Ein Stück Fell kann schnell lebendig werden ...

Seit 2006 ist die Bühnen- und Kostümbildnerin Yvonne Marcour feste Ausstatterin im Team der Choreographin Antje Pfundtner und damit Teil der Produktionsgemeinschaft Antje Pfundtner in Gesellschaft. 2019 war Yvonne Marcour an der mit dem FAUST-Preis ausgezeichneten Moks Produktion Ich bin nicht du beteiligt und ist auch jetzt bei Open Call dabei. Sebastian Rest, der die Produktion als Dramaturg begleitet, hat mit ihr gesprochen.

Sebastian Rest: Für das Ensemble war es durchaus auch eine Herausforderung, immer wieder das Offene als Setzung anzunehmen, mit wenigen Vorgaben zu arbeiten und mit diesem großen Begriff auf die Bühne zu gehen und nach szenischen Lösungen zu suchen. Wie ging dir das?

Yvonne Marcour: Das kann ich total nachvollziehen. Für mich ist das nicht ganz neu; über die lange Zusammenarbeit kenne ich die Herangehensweise von Antje Pfundtner ganz gut und weiß, dass im Vorfeld und sogar bei Probenstart vieles noch ,,offen“ ist und da macht es doch auch total Sinn, das Offene als Thema auf ein Stück zu übertragen. Ich muss aber zugeben, dass ich anfänglich auch etwas überfordert war. Ein bisschen Konkretheit im Thema brauche ich eigentlich um loszulegen und das Offene als Thema schrie ja quasi nach totaler Unkonkretheit. Da hat man tausend Assoziationen zu: das Offene in der Psychologie, in der Körperlichkeit, im Bildhaften … worauf stürzt man sich da? Ich habe dann angefangen in alten Ideen zu kramen, Bildmaterial wieder hervor zu holen und nach Materialien zu forschen, die interessant sein könnten um Vielfältiges daraus entstehen zu lassen.

Zeichnet diese Vielfalt das Offene im Bühnenbild aus?

Yvonne Marcour: In unseren Gesprächen hat sich schnell gezeigt, dass wir ein total wandelbares Bühnenbild brauchen, das keiner spezifischen Handhabung unterliegt, damit waren große Aufbauten, die nur einem bestimmten Zweck dienen, raus. Mich interessieren dabei die Überraschungen, die vielen Möglichkeiten offen mit etwas umzugehen ohne sofort zu wissen, worauf es hinauslaufen wird oder wann es seinen Abschluss findet. Also ein Bühnenbild, welches erstmal jeglichen Umgang mit den Bühnenobjekten und Requisiten für jede:n Schauspieler:in individuell zulässt. Das gilt in diesem Fall nicht nur für die Objekte, sondern für den gesamten Theaterraum. Das heißt, die Nutzung der Raumbegebenheiten (vorhandene Türen, Tribüne, Fenster …) stehen den Spieler:innen offen und können miteinbezogen werden. Jede:r Spieler:in hat eine eigene Assoziation zu einem Objekt. Dadurch ergeben sich unendlich viele Möglichkeiten für die Spieler:innen, das Objekt und den Raum. Darüber hinaus lassen sich auch viele unserer Objekte öffnen: Kisten, Taschen, Türen, Fenster …

Wenn die Objekte, Dinge, Kostümteile von Anfang an da sind, ohne dass deren szenischer Einsatz festgelegt wird, bleibt der Umgang erstmal offen. So findet jedes Ding eine neue, vielleicht zweckentfremdete Bestimmung. Etwas völlig Banales kann so plötzlich ganz magisch sein.

Bei euch ist immer wieder Fell ein zentrales Material, auch in Open Call. Was hat es mit Fell auf sich? Was hat es mit der Liebe zu Haarkostümen auf sich?

Yvonne Marcour: Ja, Fell und Haare begleiten uns schon durch viele Stücke. Beides sind Materialien, die mit wenigen Handgriffen total wandelbar sind. Verwandlung, Transformation, Mimikry, Nichtsichtbarsein, das sind immer Themen, die Antjes Arbeiten begleiten. Ein Stück Fell kann schnell lebendig werden oder aber Dinge, Menschen verstecken. Es schmiegt sich an, kann Geborgenheit geben und gleichzeitig bedrohlich und starr wirken. Mit den Haarkostümen verhält sich das ähnlich, steigt man ein, hat man sich komplett verwandelt, das Gesicht ist verschwunden, die Hände, die Persönlichkeit. Man ist eine andere, undefinierte neue Erscheinung, ein lebendiges Etwas.

Wir haben mehrere Maschinen auf der Bühne. Die sind unterschiedlich groß und unterschiedlich komplex. Von einem Plattenspieler über eine Ballwurfmaschine bis zu einer sogenannten Genie oder Arbeitsbühne, einer ausfahrbaren Plattform. Was ist das Besondere an Maschinen auf der Bühne?

Yvonne Marcour: Die Maschinen haben, wenn sie erstmal in Gang gebracht wurden, ein Eigenleben. Das heißt, die Spieler:innen hauchen diesen Maschinen Leben ein. Das ist ja auch eine Art der Verwandlung. Laufen diese erstmal, hat man keinen Einfluss mehr, sie tun immer das Gleiche als Abfolge. Das „Anstellen“ könnte man auch als Eröffnen, das „Ausmachen“ als Schließen sehen.

 

 

Veröffentlichung: 1.3.22