Fotografische Begegnungen
Susanne Schuboth, Bühnenbildnerin von Mutter Vater Land, über kollektive Erzählweisen.
Realität ist das, was ist. Theater ohne Publikum ist eine traurige Angelegenheit. Der wahre Wert des Theaters liegt in der miteinander verbrachten Lebenszeit. Ein Abend im Theater gleicht einer gemeinsamen Reise entlang einer Erzählung. Theater lebt davon, dass Menschen sich auf die Sicht von Erzähler*innen, auf eine Erzählung einlassen, sich ein Bild machen.
Mutter? Vater? Land?
Akın Emanuel Şipal erzählt seine Geschichte wie ein kollektives Vor- und Zurückblättern in einem Familienalbum. Mittels Überblendungen, Übermalungen, Autofiktion und Zukunftsfantasien sowie großer Dringlichkeit erzählt er anhand seiner Familiengeschichte von der nässenden Wunde, nicht vorgesehen zu sein, sich ständig erklären zu müssen und dass die Festlegung auf eine eindimensionale
Identität eine defizitäre Sicht ist, die dem Gegenüber nicht gerecht wird. Sieh hin! Mach dir ein Bild!
Das eigene Bewusstsein für Differenz, das Wissen um unterschiedliche Lebenswelten füttert man am besten mit Begegnungen.
Bereits im Vorfeld der Probenarbeiten zu Mutter Vater Land entstand die Idee, aus dem Theater heraus zu treten: sich mit den Mitteln der Kunst ein Bild machen – von der Stadt und von den Menschen. Diesen Part hat die Fotografin Katja Strempel übernommen und ist in abwechselnder Teamzusammenstellung durch Bremen gestreift. Mit ein paar vorab zurechtgelegten Fragen, um das Aneinander vorbeigehen zu durchbrechen, das Flüchtige festzuhalten, begann es. Die Begegnung suchen, Offenheit üben, ein Gespräch eröffnen. Sich ein Bild machen.
Du bist da. Ich sehe dich. Darf ich? Klick. Bremer*innen sind offene Menschen.
Es entstand eine beeindruckende Fotoserie von Menschen und Orten der Stadt. Für uns sind diese Fotografien ein wichtiger Teil unserer Auseinandersetzung mit dem Text von Akın, weil es so viele Geschichten wie Gesichter gibt, die es wert sind, wahrgenommen zu werden.
Fotografie wird zur Erzählung einer Begegnung in der Realitat, die wir als eigenständige künstlerische Äußerung zum Theaterstück hinzufügen.
Um diesem Echoraum eine Form zu geben, haben wir mit Unterstützung des Bremer Rates fur Integration eine fiktive Zeitung erdacht und gestaltet, die in der Aufführung von Mutter Vater Land und an öffentlichen Orten in der Stadt auftauchen wird. Eine Zeitung als Gelegenheit, um ins Gespräch zu kommen? Eine Aufforderung zum Spiel „Mutter, Vater, Stadt, Land, Fluss“? Ein Versuch kollektiven Erzählens? Schön, dass Katja die Portraitreihe ausweiten konnte und das Ensemble der kommenden Spielzeit mit in die Stadt, hinein in die Gegenwart genommen hat. Realität ist das, was ist.
Fotografien: Katja Strempel