Erinnerungen an Togoland

Handa Gote kommt im Rahmen von „So macht man Frühling #7“ ans Theater Bremen. Tomáš Procházka über den Hintergrund ihres Stücks „Erinnerungen an Togoland, Kolonialträume der Tschechen“.

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Der Funke, der den Auslöser zu unserem Projekt geben hat, war eine beschämende Angelegenheit im Jahr 2017, als ein Schwarzes Model in einer Werbekampagne der tschechischen Version von Lidl zu sehen war. Die Reaktion der „normalen Leute“ war widerlich, in den Mainstream-Medien kursierten eine ganze Weile rassistische Reaktionen. Wir waren von diesem Level an Fremdenfeindlichkeit in unserem Land überrascht und geschockt und begannen über ein Projekt nachzudenken, das diese Art von Gefühlen näher untersucht. Aber lieber nicht auf eine zu direkte Weise, wir wollten nicht in einer Belehrung enden.

Zu Beginn unsere Recherche stellten wir uns die hypothetische Frage, ob der Grad an Xenophobie genauso hoch wäre, wenn die Tschechen eine direkte Kolonialvergangenheit hätten, so wie viele andere europäische Länder auch.

Wir haben Nachforschungen angestellt zur Legende, dass die Tschechoslowakei nach dem Ende des Ersten Weltkriegs versucht hat, die frühere deutsche Kolonie Togo zu erobern. Dann haben wir uns dazu entschieden, eine alternative Geschichtsschreibung zu erfinden, in der wir als Gesellschaft anders auf Menschen mit afrikanischer Abstammung reagieren müssten, weil wir auch eine koloniale Vergangenheit haben. Unsere Performance dreht sich aber nicht nur um Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Stereotype, es gibt auch andere wichtige Inhalte wie zum Beispiel das Phänomen der Fake News oder generell alle Phänomene von Geschichtsumschreibung oder -beschönigung. Es kommen auch einige Mythen vor, die die Tschech:innen gern über sich selbst erzählen. Eine der stärksten davon ist die der Betrogenen. Denn die Tschech:innen neigen dazu, sich als Opfer zu sehen, Opfer der Geschichte und der in der Welt herrschenden Kräfte, deswegen haben sie Schwierigkeiten sich einzugestehen, wenn sie sich anderen gegenüber falsch verhalten.

Das ist natürlich eine Verallgemeinerung – und um dieses Thema geht es auch in unserer Performance.

Denn die Menschen neigen dazu, die Welt zu verallgemeinern und Schwarz und Weiß zu zeichnen, wenn es zu komplex wird. Aber die Welt war nie einfach und es gab schon immer viele Widersprüche in ihr. Die sollten wir nicht ausblenden, um etwas Makelloses präsentieren zu können. Wir sollten sie annehmen, denn nur so lernen wir etwas über uns selbst. Mit unserer Performance wollen wir nicht zeigen, wie rechtschaffen wir selbst sind und das Klischee der „white saviour“ erfüllen. Wir haben schon zu viele Theaterprojekte gesehen, die voller guten Willens waren und auch voller Predigten, Gönnerhaftigkeiten und sogar Erlöserkomplexe. Immer sind wir es, die die „unterentwickelten“ Gesellschaften in Afrika oder anderswo mit unseren Zuschüssen, mit unseren Ideen und Theorien und mit unserem fortschrittlichen Denken, das endlich auch die Schuldgefühle einbeziehen kann, retten werden. Mit unserem reumütigen Ansatz beuten wir die Kolonisierten erneut aus, in einer manchmal bemitleidenswerten Zurschaustellung unserer erhabenen Präsenz, die die Sünden unserer Vergangenheit abwäscht.

Erinnerungen an Togoland ist kein Abend über Afrikaner:innen, sondern in erster Linie ein Abend über Tschech:innen. Es mag in manchen Momenten unangenehm sein, zuzuschauen, aber nicht wegen dem, was wir auf der Bühne sehen, sondern wegen dem, was wir in uns selbst sehen könnten.

 

--- English version ---

 

 

Handa Gote comes to the Theater Bremen as part of "So macht man Frühling #7". Tomáš Procházka on the background of their play "Erinnerungen an Togoland, Kolonialträume der Tschechen“.

The spark that lit this project was a rather embarrassing affair that emerged in 2017, when a guy of African descent was participating as a model in an advertising campaign in the Czech division of Lidl store. The reaction of “common people'' was quite disgusting and all kinds of racist backlash were circulating in mainstream media for quite some time. We were surprised and shocked by the level of xenophobia in our own country and started to think about a project which would explore these kinds of feelings, but somehow not in a direct way, so we would not end up with a proclamation.

In the beginning of our research there was a hypothetical question if the level of xenophobia in our country would be the same if the Czechs had a direct colonial history, like many other European countries. 

We launched a research on a certain urban legend which says that newly formed Czechoslovakia nearly retrieved former German colony Togoland after WWI. We decided to create a sort of alternative history in which we – as a society – have to react to the people of African descent differently and in which we also have a colonial past. But the show is not only about xenophobia, racism and stereotypes, there are other important topics like a phenomenon of fake news and generally all kinds of history falsification or reinterpretation. The show also deals with a couple of myths that the Czechs like to tell about themselves. One of the strongest being the myth of the betrayed. Czechs like to see themselves as a victim of history and the world powers, therefore they have difficulties to take responsibility for any wrongdoing they could inflict on the others themselves.

This is of course a piece of generalising, which is also one of the topics of the performance.

People like to generalise in a way to be able to describe the world in simple shapes and colours when it gets too complicated for them. But the world was never simple and there was always a lot of contradictions present. We should not omit them to be able to present a flawless creation. We should embrace them, because this is the only way to learn something about ourselves. We did not want to perform our righteousness and feed the kliché of “the white saviour”. Many times we could see artistic projects with a lot of good will involved, but well combined with preaching, patronising or even messiah complex. It's always us who will save the “undeveloped” societies in Africa or elsewhere with our grants, with our ideas and theories and with our advanced thinking which is finally able to incorporate even the feelings of guilt. With our remorseful approach we exploit the colonised once again, in sometimes pitiful showing of our elevated presence that washes down the sins of our past. Memories of Togoland is not a show about Africans, it is first of all a show about Czechs. It may be uncomfortable to watch at some moments, but not because of what we see on stage, but because of what we could see inside of us.

 

 

Veröffentlicht am 13. März 2023