Grenzen schaffen am Ende eine größere Freiheit für alle
Cornelia Dworak: Stuntkoordinatorin, Stuntwoman, Intimitätskoordinatorin und Biologin sind nur einige ihrer Berufsbezeichnungen. Alina Holz, Mitarbeiterin in der Marketingabteilung des Theater Bremen, hat mit ihr gesprochen.
Du hast im Rahmen der neuen Tanzproduktion von Faye Driscoll und Unusual Symptoms am Theater Bremen einen Workshop zu Bühnenkampf und Intimität gegeben. Was habt ihr genau gemacht?
Cornelia Dworak: Beim Bühnenkampf ist das Gegenüber nicht wie beim echten Kampf Gegner:in, sondern Partner:in – das ganze System beruht auf Feedback. Wir haben Kampftechniken erprobt und geschaut, wie dabei die Sicherheit des Gegenübers gewährleistet werden kann. Zu Beginn des Intimitätsworkshops tauschten wir uns darüber aus, was consent (Anm. Red.: zu deutsch: Einvernehmlichkeit) genau bedeutet: consent kann nur freiwillig gegeben werden, ohne Druck von außen. Druck könnte zum Beispiel die Gefahr sein, meinen Job zu verlieren, wenn ich etwas nicht zustimme. Auch fehlende Zeit kann ein Druckmittel sein: Wenn ich erst am Tag des Drehs erfahre, wie eine bestimmte Szene genau aussehen soll, habe ich keine Bedenkzeit und es ist viel schwerer, Nein zu sagen. Außerdem muss ich informiert darüber sein, was passieren soll, ich muss den genauen Rahmen kennen. Ich kann meinen consent jederzeit zurückziehen. Dann ging es an die Praxis: Wir haben nonverbal mit dem Körper gearbeitet und dabei aufgezeigt, wo unsere eigenen Grenzen liegen. Danach entwickelten wir gemeinsam Tools, um zum Beispiel Sexszenen auf der Bühne möglichst echt aussehen zu lassen. Das kann eine Hand sein, die zwischen intimen Körperstellen platziert wird, aber nicht sichtbar für das Publikum ist. So entstand dann gemeinsam mit Faye Driscoll und den Unusual Symptoms eine Choreographie, die Ausgangspunkt für die Produktion ist.
Warum ist es wichtig, eine Koordinatorin für Kampf- und Intimitätsszenen bei einer solchen Produktion zu haben?
Cornelia Dworak: Es liegt in der Natur der Sache, dass es eine klare Machtdynamik zwischen Regie oder Choreografie und Darstellenden gibt. Schauspieler:innen und Tänzer:innen lernen schon während der Ausbildung, dass sie offen sein müssen, alles geben müssen, sich nicht anstellen dürfen. Man wird als kompliziert abgestempelt, wenn man sich mit gewissen Anforderungen nicht wohlfühlt. Als Stunt- und Intimitätskoordinatorin puffere ich diese Machtdynamik ein Stück weit ab. Ich kläre darüber auf, dass jeder Mensch ein Recht am eigenen Körper und dessen Unversehrtheit hat. Um diese Unversehrtheit zu schützen, ist es wichtig zu verstehen und aufzuzeigen, wo die eigenen Grenzen liegen. Ich bin der Überzeugung, dass das Verstehen und Respektieren von Grenzen eine enorme Freiheit mit sich bringt: Wenn Grenzen vorab klar kommuniziert werden, können alle Beteiligten sich im Rest der Arbeit freier und sicherer bewegen. Das heißt, Grenzen schaffen am Ende eine größere Freiheit für alle. Bei diesem Prozess unterstütze ich als Stunt- und Intimitätskoordinatorin alle Beteiligten, nicht nur die Darstellenden. Im Zentrum steht immer die Frage, welche Geschichte erzählt werden soll und wie die Vision der Regie bestmöglich umgesetzt werden kann.
Welche Überschneidungen gibt es zwischen Stunt- und Intimitätskoordination?
Cornelia Dworak: Bei beidem geht es darum, die Sicherheit der Darstellenden zu gewährleisten und gemeinsam Grenzen abzustecken. Ob Kampfszene oder intime Szene, beidem liegt eine gewisse Bewegungsabfolge zugrunde, die als Choreographie einstudiert werden kann. Und bei beidem besteht die Gefahr, dass Grenzen überschritten werden. Bei Kampfszenen ist es geläufiger, dass vorab Absprachen getroffen und Choreographien ganz genau einstudiert werden. Bei intimen Szenen sieht das in der Regel anders aus: Die Darstellenden werden oft damit alleingelassen, die Regie hat eine Vision und sagt: „Macht doch einfach mal.“ Die Darstellenden denken oft fälschlicherweise, sie müssten etwas Privates mit reinbringen, müssten gewisse Erfahrungen gemacht haben, um die Szene gut umsetzen zu können. Es geht aber einfach um ein Bild, das erzählt werden soll und darum zu überlegen, was es dafür genau braucht.
Also liegt das Problem auch in der Kommunikation …
Cornelia Dworak: Auch beim Thema consent sprechen viele Menschen nicht wertfrei. „Das ist doch so in Ordnung für dich, oder?“ ist keine neutrale Frage, sondern impliziert bereits eine gewisse Erwartungshaltung. Wir sollten alle versuchen, klarer zu kommunizieren und dem Gegenüber Raum geben, sich mit dem Gesagten auseinander zu setzen. Wenn ich frage: „Wie fühlt sich das für dich an“ oder „Was denkst du dazu?“ kommt eine ganz andere und wahrscheinlich viel produktivere Antwort, als wenn ich eine Suggestivfrage stelle.
Normalerweise arbeitest du an Filmsets. Hier bei uns am Theater hast du mit Tänzer:innen zusammengearbeitet. Wie unterscheidet sich die Arbeit?
Cornelia Dworak: Im Theater hat man in der Regel gleich mehrere Vorstellungen, daher muss die erprobte Choreografie reproduzierbar sein. Das heißt auf der anderen Seite auch, dass jedes Mal aufs neue Grenzen abgesteckt werden müssen. Wenn ich als Performer:in etwas regelmäßig tue, kann es sein, dass meine Grenzen woanders liegen, als wenn ich etwas nur einmal mache. Auf einen Bungeejump zum Beispiel würde ich mich vielleicht einlassen. Aber würde ich das auch tun, wenn ich direkt zwanzig Mal hintereinander springen müsste? Auch die Perspektive muss mitgedacht werden: Die Zuschauenden sehen die ganze Bühne und man kann nicht wie beim Film durch einen bestimmten Kamerawinkel oder Ausschnitt den Fokus setzen oder gewisse Dinge ausklammern. Das kann ich auf der Bühne nur durch Kostüme, Requisiten, Licht oder Bewegung beeinflussen.
In den USA scheint der Beruf des Intimacy Coordinators ja schon recht etabliert zu sein. Wie sieht es in Europa aus?
Cornelia Dworak: Der Beruf hat in den letzten Jahren enorm viel mediale Präsenz erfahren und dadurch an Bekanntheit gewonnen. Er ist aber keineswegs neu, im Gegenteil haben in der Vergangenheit verschiedenste Abteilungen wie zum Beispiel das Kostüm oder die Maske die Aufgaben der Intimitätskoordination teilweise abgedeckt: So sorgt zum Beispiel die Kostümabteilung dafür, dass bei einer intimen Szene die Intimzone abgedeckt ist und die Schauspielenden sich wohlfühlen. Während meiner Arbeit als Stuntkoordinatorin in Österreich sind immer wieder Projekte mit sensiblen Inhalten, wie nicht einvernehmliche Intimität oder Gewalt, bei mir gelandet. Diese habe ich dann betreut, aber nicht unter dem Namen Intimitätskoordination, sondern als Stuntkoordinatorin. Ich habe irgendwann gehört, dass es eine Entwicklung hin zu diesem neuen Berufsfeld gibt und fand das total spannend. In Deutschland, Österreich und der Schweiz gab es bis vor kurzem aber kaum Weiterbildungsangebote, dafür musste man in die USA oder nach Großbritannien. In Europa gibt es aktuell noch sehr viel Aufholbedarf. Es herrscht eine große Unsicherheit, ich merke aber auch, wie die Nachfrage stetig steigt. Da es in Europa aktuell aber noch zu wenig Personen gibt, die in dem Berufsfeld arbeiten, werde ich gerade förmlich von Anfragen überrollt.
Dein Lebenslauf verrät: du bist super vielseitig aufgestellt – Stuntfrau und Stuntkoordinatorin, Intimitätskoordinatorin, Thai Yoga Bodywork, Tanz, Biologin … Vieles baut aufeinander auf, hat etwas Körperliches. Wie passt die Biologin da rein?
Cornelia Dworak: Bewegung war schon immer zentral in meinem Leben und für mich ist alles irgendwie Bewegung. Da mag Biologie vielleicht auf den ersten Blick nicht reinpassen. Ich habe mich nach dem Biologiestudium auf Verhaltensforschung und Zoologie spezialisiert. Dabei geht es um Beobachtung von Verhalten, was sich ja ebenfalls durch den Körper und in Bewegung äußert. Ich bin zwar nicht mehr als Biologin tätig, aber vieles von dem damals erlangten Wissen spielt heute in meine Arbeit beim Film, beim Coaching und bei der Körperarbeit rein. Mittlerweile verstehe ich die verschiedenen Bereiche wie ein großes Puzzle, das ineinandergreift.
Veröffentlichung: 30.5.22