Eisgekühlt schmeckt es am besten
In der albanischen Kindheit der Autorin Lea Ypi, deren Erinnerungen Frei. Erwachsenwerden am Ende der Geschichte am Theater Bremen uraufgeführt werden, gab es keine Werbung – und keine Coca-Cola. In der BRD, in der die Dramaturgin der Inszenierung, Nina Rühmeier, zeitgleich aufwuchs, leider schon. Ein Text von Nina Rühmeier.
Coca-Cola hat mich einsam gemacht. Zumindest auf Kindergeburtstagen. Denn ich war das vielleicht weltweit einzige Kind, das den Geschmack der braun britzelnden Brause aufrichtig verabscheute. Weil auch die anderen süßen Limonaden mir nicht schmeckten, bat ich meist höflich um ein Glas Milch, was von den Erwachsenen mit überraschtem Amüsement, von den anderen Kindern aber mit Verachtung quittiert wurde. Es gab wenig, das einem in den 1980er Jahren auf der Coolness-Skala einer westdeutschen Grundschulklasse mehr Minuspunkte einbringen konnte, als keine Coca-Cola zu trinken – ganz gleich aus welchen Gründen. Lea Ypi, die Autorin des Buches Frei – Erwachsenwerden am Ende der Geschichte, die zur selben Zeit in Albanien aufwuchs – einem Land, das im sogenannten „Westen“ damals als das Nordkorea Europas bezeichnet wurde –, hätte meine Ablehnung wahrscheinlich als dekadent empfunden. Denn auch in Albanien bestimmte Coca-Cola über den Platz, den jemand in der sozialen Hierarchie einnahm. Allerdings galt das nicht nur für Kinder, sondern viel mehr noch für Erwachsene. Und es ging auch nicht darum, ob oder wie viel Cola man trank. Lea Ypi und ihre Freund:innen waren sich ja noch nicht einmal einig, ob es sich bei Coca-Cola überhaupt um ein Getränk handelte. Von Wert waren allein die Dosen, die Einheimische in Albanien damals nur dann in die Hände bekamen, wenn sie von Touristen mitgebracht, ausgetrunken und weggeworfen worden waren.
Die Dosen waren Raritäten. Man säuberte sie und wies ihnen einen besonderen – hier gleichbedeutend mit: exponierten – Platz im Wohnzimmer zu, wo sie von Besucher:innen bewundert werden und das Ansehen ihrer Besitzer:innen steigern konnten.
Die Coca-Cola-Werbespots, die die Fernsehbildschirme meiner Kindheit verzuckerten, haben die Menschen in Albanien damals nicht gesehen. Ich sah sie erst in Schwarzweiß und – nachdem ausgerechnet während der Olympischen Sommerspiele in Seoul 1988 unser Fernseher seinen Geist aufgegeben hatte und innerhalb eines Tages ein neuer beschafft worden war – in Farbe. Was im Fall der Coca-Cola-Werbeclips immer bedeutete: in weichen Herbst-Farbtönen, die irgendwie alle einen goldenen Schimmer in sich trugen. Während ich auf die nächste Folge von Alf, Knight Rider oder dem A-Team wartete, sah ich, wie sich zu Robin Becks Song First Time, First Love lächelnde weiße Kinder, Jugendliche und Erwachsene in leichter Zeitlupe gegenseitig in die Arme fielen, tanzten, sich hüpfend an den Händen hielten, sich küssten, flirteten, Liebesbriefe erhielten, durch Sonnenblumenfelder liefen, in gischtigen Brandungswellen standen, wieder tanzten, einen Sonnenuntergang ansahen, in Laubhaufen traten, sich wieder küssten … (der Clip war wirklich sehr lang) und dabei fast immer eine Cola zur Hand hatten. Ich sah den Hund mit den Schlappohren, den Gewichtheber, die zwei Kinder mit dem Herzluftballon und all die anderen Protagonist:innen des 1986er „Coca-Cola is it“-Clips. Auf dem Schulhof sangen wir Can’t beat the feeling. Eigentlich war es immer „Zeit für Coca-Cola“.
Auch wenn diese Durchdringung meines Alltags von Coca-Cola-Werbung mich bis heute nicht zur Cola-Trinkerin gemacht hat, bin ich doch Cola-sozialisiert.
Und mir war schon damals bewusst, dass es bei Cola um mehr ging, als um ein Getränk. Die Werbung zeigte es uns: Coca-Cola war ein Lebensstil. Sie war das Symbol unseres Lebensstils. Und der war anders als jenseits der innerdeutschen Grenze, die nur wenige Kilometer östlich meines Zuhauses lag. Wenn wir in meiner Kindheit ins Auto stiegen, fuhren wir immer Richtung Westen. Manchmal sah ich meine Oma Pakete packen, für unsere Ost-Verwandtschaft. Und wenn meine Großtante aus Thüringen anreiste, die als Rentnerin die DDR verlassen durfte (wohl in der Hoffnung, sie würde im Westen bleiben und die ostdeutsche Rentenkasse nicht weiter belasten, was sie als überzeugte Sozialistin jedoch nie tat), wenn Tante Grete also anreiste, hatte sie für uns Kinder Süßigkeiten in ihrer hellblauen Kunstlederhandtasche, die anders aussahen und schmeckten als alles, was wir kannten. Aus dem Urlaub in Frankreich wusste ich, dass nicht jedes Land seine eigenen Süßigkeiten hatte. Snickers, Raider, Coca-Cola – und Kaffee – gab es auch in Paris. In Arnstadt aber offenbar nicht.
Lebensmittel, das begriff ich, waren politisch. Und Coca-Cola war das politischste Lebensmittel von allen.
Dass das bis heute so ist, wird mir bewusst, als ich auf Google „Coca-Cola“ als Suchbegriff eingebe und mir unter „Weitere Fragen“ als erstes vorgeschlagen wird: „Ist Coca-Cola von Israel?“ (sic!). Frage 5 lautet: „Warum wird Coca-Cola in Israel boykottiert?“, Frage 6: „Warum boykottieren Muslime Coca-Cola?“. Für jede Frage wird auch eine Antwort angezeigt. Die Antwort, die auf die erste Frage gegeben wird, ist einfach: „The Coca-Cola Company ist ein US-amerikanischer Getränkehersteller mit Schwerpunkt auf Erfrischungsgetränke und Sitz in Atlanta, Georgia in den USA.“ Bei den Fragen 5 und 6 wird es allerdings komplizierter. Dass Coca-Cola in Israel boykottiert werde, wird damit begründet, dass „wegen des Gazakriegs (…) westliche Unternehmen mit angeblichen Verbindungen zu Israel in Teilen von Nahost und Asien gemieden“ werden. In Israel wird Coca-Cola also wegen seiner vermeintlichen Beziehungen zu Israel boykottiert. Dass der US-Großkonzern Israel im Kampf gegen die Palästinenser unterstütze, wird auch als Begründung dafür angeführt, warum Muslime das Getränk meiden. Darüber hinaus gelte es in islamistischen Kreisen als etwas Teuflisches und als „haram“, also unrein.
Meine Frage, ob das Teuflische der Marke oder dem Produkt selbst innewohnt, bleibt unbeantwortet.
Sollte es Letzteres sein, könnte ich das einerseits gut nachvollziehen, denn wo sonst als in der Hölle, würde man so scheußliche braune Brühe brauen. Andererseits könnte es in dem Fall für Musliminnen und Muslime lohnenswert sein, einen genaueren Blick auf die Zutatenliste zu werfen. Denn die ist bei Coca-Cola nicht überall gleich. In Deutschland wird der Softdrink mit Zucker gesüßt, in Ungarn mit Glukose-Fruktose-Sirup und in den USA mit „High-Fructose Corn Syrup“. Die dortige Zuckerlobby hat hohe Einfuhrzölle für Zucker durchgesetzt, während zugleich der Maisanbau im „Land of the Free“ mit über zwei Milliarden Dollar subventioniert wird. Da greift man bei Coca-Cola lieber auf den günstigen Maissirup zurück. Dass (nicht nur) Coca-Cola in unterschiedlichen Ländern auf unterschiedliche Zutaten setzen, hat 2017 sogar dazu geführt, dass die Visegrad-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei die EU aufforderten, zu untersuchen, ob ihre Länder von internationalen Konzernen mit zweitklassigen Produkten beliefert werden. („Ist es Lebensmittelrassismus?“ titelte die polnische Zeitung Gazeta Prawna). Auch auf diese Frage finde ich im Internet keine Antwort. Ob die EU je eine gegeben hat, weiß ich nicht. Bis heute aber scheint es ihn zu geben, den politisch immer noch brisanten Bruder des Weißwurst-Äquators: den Marken-Meridian der Coca-Cola. Daran hat auch der sozialistischste aller Cola-Werbesprüche nichts geändert, mit dem die Marke 1998 in den USA warb: „Born to be red“.
Veröffentlicht am 27. September 2024