Emilia ist erst der Anfang!

Rahel Hofbauer, Regisseurin der Inszenierung Emilia_Galotti, im Gespräch mit der Dramaturgin Elif Zengin über den Übergang von der Assistenzzeit in die neue Rolle als Regisseurin, das neue Zeitgefühl und die Sichtbarmachung von Leerstellen

Elif Zengin: Rahel, du hast zwei Jahre lang am Theater Bremen als Regieassistentin gearbeitet und machst nun mit Emilia_Galotti deine erste Inszenierung – wie fühlt sich dieser Übergang für dich an?

Rahel Hofbauer: Das Ende meiner Assistenzzeit ist auf jeden Fall auch traurig, weil ich das Haus und das Ensemble, alle Kolleg:innen von der Technik und den Gewerken sehr schätze. Ich habe sehr schöne Produktionen und Erfahrungen mit ihnen gemacht. Der Job als Regieassistentin fordert aber sehr viel von einem, deswegen weiß ich auch, dass es eine richtige Entscheidung war, aufzuhören. Gleichzeitig ist es ein krasser Schritt, jetzt in dieser neuen Position zu sein – so von einem Tag auf den anderen. Ich bin sehr froh, diese Erfahrung in diesem Haus und mit diesen Menschen machen zu können. Es ist eine gute Möglichkeit anzufangen, weil man nicht so unter Druck steht wie, wenn man in ein Haus kommt und niemanden kennt, die Menschen nicht vertraut sind und man noch kein Miteinander gefunden hat.

Du hast Regisseur:innen wie Alize Zandwijk, Klaus Schumacher sowie Felix Rothenhäusler assistiert. Welche Werkzeuge hast du von ihnen erlernt? 

Rahel Hofbauer: Ganz viele verschiedene. Felix zum Beispiel arbeitet sehr viel mit Körper: Wie ist Körper im Raum? Wie ist Stimme im Raum? Alize hingegen lässt ganz viel von den Schauspieler:innen zu und lässt sie ganz viel erforschen und blickt dann darauf. Klaus schafft eine Raumsituation, in der alle sich sehr wohl fühlen und konzentriert arbeiten können. Er hat Verständnis für professionelle, aber auch private Angelegenheiten, die im Arbeitskontext aufkommen. Ich finde, was total hervorsticht bei allen drei Arbeitsweisen, ist, ein gutes Umfeld zu schaffen auf der Probe. Der Versuch, einen Raum zu schaffen, in dem man sich wohl fühlt, wo Kreativität möglich ist von allen Seiten. Ein großes Miteinander. Das sind Dinge, die ich mir von allen dreien mitnehme.

Wie war deine Sicht auf die Regiearbeit während du assistiert hast und wie reflektierst du aktuell darüber?

Rahel Hofbauer: Ich habe die neue Rolle noch nicht so lange, aber vor allem das Verantwortungs- und Zeitgefühl haben sich verändert. Das Verantwortungsgefühl, das ich als Regieassistentin auch sehr stark hatte, habe ich jetzt viel ausgeprägter, weil es ja meine Grundsetzung ist, die verwirklicht wird. Gleichzeitig fühle ich mich für die Schauspieler:innen verantwortlich und für alle Menschen, die mit mir im Raum sind und das mit mir gestalten. Ich habe auch ein neues Zeitgefühl, weil ich merke, dass ich Zeit jetzt anders wahrnehme als zuvor und das ist total skurril. Was sich auf jeden Fall zum Beispiel geändert hat, ist, wie viel Sprechzeit ich habe. Als Assistentin hatte ich sehr wenig Sprechzeit innerhalb einer Produktion und das hat sich nun stark verändert.

Was zeichnet deine Arbeitsweise mit deinem Team und dem Ensemble aus?

Rahel Hofbauer: Vor allem die Vorarbeit, die wir geleistet haben bevor die Proben überhaupt begannen. Wir haben quasi von der Erstellung des Konzepts bis zu dem Zeitpunkt der ersten Konzeptions- und Leseprobe extrem gut zusammen gearbeitet, haben uns jeden Tag ausgetauscht und über Bühnen- und Kostümbild gesprochen, Inszenierungsideen gesammelt und die Fassung gemeinsam erarbeitet. Das war ein sehr starkes Miteinander. Das macht sich jetzt auch bezahlt. Bei der Zusammenarbeit mit dem Ensemble ist ein wichtiger Punkt, dass wir uns schon kennen, wir haben schon länger in Produktionen zusammen gearbeitet. Aber natürlich musste man sich am Anfang an die neue Rolle, die ich nun eingenommen habe, gewöhnen, auch da ist ein großes Miteinander, ein Ausprobieren. Wir überlegen und versuchen gemeinsam, Lessing und seine Emilia Galotti zu verstehen, unsere Inszenierungsidee nachzuvollziehen und sie anzuwenden.

Warum sollte man sich als junge Regisseurin mit einem so alten Stoff wie Emilia Galotti auseinandersetzen? Wie gehst du da heran?

Rahel Hofbauer: Ich glaube, dass man schon fragen muss, warum dieser Stoff immer noch gelesen wird, immer noch auf die Bühne kommt: Warum besteht unser Literaturkanon schon ewig lange aus denselben Werken und warum werden die immer weiter tradiert? Ich denke, dass es gerade wichtig ist, dass sich ein junges Team, mit einer frischen, kritischen Sichtweise diesem Werk nähert und versucht es aus einer jetzigen Perspektive zwar ernst zu nehmen, aber auch zu hinterfragen. 

Wie zeigt sich dieses Hinterfragen von patriarchalen Narrativen in deiner Inszenierung?

Rahel Hofbauer: Ich denke, unser kritischer Blick ermöglicht die Sichtbarmachung einer Lücke bzw. einer Leerstelle innerhalb des Textes. Diese Leerstelle trifft nicht nur auf Emilia Galotti zu, sondern auf ein sehr breites Spektrum an Werken – nicht nur aus der Zeit, sondern aus einer langen Liste an Werken, in denen Frauen nicht zu Wort kommen. Emilia Galotti ist nur der Anfang der Sichtbarmachung dieser bestehenden Abwesenheit. Warum kommt sie so wenig vor in dem Stück, das nach ihr benannt ist?

 

 

Veröffentlicht am 6. Juli 2023