Es ist eine Frage der Selbstverteidigung

Ivan Kalmar von der University of Toronto im Gespräch mit Historiker Klaas Anders von der Universität Bremen über sein Buch White But Not Quite, mit dem er am 6. April 2025 am Theater Bremen zu Gast ist.

Klaas Anders: Ihr Buch heißt White But Not Quite. Wie sind Sie auf den Titel gekommen und wie würden Sie den Inhalt Ihres Buches in zwei Sätzen für jemanden zusammenfassen, der keine Ahnung von Ihrer Arbeit hat?

Ivan Kalmar: White But Not Quite bezieht sich auf eine Position, in der man Teil einer privilegierten Gruppe ist, sich aber am Rande dieser Gruppe befindet. Aber wie arme Verwandte schaffen es die „Osteuropäer:innen“ nicht, den Status zu erreichen, der ihnen von Geburt an zusteht, in diesem Fall, dass sie als Weiße und Europäer geboren werden. Und wie die armen Verwandten werden sie selbst für ihr Schicksal verantwortlich gemacht. In meinem Buch zeige ich jedoch, dass der Westen nie wirklich daran interessiert war, den Osten als Gleichberechtigten zu integrieren. Das System, das den Westen in Europa und weltweit privilegiert, ermutigt den Osten Europas, danach zu streben, westlich zu sein; gleichzeitig verhindert es jedoch, dass dieses Streben vollständig verwirklicht wird.

Sie haben sich eingehend mit dem Verhältnis zwischen „Osteuropa“ und „dem Westen“ beschäftigt. Wie hat Ihre eigene Biografie Ihre Sichtweise auf dieses Thema geprägt?

Ich wurde in Prag als Sohn eines slowakisch-jüdischen Vaters und einer ungarisch-jüdischen Mutter, deren Vater Pole war, geboren. Aber erst mit 17 Jahren, als wir in den Vereinigten Staaten ankamen, wurde mir klar, dass ich ein „Osteuropäer“ bin. Manchmal böswillig, aber meistens gutmütig, schienen weiße Amerikaner meine „Osteuropäerschaft“ als kulturelle Barriere zu betrachten. Sie nahmen an, dass ich mich grundlegend von ihnen unterschied. Später, auf Reisen nach Westeuropa, stellte ich fest, dass diese Einstellung dort noch viel tiefer verwurzelt ist. Das Thema hat mich seither immer wieder beschäftigt, aber ich habe erst vor kurzem damit begonnen, mich offiziell damit zu befassen. 

Bremen hat eine Geschichte, die von Migration, globalem Handel und wechselnden Identitäten geprägt ist, aber „Osteuropa“ scheint so weit weg zu sein. Wie würden Sie hier jemandem erklären, warum es immer noch wichtig ist, über unseren Blick nach „Osten“ nachzudenken?

Ich möchte mich auf die Gefahr für die Demokratie konzentrieren, die vom Illiberalismus ausgeht. Ich habe lange davor gewarnt, dass das, was im Osten passiert, das Gleiche ist (wenn auch nicht ganz!) wie das, was im Westen passiert bzw. passieren wird. Die Tatsache, dass Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus und der Aufstieg illiberaler Bewegungen in Süd- und Westeuropa dies bestätigen, bereitet mir keine Freude. Vor allem in Deutschland ist es wichtig zu erkennen, dass der Illiberalismus Ostdeutschlands nicht nur ein Teil des Illiberalismus „Osteuropas“ ist, sondern dass er falsche Lösungen für Probleme bietet, die auch Millionen von Bürgern überall im Westen spüren. Auch sie fühlen sich von den westlichen Eliten ausgegrenzt. Und ebenso muss die Verteidigung der Demokratie im Westen in Solidarität mit ihrer Verteidigung in Osteuropa erfolgen. Mehr über Osteuropa zu wissen, ist also meiner Meinung nach nicht nur eine Frage der intellektuellen Neugier. Es ist eine Frage der Selbstverteidigung.

Veröffentlicht am 20. März 2025.