„Eine schöne Sache nach der anderen ...“
Patricia Andress verlässt nach dieser Spielzeit das Musiktheater-Ensemble. Mit Hyojong Kim und Marysol Schalit gibt sie mit „Am liebsten“ ein Abschiedskonzert. Ein Abschiedsportrait bekommt sie von Brigitte Heusinger.
„Was für eine Zeit“, sagt Patricia Andress und lächelt. Fünfzehn Jahre Theater Bremen, das schnell zur ihrer Familie wurde. 2007 ist sie gekommen, aus New York, wo sie studiert hat. Ein Engagement gab es vorher in Europa, Alice Ford in Verdis Falstaff an der Semperoper Dresden. Dort war der ehemalige Intendant Hans-Joachim Frey engagiert, der sie nach Bremen mitnehmen wollte. Vorsingen musste sie trotzdem, um Regisseur Werner Schneyder zu beweisen, dass sie in der Operette Czárdásfürstin die deutschen Dialoge bewältigen würde. Sie wohnte im Hotel Lichtsinn, ging durch die Wallanlagen und „nach der Steinwüste New York“ fühlte sie sich sofort zuhause: „So grün“.
Es war Liebe auf den ersten Blick, auch wenn ihr die deutsche Sprache „fünf Jahre lang Kopfschmerzen“ bereitete.
Gleich zu Beginn hatte sie schöne Aufgaben, sang die großen Partien ihres Fachs, schon in der ersten Spielzeit in der geschätzten Zusammenarbeit mit Generalmusikdirektor Markus Poschner eine Wiederaufnahme von La traviata, gefolgt von der Barockoper Fredegunda von Reinhard Keiser und eben Kálmáns Czárdásfürstin. Und auch weiter folgte „eine schöne Sache nach der anderen“. Elisabeth in Wagners Tannhäuser war natürlich ein Highlight, Bellinis Norma (auch wenn sie nicht die Premiere sang), Janáčeks Die Sache Makropulos, wo sie im Rollstuhl auf der Bühne zu sehen war (weil sie zwei gebrochene Beine hatte), Maria Stuarda … Die größte Herausforderung? „Wohl die ‚Traviata‘ mit Regisseur Benedikt von Peter“, sagt sie, „die ganze Oper ganz allein ohne Pause auf der Bühne“.
Jedes Mal habe sie sich gefühlt als müsste sie den Mount Everest besteigen.
Und dann redet sie über zwei Produktionen, in denen sie die Titelrolle verkörpert hat, die sehr starke Interpretationen waren: Madama Butterfly und Rusalka. „Beide Arbeiten waren nicht leicht. Aber was ich geliebt habe, war, dass ich kreativ sein durfte und musste. Die Arbeiten waren wie Geburten und es war dann mein eigenes Baby, das ich zur Welt gebracht habe.“ Ich bemerke, dass es beide Male eine Zusammenarbeit mit Regisseurinnen gewesen sei: „Ist es etwas anderes, mit Frauen zu arbeiten?“ Patricia spontan: „Nein“ – lange Pause – „vielleicht doch“ – längere Pause – „Mmmmh“ – kurze Pause – „Frauen haben, ich sage jetzt nicht, die bessere, aber eine andere Sensibilität.“ Ich frage: „Kriegen die mehr aus dir raus?“ Meine Formulierung stört sie immens, aber sie reagiert wie immer völlig ohne Dagegenhalten, sondern zugewandt, freundlich, überlegt.
„Nein, das nicht, man muss nichts aus mir rausholen, ich gebe so viel von alleine.“
Mit den beiden Regisseurinnen habe sie einfach mehr gesprochen über ihre eigenen Ideen. Sonst habe sie sich meist alleine ihre eigene Geschichte gebaut „als Geheimnis“ und mit diesem Geheimnis sei sie dann auf die Bühne gegangen. „Wie machst du das konkret?“, frage ich. Schon seit langem arbeite sie mit einer Schauspielerin zusammen. Nein, sie nähme keinen Schauspielunterricht, sondern es ginge um die Erarbeitung von Rollen: „Ich schildere das Konzept, schreibe auf, was ich auf der Bühne alles mache“. Sie reden darüber, was ihr Bühnenhandeln psychologisch motivieren könnte, also über das, was man in der Theatersprache als den Subtext einer Rollengestaltung bezeichnet. Und dann schreibt sie sich jedes Mal einen eigenen Charakter auf den Leib. Dies gibt ihr die Sicherheit, die sie braucht, um auf der Bühne zu stehen. „Mein persönlicher Weg war immer, auf der Bühne nur die Figur zu spielen und die Stimme macht dann einfach mit.“ Das gut zu machen ist ein jahrelanger Prozess und eine harte Arbeit, die spätestens ein halbes Jahr vor der Premiere beginnen muss. Ein Tag in der Woche frei, ansonsten Vorstellungen und 2-4 Stunden pro Tag üben oder studieren.
„Ich brauche nicht mehr so viel Zeit wie früher, weil ich weiß, was ich tue. Wenn man klare Gedanken hat, braucht man weniger Zeit. Aber die klaren Gedanken zu haben, das braucht Zeit.“
Zu den klaren Gedanken gehören auch klare Gesetze, die Patricia Andress dann doch mal vehement vertritt: „Es gibt für mich zwei absolute Regeln. Ich spiele keine Opfer und ich spiele keine Verrückten auf der Bühne.“ „Warum?“ „Das Publikum mag beides nicht. Du bekommst viel mehr Resonanz, wenn du das Verrücktsein herstellst. Du darfst dich nicht in die Emotion hineingeben, sondern musst dein Spiel kontrollieren und dich immer entscheiden, etwas zu tun oder zu lassen. Und sich eben auch dafür entscheiden, selbst in den für Frauen tödlich endenden Puccini-Opern keine sich opfernde Frau zu spielen, sondern einen starken Charakter, der trotzdem stirbt.“ Jetzt gerade sind Opfertum und Tragik nicht angesagt. Momentan bereitet Patricia gemeinsam mit ihren Kolleg:innen Marysol Schalit und Hyojong Kim, die wie sie das Theater Bremen als Festengagierte am Ende dieser Spielzeit verlassen, den Liederabend Am liebsten vor.
Ein großer Spaß soll er werden, ein Potpourri aus den gesungenen Partien, gewürzt mit Geschichten und Anekdoten.
Und das auf der Großen Bühne, ihrem Hauptarbeitsplatz. Ja, dort war sie in der letzten Zeit selten zu sehen. Ein Unfall verhinderte ihre Auftritte im Falstaff und in der Zauberflöte. Doch jetzt ist der Fuß, der ihr zwei Jahre mehr als Ärger gemacht hat, fast geheilt und so kann sie auch in dem Projekt Kitesh von dem Theaterkollektiv Hauen und Stechen dabei sein. Fast ein Kontrastprogramm zu ihrem eigentlichen Wirken am Theater Bremen. Doch das ist für Patricia Andress kein Problem: „Wie in jeder anderen Produktion ist es wichtig, dass man sich als Team fühlt und sich seine Energie miteinander baut. Es ist mein Job, mich einzulassen und als erfahrene Kollegin den anderen Mut zu geben. Ja, etwas zu schaffen, das war immer mein Ziel.“
Veröffentlichung: 15.6.22