„Ein hinreißend widerlicher Roy Cohn“
Zwei Mal steht Angels in America noch auf dem Spielplan: Stephen Clark ist darin als Roy Cohn auf der Bühne zu erleben. Wie es ist, jemanden zu spielen, den es wirklich gab, fragt Musiktheaterdramaturgin Brigitte Heusinger.
Stephen Clark spielt eine historische Figur und das tut er bemerkenswert. Die TAZ schreibt: „Stephen Clark ist ein hinreißend widerlicher Roy Cohn“, „wunderbar in der genau dosierten Überzeichnung“, ergänzt die Opernwelt. Autor Tony Kushner, der mit dem Drama Engel in Amerika einen Welterfolg landete – allen sei die gleichnamige Serie mit Al Pacino und Meryl Streep anempfohlen –, wollte nicht nur über Homosexualität und Aids schreiben, sondern über eine linke Hassfigur schlechthin: Eben jenen Roy Cohn, der Senator Joseph McCarthy bei der Kommunistenhatz unterstützte, der Präsident Nixon wie Reagan beriet, als Anwalt Mafiabosse vertrat und von dem es heißt, dass der dubiose Unternehmer und spätere Präsident Donald Trump immer ein Foto von ihm in der Brusttasche getragen habe, um Gegnern gleich mal klar zu machen, mit welchem Juristen sie es bei Widerspruch zu tun bekämen.
Kennengelernt haben sich Trump und Cohn im berühmten Club 54 in New York, in dem auch Mick Jagger und Andy Warhol verkehrten.
Im Club 54, der übrigens eine Inspirationsquelle für die Bremer Angels-Bühne ist, hat Cohn nicht nur Trump getroffen, sondern auch seine Lustknaben. Denn der erklärte Schwulenhasser war homosexuell, was er allerdings vehement abstritt; in der Oper mit der bemerkenswerten These, dass Schwule Schwächlinge seien und sehe er aus wie ein Schwächling? Auch seine Aidserkrankung, an der er sterben sollte, verleugnete er und diktierte seinem Arzt die eigene Diagnose ins Heft: Leberkrebs. Stephen Clark kann sich nicht erinnern, in seiner Schule in Oklahoma von Roy Cohn gehört zu haben. Eine andere Zeit. Aber die Typen, die kennt er, aus Filmen, aber „sie existieren auch in der Wirklichkeit, schließlich hatten wir vier Jahre lang einen Präsidenten, der immer noch eine große Rolle spielt“, sagt Stephen Clark. Natürlich hat er über seine Figur recherchiert, aber sich direkt in Roy Cohn zu verwandeln, sei für ihn nicht der richtige Weg:
„Schauspieler wie Daniel Day-Lewis betreiben grandios method acting, sie verwandeln sich in den Charakter, sie werden zu dem Charakter, den sie spielen. Für mich ist das sehr schwer, viel einfacher ist es, Roy Cohn einzuladen, ich zu werden.“
Aber der kulturelle Hintergrund, der ist ihm als Amerikaner natürlich sehr vertraut: „Ich benutze seine Worte, ich verstehe die Sprache und kann die Details lesen.“ Und Komponist Eötvös hat auch seine Meinung über die Figur in die Partitur geschrieben. „Ich denke, der reale Cohn wird neutraler gesprochen haben, mein musikalischer Part besteht aus Singen, Sprechgesang, aber auch aus Bellen und Brüllen. Cohn ist in der Oper ein wenig over the top.“ In Angels in America geht es vor allem um den Inhalt, um eine Geschichte über fünf Männer, deren Wege sich überkreuzen und die so spannend ist wie eine Netflixserie. Damit jedes Wort verstanden wird, sind die Sänger:innen durch ein Mikroport verstärkt. „Angels ist ein Schauspiel mit Ton und Rhythmus, es geht um toll komponierte Unterhaltungen, brisante Konversationen“, sagt er. Natürlich ist es eine Herausforderung, Eötvös´ Musik zu singen, aber Stephen Clark hat seinen Weg gefunden, die Rolle sei nämlich für ihn recht hoch.
Und wie ist es mit dem Rhythmus, zählt er im Kopf permanent mit?
„Zählen gehört an manchen Stellen dazu, aber nach wochenlangem Proben wird die Rolle ein Teil von einem. Man muss loslassen, aber nicht zu sehr“, sagt er. Und er zieht eine Parallele zu einer seiner großen Wunschpartien, einem anderen berühmten Bösewicht der Opernliteratur: Scarpia aus Puccinis Tosca. „Ich habe ihn noch nicht gesungen, aber ich habe von Kollegen gehört, dass es vergleichsweise leicht sei, ihn im Studierzimmer zu singen, aber man auf der Bühne aufpassen muss, sich nicht in den Gefühlen der Figur zu verlieren und darüber seine Technik zu vergessen.“ Und so geht es ihm auch am Schluss mit dem todkranken Cohn im Krankenhaus. „Ich habe nicht viel Zeit auf der Bühne, die Entwicklung in die Krankheit nachzuvollziehen und sie in sechs Minuten zu zeigen. Durch die Maske und die Bühnensituation ist die Krankheit sehr sichtbar. Ich konzentriere mich eher auf die Musik und das Spiel mit Ulrike Mayer, deren Figur ich auch jetzt noch verletze. Aber eigentlich nähere ich mich ja so perfekt meinem zweifelhaften Vorbild an, denn Roy Cohn hätte doch nie Schwäche gezeigt und sich in seiner Krankheit gebadet. Er hätte eher etwas gesagt wie ‚In einer Woche bin ich hier raus und dann werde ich mich an euch allen rächen. Ich bin stark und viel besser als ihr, ihr armen, mittelmäßigen Versager‘.“
Veröffentlichung: 31. Mai 2023