Glossar zum Artensterben #2

In der Uraufführung REVUE. Über das Sterben der Arten lassen wir ausgestorbene Wesen wieder lebendig werden. Mitautorin und Dramaturgin Theresa Schlesinger erstellt für uns in einer kleinen Serie ein Glossar zum Artensterben. Teil 2: G-M.

Große Beschleunigung (Great Acceleration)

Die Große Beschleunigung kann als Schwelle ins Anthropozän – das menschliche Zeitalter – verstanden werden. 24 Kurvendiagramme wurden 2004 erstmals veröffentlicht und veranschaulichen sozioökonomische Trends und Erdsystem-Trends von 1750 bis 2000. Sie werden seitdem kontinuierlich aktualisiert und zeigen die zunehmende Belastung des Erdsystems durch den Menschen.

Holozän

Wörtlich übersetzt: „das völlig Neue“. Seit dem Abschmelzen der großen Gletscher vor knapp 12.000 Jahren leben wir in einer neuen Erdepoche, dem Holozän. So wurde es 1885 auf dem 3. Geologischen Kongress in London festgelegt. Womöglich haben wir dieses Zeitalter nun aber schon wieder hinter uns gelassen und befinden uns nun im Anthropozän. Diese Benennung ist allerdings umstritten.

Hybris

Eine extreme Form der Selbstüberschätzung meist in Form eines Realitätsverlusts. Menschliche Hybris führt zur Einschätzung, das ganze Universum drehe sich nur um ihn, den Menschen. So baut er Staudämme, rodet Wälder, verschmutzt die Meere und wundert sich später, dass die Tierwelt abstirbt.

Immersion

Die virtuelle Umgebung als real wahrnehmen. Dies kann gedanklich passieren, wenn wir uns so sehr in etwas hineinversetzen, dass wir Raum und Zeit anders wahrnehmen (mentale Immersion). Von physikalischer und mentaler Immersion sprechen wir, wenn wir das vollkommene Eintauchen in eine Virtuelle Realität beschreiben. Die Virtualität entwickelt dann einen Sog, der uns vollkommen hineinzieht und ein Gefühl hervorruft, was wir mit Präsenz beschreiben.

Insektensterben

Im Oktober 2017 erscheint eine Langzeitstudie des Entomologischen Vereins Krefeld, aus der hervorgeht: In Deutschland gibt es 76 Prozent weniger Insekten als noch vor 27 Jahren. Sowohl auf Wiesen als auch in Wäldern ging die Artenzahl im Studienzeitraum um etwa ein Drittel zurück.

IUCN

Die IUCN, auch Weltnaturschutzunion, ist eine internationale Nichtregierungsorganisation. Die Rote Liste der IUCN ist ein entscheidender Indikator für den Zustand der biologischen Vielfalt in der Welt. Sie liefert Informationen über Verbreitungsgebiet, Populationsgröße, Lebensraum und Ökologie, Nutzung und/oder Handel, Bedrohungen und Erhaltungsmaßnahmen, die als Grundlage für notwendige Erhaltungsentscheidungen dienen. In ihrer aktualisierten Roten Liste vom 25. März 2021 erfasst die Weltnaturschutzunion IUCN nun fast 37.500 Tier- und Pflanzenarten als bedroht.

Kapitalozän

„Kapitalozän“ ist eine Bezeichnung für das Zeitalter, das auf das Holozän folgt. Der Begriff entstand als kritische Reaktion auf den Begriff „Anthropozän“ in der Erwägung, dass menschliches Handeln immer von politischen und wirtschaftlichen Machtbeziehungen sowie Ungleichheiten vor dem Hintergrund des globalen Kapitalismus beeinflusst ist.

Klima

Die Zusammenfassung der Wettererscheinungen, die den mittleren Zustand der Atmosphäre an einem bestimmten Ort oder in einem mehr oder weniger großen Gebiet charakterisieren. Der übliche Wetterverlauf während eines Jahres gibt also das Klima wider. Klima ist also ein statistisch ermittelter Zustand der Erdatmosphäre.

Körper

Alles, was eine Ausdehnung hat. Ein Körper im physikalischen Sinne kann fest, flüssig oder gasförmig sein. Wenn wir von „Körper“ sprechen, stellen wir uns jedoch meist einen menschlichen Körper vor. Was kann aber noch gemeint sein? Beziehen wir uns auf ein Objekt, einen Mensch, ein Tier, eine Materialität, eine Idee? Ein Umriss aus Kreide auf Kopfsteinpflaster? Ein bewegter Körper oder einer, der schon erstarrt ist? Was macht einen Körper aus und wo sind seine Grenzen? Wo geht er über in einen anderen, löst sich auf in seiner Umgebung? Ist ein Körper vielleicht auch ein Affekt oder eine Bewegung? Eine Geschwindigkeit oder ein Klang? Wenn „Körper“ sowohl gasförmig, als auch ein durch Flächen begrenztes Gebilde bezeichnet, lässt sich vielleicht ein gängiges Bild aufbrechen und es bleibt nichts als Affekte in einem Raum. 

Koexistenz

Nebeneinander bestehen. Mit der Forderung nach Koexistenz ist im posthumanen Diskurs das Zusammenleben und nebeneinander bestehen von menschlichen und nicht-menschlichen Subjekten gemeint, die sowohl pflanzlich und animalisch, aber auch technologisch sein können. Eine solche Form der Koexistenz ermöglicht die Abschaffung von grundlegenden Diskriminierungsformen, Hierarchien und Ausbeutungen und bildet die Grundlage für das Fortbestehen unseres Planeten und unserer Art.

Korallen

Korallen sind lebende Organismen, sie siedeln in Symbiose mit photosynthetisch aktiven Einzellern auf einer Kalkschickt, die von Jahr zu Jahr wächst. Korallenriffe sind Zentren der Produktivität und zeichnen sich durch eine unglaubliche Artenvielfalt aus – man schätzt ungefähr 1,2 bis 1,4 Millionen unterschiedliche Arten, die in Korallenriffen leben. Erwärmt sich das Wasser, sterben die Korallen.

Megafauna

Anteil der Tiere, welcher in einem Habitat die körperlich größten Organismen stellt.

Mensch

Das gefährlichste Raubtier des Planeten.

Mehr-als-Menschlich

Wie lassen sich die Grenzen des Mensch-Seins ausloten? Wenn die Hybris der Menschheit uns und den Planeten in die Katastrophe treibt, wird es Zeit darüber nachzudenken, wie wir darüber hinweg kommen können. More-Than-Human oder Mehr-als-Menschliches Denken und Handeln, geht über das menschliche Subjekt hinaus und schlägt einen neuen Weg der Koexistenz vor, in dem Verwebung, Vernetzung und Verbindung mit nicht-menschlichen Akteur:innen im Vordergrund stehen.

Metamorphose

„Die Metamorphose ist nicht nur ein Vorgang, der die Körpergestalt insgesamt betrifft, sie ist auch das Verhältnis, das zwischen den Körperteilen untereinander entsteht und diese jeweils befähigt, einer Lebenslinie zu folgen und sich im Lauf ihrer Entwicklung zu entfalten.“ (Emanuele Coccia, Metamorphosen)

 

 

Veröffentlichung: 26.10.21