der Planet Jupiter
© NASA/Hubble Space Telescope Comet Team 

Ich: „Hast du im Blick auf die Zukunft Hoffnungen?“ Eine Bürgerin Bremens: „Das ist eine krasse Frage, gerade jetzt nach den Wahlen. Ich glaube, ich habe schon Hoffnungen, denn ohne sie fände ich es noch viel schwieriger, zu sein.“ In ihrem Buch Hope in the Dark schreibt die Historikerin und Publizistin Rebecca Solnit ähnliches: „To hope is to give yourself to the future – and that commitment to the future is what makes the present inhabitable.” Der Einsatz für eine Zukunft (in der allen ein gutes Leben möglich ist), ist, was das Leben in der Gegenwart erträglich macht. Rebecca Solnit beschreibt das Wissen als zentral, dass der Status Quo nicht unverrückbar und die Zukunft nicht schon vorentschieden ist. Und die Geschichte zeigt, dass Dinge, von denen man glaubte, sie würden sich niemals verändern, am Ende doch anders kamen. „Hope is not a lottery ticket you can sit on the sofa and clutch, feeling lucky. It is an axe you break down doors with in an emergency. Hope should shove you out the door, because it will take everything you have to steer the future away from endless war, from the annihilation of the earth's treasures and the grinding down of the poor and marginal.” Hoffnung als Aufruf, zu handeln.

Gregor Runge, künstlerischer Co-Leiter von Unusual Symptoms: „Ich mag den Gedanken, Hoffnung nicht einfach als ein Gefühl zu begreifen, dem man gewissermaßen ausgeliefert ist, das man hat oder eben nicht. Sondern Hoffnung als Handlung zu verstehen; als etwas, das wir aktiv tun können, eine Arbeit, die geleistet werden muss.”

Der Jupiter-Mond Europa
© NASA/JPL-Caltech/SETI Institute

Laut offiziellen Angaben der Internationalen Astronomischen Union wird der Planet Jupiter von 95 Monden umkreist. Galileo Galilei entdeckte 1610 die ersten vier davon mit einem selbstgebauten kleinen Teleskop: Ganymede, Callisto, Io und Europa. Die Oberfläche Europas ist bedeckt mit Eis. Unter ihr, so vermuten Astronom:innen, befindet sich der wahrscheinlichste Ort im Sonnensystem, um anderes Leben zu entdecken. Galileo verstand damals, dass astronomische Beobachtungen ein heliozentrisches Weltbild (dass die Erde um die Sonne kreist) nicht unbedingt beweisen, aber doch nahelegen. „Wie kann der Jupiter angeheftet sein, wenn andere Sterne um ihn kreisen? Da ist keine Stütze im Himmel, da ist kein Halt im Weltall!“ Galileo in Bertolt Brechts Das Leben des Galilei.

Keine Stütze im Weltall, keine Sicherheit und wahrscheinlich kein Gott, der uns rettet. In The Promise of Happiness beschreibt die Kulturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Sara Ahmed eine Nähe zwischen Hoffnung und Unsicherheit. Im Hoffen, schreibt sie, entwickeln wir auch Sorgen und Ängste, da Hoffnung sich immer auf etwas bezieht, das vielleicht passieren wird. Was auch heißt, dass es vielleicht nicht geschieht. „Hope is about desiring the ‘might’, which is only ‘might’ if it keeps open the possibility of the ‘might not’.” Oder wie Friedrich Nietzsche in Menschliches Allzumenschliches schreibt: „Zeus wollte nämlich, dass der Mensch, auch noch so sehr durch die anderen Übel gequält, doch das Leben nicht wegwerfe, sondern fortfahre, sich immer von Neuem quälen zu lassen. Dazu gibt er dem Menschen die Hoffnung: sie ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert.”

Jupiter und der Schatten des Mondes Ganymede auf seiner Oberfläche.
© NASA/JPL-Caltech/SwRI/MSSS; Image processing Thomas Thomopoulos

In Dawn gibt es Momente des Aufgebens. Die Tänzer:innen steigern sich in rhythmische Bewegungen und Gesten, die an manuelle Arbeit angelehnt sind, bewegen sich in unterschiedlichen Konstellationen und Geschwindigkeiten. Zwischendurch steigen Einzelne aus. Ich sehe Nora Ronge müde auf dem Tanzboden sitzend. Waithera Lena Schreyeck kommt hinzu, gemeinsam fangen sie wieder an, sich zusammen und immer schneller im Kreis auf dem Bühnenboden zu bewegen. Setzen sie ihre ermüdende Arbeit fort, weil sie Hoffnung schöpfen, oder weil sie Hoffnung erzeugen möchten?

Polarlichter auf dem Jupiter
© NASA, ESA, CSA, Jupiter ERS Team; image processing by Judy Schmidt.

Neben heftigen Stürmen entdeckten Wissenschaftler:innen auf dem Jupiter Polarlichter. Sie entstehen wegen des starken Magnetfeldes des Planten und geladenen Partikeln, die in seine Atmosphäre eindringen. In einem Artikel der ZEIT beschreibt der Journalist Lars Weisbrod der Hoffnung ähnlich ephemere Eigenschaften zu, wie man sie auch mit Polarlichten assoziieren würde. Sie sei „leise, zart, ohne große Ankündigung”. Und: „Vielleicht muss jede echte Hoffnung gegen die Hoffnung errungen werden, jedenfalls gegen das allgegenwärtige, schale Gerede von der Hoffnung. Hoffnung ist es erst, wenn eigentlich keiner mehr von Hoffnung redet.”

Aus dem Stück und Momenten der Improvisation erzählt die Tänzerin Waithera Lena Schreyeck: „Es gibt fast bei jedem Durchlauf, den wir machen, einen Moment, an dem ich mir denke: Ich verstehe gerade nicht mehr, wo es hingeht oder was gerade gebraucht wird. Es sind oft Momente, an denen ich mich kurz zurücklehne und mir die Szene anschaue, um zu gucken, wo ich reinpassen kann und dann einfach zu spüren, dass irgendwas Kleines passiert und wir wieder miteinander ‘in tune’ sind. In dem Moment sind wir wieder zusammen und dann sind wir wieder eine Gruppe. Das produziert tatsächlich extrem viel Hoffnung. Überhaupt: Das Stück kommt mir wie eine Reise vor, in der man sich als Gruppe immer wieder näher kommt und dann wieder entfernt … nicht unbedingt gewollt. Es geht darum, Gemeinsamkeiten zu finden, eine gemeinsame Arbeit zu leisten und damit Hoffnung zu erwecken.”

Der auf dieser Aufnahme des Weltraumsatellits Voyager 1 zu erkennende blasse und sehr kleine Punkt ist die Erde.
© NASA/JPL-Caltech

Der Weltraumsatellit Voyager 1, der am 5. September 1977 startete, näherte sich Jupiter auf 280.000 Kilometer Nähe, flog dann Richtung Saturn weiter und von da aus zum äußeren Rand des Sonnensystems – und aus ihm hinaus. Am 14. Feburar 1990 nahm Voyager 1 die letzten Bilder auf, darunter ein Bild der Erde: The Pale Blue Dot. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Satellit sechs Milliarden Kilometer entfernt von der Sonne. „Dass mit dem Blick von außen dieses zerbrechliche Raumschiff Erde sehr viel kleiner ist, als die meisten Menschen sich das vorstellen können. Wie zerbrechlich seine Geosphäre ist und wie limitiert seine Ressourcen.” Das sagte der Astronaut Alexander Gerst in seiner Nachricht an meine Enkelkinder und mahnt in Bezug auf den Umgang mit der Erde an: „Jede:r von uns muss sich da natürlich an die eigene Nase fassen und überlegen, wohin das gerade führt. Ich hoffe sehr für euch, dass wir noch die Kurve kriegen.”

The Great Red Spot, ein Sturmgebiet auf dem Jupiter
© NASA/JPL-Caltech/SwRI/MSSS; Image processing Kevin M. Gill

Maria Pasadaki, Tänzerin in Dawn: „It's really hard to feel hopeful at the moment. But I think when I step back and view the world from a broader perspective and look at history and the arc of humanity, I feel like destruction has always been followed by creation. And this ongoing cycle gives me a sense of hope.” Über das Stück erzählt Maria: „I wouldn't say that I feel hopeful while performing the piece. Of course there are moments that are charged with potential, but what I experience more vividly than hope is the struggle of togetherness. And it's a struggle because it takes effort and energy to coexist and co-create with others. It requires you to pay attention and to listen and I believe that effort is actually a strong prerequisite for hope.”

© NASA (Jupiter as seen from above its north pole by Pioneer 11 in 1974.)

Ein letzter Blick. „Was sind deine Hoffnungen für das Theater und das nächste Jahr?” Gregor Runge:„Zuversicht!”

Veröffentlicht am 8. März 2025.