Eine Chance auf kritische Auseinandersetzung

Musiktheaterdramaturgin Caroline Scheidegger im Gespräch mit Ikram Errahmouni-Rimi, Referentin für Antidiskriminierung, über Oper, Frauen und Veränderung.

Caroline Scheidegger: Die Regisseurin Ulrike Schwab und ihr Team haben sich für ihre Arbeit an Richard Strauss’ Salome eine Beratung in diskriminierungs- und rassismussensiblen Fragen gewünscht. Du bist auch gleich kurz nach dem Startschuss zu uns gestoßen – und hast zuerst mal das Libretto gelesen, das bis oben voll ist mit Rassismen, Sexismen und antisemitischen Klischees. Wie ist es dir mit der Lektüre gegangen? Sollte man so ein Stück heute überhaupt noch spielen?

Ikram Errahmouni-Rimi: Erstmal muss ich mich ja als absolute Nicht-Theater-Kennerin outen und habe als Fachfremde mit einem „ungeübten“ und unbelasteten Blick von außen auf das Stück geschaut. Und natürlich stellen sich dann schnell Fragen wie: Ist es überhaupt in Ordnung, was im Text steht? Was reproduziert man, wenn man das Stück aufführt, wie geht man mit dem Material um? Ich persönlich finde, dass man historisch gewachsene Narrative und Bilder, die problematisch sind, weil eben bspw. Menschen herabgewürdigt oder auf bestimmte Eigenschaften reduziert werden, nicht einfach wegwischen sollte. Denn damit eliminiert man auch ein Stück problematische Geschichte. Ich glaube, wir haben gemeinsam eine gute Lösung gefunden: Dass wir die heiklen Aspekte von Salome wie das sexistische und rassistische Weltbild nicht einfach ausradiert oder unkommentiert gelassen haben. Wir haben stattdessen versucht, sie zu kontextualisieren und verantwortungsbewusst damit umzugehen. Ja, es ist eine Oper, die vor knapp 120 Jahren uraufgeführt wurde, und sie zeigt keine Welt, die wir uns heute wünschen. Es sind Botschaften drin, die Menschen verletzen, aber wir übernehmen dafür die Verantwortung und versuchen das an geeigneten Stellen sichtbar zu machen und zur Diskussion zu stellen. Auf diese Weise kann der Umgang mit einem Stück wie Salome auch eine Chance zur kritischen Auseinandersetzung und Vermittlung sein.

Du hast gerade die verletzenden, diskriminierenden Botschaften und Weltbilder angesprochen. Oscar Wildes Drama selbst ist in seiner Aussage zwar sehr vieldeutig und er überlässt die Deutungshoheit ganz bewusst den Zuschauer:innen. Und doch ist es, gerade in der Verkürzung und Engführung durch Richard Strauss, sehr in den gesellschaftlichen Diskursen der Zeit verhaftet und durch die Brille unserer Zeit mit schwer verdaulichen Aussagen durchsetzt. „Dein Vater war Kameltreiber“, „Durch das Weib kam das Übel in die Welt“, „Was sind das für wilde Tiere, die da heulen? – Die Juden. Sie sind immer so. Sie streiten über ihre Religion“ …

Und es gibt Rollen wie den 1. Juden, 2. Juden, 3. Juden …

… und Frauen wie Herodias, die für ihr ausschweifendes Liebesleben verunglimpft werden und Salome selbst, die sich im Verlauf des Stückes immer mehr zur männervernichtenden Femme fatale entwickelt, zur „nicht domestizierbaren“ Frau, die man sich am besten nur von Ferne anschaut und sie in eine weit entfernte, orientalisierende, unheilvolle Welt steckt. Bei uns ist Salome mit Yannick-Muriel Noah, mit einer Schwarzen Frau besetzt.

Das bringt eine Frage des eigenen Verständnisses, der eigenen Sichtweise und Perspektive mit sich. Ich kann nicht für Schwarze Frauen sprechen, schon gar nicht für alle, aber abstrakt gefragt: Ist das eine Rolle, die man mit marginalisierten Menschen besetzt, also Menschen, die gesamtgesellschaftlich vulnerabel sind, massive Diskriminierungserfahrungen machen und jetzt auch noch Teil sind von deren Reproduktion? Es ist letztlich eine Frage der Deutungshoheit, und die kann man sich ja auch selber schaffen. Und das war das Großartige und Reizvolle an unserer Zusammenarbeit: Dass wir uns gemeinsam den Spielraum jenseits des Librettos gegriffen haben, um das umzukehren. Wir haben versucht, Salome als empowernde, selbstbestimmte Figur zu zeigen und nicht einfach eine sexistische Gesellschaft zu reproduzieren, in der die Frau defizitorientiert betrachtet und körperlich zur Schau gestellt wird. Dass diese Rolle in einer solchen Interpretation von einer Schwarzen Sängerin übernommen wird, ist eine grandiose Botschaft – auch unter einem weiteren Aspekt. Denn, wie ist das eigentlich an Theatern? Wer hat wie viel Zugang zu Hauptrollen? Wer wird sichtbar? Wer kriegt die guten Rollen und Angebote? Es ist wichtig, auch marginalisierten Menschen die Bühne der Sichtbarkeit zu geben und dass sie auch in der Kunst Zugang zu den Ressourcen haben.

Gehen wir heute insgesamt sensibler mit diesen Fragen um?

Wir führen paradoxe Debatten: Auf der einen Seite haben wir starke rechte Parteien, immer mehr autoritäre rechte und auch rechtsextreme Aussagen, die vom Rand der Gesellschaft in die Mitte fließen. Das ist eine Entwicklung, das ist eine Realität. Aber es gibt auf der anderen Seite auch immer mehr Menschen, die dagegenhalten und auf die Straße gehen. Wir haben eine Bundes-Antidiskriminierungsstelle und Bundestagsabgeordnete, die Schwarz sind. Wir haben auch in Bremen Abgeordnete mit internationaler Familiengeschichte. Es gibt also durchaus Anzeichen dafür, dass das System durchlässiger wird. Nicht zwingend, weil das System und die Leute in dem System besser geworden sind, sondern weil viele Menschen, die Diskriminierungen jahrzehntelang ertragen haben, hart dafür gearbeitet haben. Die Frauenrechtsbewegung haben wir den Frauen zu verdanken und nicht unbedingt den Männern, die netter geworden sind. Aber am Ende hat es doch dazu geführt, dass es ein neues, sensibleres Bewusstsein gibt für Gleichberechtigung, Diskriminierung und Rassismus. Menschen, die lange keine Zugänge hatten, haben jetzt Zugänge und schaffen es in die Strukturen. Es ist noch nicht genug, aber es gibt aus meiner Sicht schon eine größere Auseinandersetzung mit Themen, die schon seit Jahrzehnten im Raum stehen. Und deshalb ist es cool, dazu einen Beitrag zu leisten. Dass ein Theater ein Stück aufführt und dabei möglichst darauf achtet, keine problematischen Bilder zu reproduzieren, ist ja auch ein Schritt, der vielleicht vor 15 Jahren noch gar nicht denkbar gewesen wäre.

Du machst ja sonst vor allem Beratungen für Verwaltungen, die freie Wirtschaft oder staatliche Institutionen wie die Bremer Polizei. Was ist der Unterschied zur Beratung eines künstlerischen Teams am Theater?

Ein wesentlicher Unterschied besteht in der Freiheit der Gestaltung. Für mich war das eine total interessante Erfahrung, schon bei der Schöpfung, bei den Anfängen einer Kreation dabei zu sein. Dass man sich nicht an Reglementierungen und strenge Hierarchien halten muss, sondern erst einmal kreativ und frei denken kann. Im Prinzip war ja alles möglich. Die Farben passen nicht zum Kostüm? Ja, dann nehmen wir halt andere Farben. Im Theater brauche ich keinen Beschaffungsantrag und keine Freigabe, wenn ich von einer Farbe abweichen will. Die Handlungskompetenz ist extrem hoch, aber die Tragweite eines Fehlers auch weniger gravierend. Eine Institution wie die Polizei arbeitet stark mit Grundrechten und Grundrechtseingriffen, Polizist:innen können Waffen tragen und Türen eintreten. Das ist schon anders. Und deshalb darf Kunst auch mehr als Polizeibeamt:innen. Unabhängig davon macht auch das Arbeiten mit Polizei sehr viel Sinn und auch Spaß.

Was ist insgesamt das Ziel deiner Arbeit?

Es geht vor allem darum, neue Perspektiven in die Unternehmen zu bringen und dafür zu sensibilisieren, dass wir eine Verantwortung haben und mit unserem Handeln und Arbeiten Menschen verletzen können. Wie kann ich als Organisation einen Beitrag dazu leisten, dass es weniger Menschen gibt, die sich ausgeschlossen fühlen oder tatsächlich auch diskriminiert werden? Es geht darum, Vertrauen zu schaffen und eine möglichst große Akzeptanz in der Gesellschaft zu erzielen, die sich ja auch verändert hat. Die bremische Gesellschaft ist nicht mehr die gleiche wie noch vor 50 Jahren. Die sozio-demografische Zusammensetzung ist anders, Menschen mit unterschiedlichsten biografischen und ethnischen Hintergründen leben zusammen. Das stellt auch das eigene professionelle Arbeiten vor neue und teilweise schwierige Herausforderungen, wenn man gewisse Mindeststandards einhalten will.

 

 

Veröffentlicht am 8. März 2024