„Eindeutigkeit ist für Gebrauchsanweisungen von Waschmaschinen wichtig“

Der österreichische Autor Ferdinand Schmalz liest in der Reihe Ein Stück Gegenwart. Salon zu neuer Dramatik. Die Dramaturgin Sonja Szillinsky hat mit ihm gesprochen.

Sonja Szillinsky: In den letzten Jahren hast du dir mit dem Jedermann und der Nibelungensage zwei sehr bekannte Stoffe vorgenommen und diese neu fürs Theater überschrieben. Was interessiert dich an diesen alten Erzählungen, die über so lange Rezeptionsgeschichten verfügen?

Ferdinand Schmalz: Wenn Stoffe uns über einen so langen Zeitraum verfolgen, wenn sie nicht totzukriegen sind, dann gibt es da einen Kern, der auf seltsame Weise lebendig bleibt. Manchmal habe ich bei Theaterfiguren das Gefühl, dass sie selbst so etwas wie Lebewesen sind, Quasisubjekte, die in ihrem parasitären Dasein sich immer wieder Wirtsleiber auf der Bühne suchen, um aufs immer wieder Neue Auferstehung zu feiern. Aber jede Interpretation, jede Aufführung lässt auch etwas zurück in den Figuren, in den Texten. Da interessiert mich auch dieses Geflecht aus Entstehungsgeschichte, Aufführungsgeschichte und erstaunlicher Aktualität von Stoffen. Ich brauche immer ewig lang, um mich an diese Texte anzunähern, um zu verstehen, wo man sie für ein Heute am besten anpackt. Da braucht es viel Lektüre, Recherche, Biografien von Personen aus der Zeit, Kunstwerke und Aufführungsaufzeichnungen, bis ich an den Punkt komme, wo ich ein bissl kapitulieren muss, weil es einfach zu viel gibt. Dann weiß ich, jetzt muss ich mein eigenes Ding daraus machen.

Welche Schwierigkeiten oder Fragen ergeben sich dann bei der Auseinandersetzung? 

Meistens steht am Anfang eine Grundentscheidung, eine Idee für eine Perspektive, aus der man den Stoff neu erzählt oder ein Aspekt, den ich in den Vordergrund stellen möchte. Aber ich habe gemerkt, dass das nur eine grundsätzliche Stoßrichtung sein kann. Wenn man sich zu streng diesem ersten Konzept unterwirft, wird auch nichts draus, da muss man dem Stoff auch die Möglichkeit geben, sich eigenwillig zu entwickeln, wenn man so will. Ich glaub, wenn man Texte fürs Theater schreibt, ist es wichtig, dass sie auch eine gewisse Gelenkigkeit mitbringen, dass sie auch offen sind für diesen zweiten Produktionsschritt, das heißt, dass sie auch nicht zu eindeutig sind. Eindeutigkeit ist für Gebrauchsanweisungen von Waschmaschinen wichtig, aber Theaterstücke müssen auch unterschiedliche Wege der Interpretation zulassen. 

Was erzählen uns diese Welten heute? Taugen dir Sagen als Folien für heutige politische Phänomene?

 Den so genannten Sagenschatz zu heben, ist natürlich immer auch eine zweischneidige Angelegenheit, weil er wie die meisten Schätze mit einem Fluch belegt ist. Einerseits transportieren die Sagen Bilder, Konflikte und Themen, die uns einfach keine Ruhe lassen, an denen wir uns als Menschen schon seit Urzeiten abarbeiten, wo wir auch um unser Selbstbild ringen. Andererseits transportieren diese Narrative auch viele gesellschaftliche Normen, die längst überkommen sind, oder besser, wo wir glauben, dass wir sie längst überwunden haben. 

Bei deiner Überschreibung der Nibelungensage stehen nicht die klassischen „Helden“ – zum Beispiel Siegfried der Drachentöter – im Mittelpunkt, sondern die „Hilden“: Kriemhild und Brünhild, die sich mithilfe der Nornen verbünden und gegen das Unrecht, das ihnen angetan wird, zur Wehr setzen. Dein Stück trägt daher auch den schönen Titel hildensaga. ein königinnendrama. Wie hat sich dieser Twist entwickelt? 

Als mich die Nibelungenfestspiele in Worms gefragt haben, ob ich nicht mal Lust hätte, mir das Nibelungenlied vorzunehmen, musste ich erst mal wieder in das Original reinlesen. Weil ich zugeben musste, dass mein letzter Berührungspunkt damit die Sonntagnachmittagsfilme waren. Was mich dann überrascht hat, war, dass sich der Inhalt doch markant von dem unterschied, was ich so in Erinnerung hatte. Wenn man das Nibelungenlied aus Film und Fernsehen kennt, ist zum Beispiel die Szene, in der Sigfried den Drachen tötet, zentral. Im Original ist das eine Strophe und nur von Hagen nacherzählt. Das, was das Nibelungenlied aber von anderen mittelalterlichen Epen unterscheidet, ist, dass die Frauen eine zentrale handlungsentscheidende Rolle haben. Da hab ich mir gedacht, interessant, dass da in der Interpretation des Stoffes, vor allem im 19. Jahrhundert, plötzlich die Männer viel zentraler geworden sind. Ich fand, dieser Sichtweise dürfen wir nicht auf den Leim gehen. Sicher, dass sie sich am Ende verschwestern ist eine Zuspitzung meinerseits, aber im Grunde ist vieles davon schon im Original angelegt. Ich fand es vor allem spannend, wie meine Fassung rezipiert wurde. In Interviews kam dann oft die Frage: Sie nehmen jetzt also das Nibelungenlied und machen eine emanzipatorische Geschichte daraus. Da musste ich dann sagen, lesen Sie das Original! Es gibt Fassungen da steht sogar am Deckblatt, „dies ist Kriemhilds Buch“. 

Eines der größten Themen, die im Theater seit jeher verhandelt werden, ist die Frage nach dem Umgang mit Macht. Du lebst in Österreich, wo sich gerade sehr real ein einschneidender Machtwechsel anbahnt – die rechtspopulistische Partei FPÖ könnte zum ersten Mal die Regierung bilden. Du hast dazu kürzlich einen literarischen Kommentar mit dem Titel im schlund der kloake für den Deutschlandfunk geschrieben – welche Gedanken treiben dich im Moment um?

Die Situation ist gerade wieder mal besonders frustrierend. Meine Generation ist ja erstpolitisiert worden mit den Protesten gegen die erste schwarz-blaue Regierung im Jahr 2000. Ich kann mich noch erinnern, wie wir auf Wienwoche damals im Gymnasium auf den Ballhausplatz gegangen sind, um uns das Protestcamp anzuschauen. Zu vielen Dingen, bei denen wir damals angeprangert haben, dass es bei den damaligen Privatisierungen nicht mit rechten Dingen zugeht, laufen immer noch Korruptionsverfahren. Dann die Regierung Kurz, wo die Prozesse gerade erst anlaufen. Und wo stehen wir jetzt, kurz vor einer Angelobung der Regierung Kickl. Dass es wieder mal die Wirtschaftsvertretung ist, die im übertragenen Sinn sagt, wir müssen „die braune Scheiße schlucken“, um den Wirtschaftsstandort attraktiv zu halten, empfinde ich als besonders absurd. Eine EU-feindliche, migrationsfeindliche, kunstfeindliche Kanzlerpartei als Aushängeschild für den Standort Österreich? Und die Interessen der so genannten kleinen Leute, die der FPÖ in Scharen zulaufen werden, wiedermal verscherbelt, was aber niemanden stört, weil nun wieder der große Kulturkampf ausgerufen wird, gegen alles was scheinbar anders ist.

Welche Auswirkungen könnte eine FPÖ-geführte Regierung auf den Bereich Bildung, Kunst und Kultur in Österreich haben?

Man braucht nur in die unmittelbare österreichische Nachbarschaft schauen, um zu sehen, was jetzt passieren wird.  Haben sich die letzten schwarz-blauen Regierungen noch stark auf den wirtschaftlichen Umbau konzentriert, wird es dieses Mal verstärkt auch um Medien, Justiz und Kultur gehen. In der Slowakei führt die Rechtsaußen-Kulturministerin Martina Šimkovičová gerade vor, wie rechte Kulturpolitik aussieht: Neben massiven Streichungen, hat sie die Intendant:innen der größten Kulturinstitutionen entlassen, um die Kulturlandschaft umzufärben. Ihr neuestes Projekt ist die Umarbeitung der Bundeshymne, die gerade mit der slowakischen Philharmonie neu eingespielt wird, um zur Stärkung der Nation beizutragen. Dass es in Sachen Medien in Richtung Orbáns Ungarn gehen könnte, ließ ein Posting des Wiener FPÖ-Vorstandes Dominic Nepp vor kurzem vermuten. Darin attackierte er die linksliberale Tageszeitung der Standard, weil sie eine Recherche veröffentlichte zu einem FPÖ-Stammtisch in Wien, bei dem ein FPÖ-Nationalratsabgeordneter vom „Öxit“ schwafelte, und Asylsuchende als „Gesindel“ bezeichnete. Nepp schrieb darauf, dass es fünf gute Jahre würden, wenn erst die Presseförderung für das „Scheißblatt“ der Standard gestrichen würde. Man könnte also sagen, dass wir politisch ganz schön in der Scheiße stecken hier.

Unsere Reihe zu neuer Dramatik heißt Ein Stück Gegenwart – wie schaust du auf das Gegenwärtige und welche Erwartungen oder Hoffnungen hast du für die Zukunft?

Trotz all dem versuche ich immer wieder auch hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. In Österreich laufen gerade wieder die traditionellen Donnerstagsdemos gegen eine Regierungsbeteiligung der FPÖ an. Wenn man dort unterwegs ist, spürt man, dass es auch das andere Österreich gibt: ein vielstimmiger, offener, bunter Haufen, der sich die 2. Republik nicht ganz kampflos nehmen lassen will. Man darf nicht vergessen, dass siebzig Prozent Parteien gewählt haben, die eine Koalition mit der FPÖ ausgeschlossen haben. Österreich will mehrheitlich keinen Kanzler Kickl, auch wenn die ÖVP wieder mal einknicklt.

Ferdinand Schmalz ist am 28. Januar zu Gast in der Reihe Ein Stück Gegenwart. Salon zu aktueller Dramatik im noon / Foyer Kleines Haus, Beginn ist um 19:30 Uhr.

 

 

Veröffentlicht am 21. Januar 2025