Happy Apocalypse

Choreograf Samir Akika über seine Arbeit Fools At Work / Choreographer Samir Akika about his piece Fools At Work

--- English version below ---

Bevor ich nach Deutschland kam, um eine Tanzausbildung zu machen, gelang es mir, mich in die Preisverleihung des César, des französischen Oscars, einzuschleichen. Ich war damals zwanzig Jahre alt und versuchte, die französische Filmwelt zu infiltrieren. Ich schaffte es bis in den Backstage-Bereich, wo die Filmstars nach der Verleihung ihrer Preise herumhingen. Mit einigen von ihnen führte ich nette Gespräche. Die Einzige, die Sie vielleicht kennen, ist Juliette Binoche. Damals stand sie gerade am Anfang ihrer Karriere. Ich versuchte, ruhig zu bleiben, aber mein Herz schlug schnell. Ich dachte, das sei meine einzige Chance, die Treppe zu Ruhm und Ehre zu erklimmen. Am nächsten Morgen wachte ich in meinem Studierendenwohnheim auf. Die Aufregung war verflogen, und ich war zurück in meiner Realität.

Auf einem rubinroten Teppich taucht eine Prozession von Bildern ins Licht.

Ein Laufsteg. Scheinbar unverbundene, emotionslose Gestalten behaupten ihren Platz wie ikonische, sexy Kreaturen. Eine heile Welt von gelangweilten Menschen, die VIPs zu sein scheinen. Die exklusiven unter ihnen. Der rote Teppich: eine exquisit stilisierte Welt, in der Humor und Gewalt selten sind und Schönheit aus kalter Einsamkeit, Traurigkeit und einer magischen Mischung aus ausgewählten Farben und Texturen entsteht. Eine Ausstellung von Sehnsüchten, Träumen und Glamour, hergestellt aus Plastik.

Wer sind die Dummköpfe? Der Star, der einem von der Industrie geschaffenen falschen Image folgen muss, oder die Fans?

Sind wir nicht alle Follower:innen? Pac-Men* & Pac-Women*, die in unaufhaltsamer Manier so viele Waren wie möglich verschlingen? „Ich weiß, dass ich es nicht brauche, aber ich will es trotzdem haben.“ Ich bin nicht besser als die Meute. Ich nutze Amazon. Ich gehe zu Rossmann, auch wenn ich nicht weiß, wofür. Ich bin kein verantwortungsvoller Käufer. Ich sehe mir Mainstream-Filme an. Ich schaue Fußball. Ich esse Fleisch. Ich, Ich, Ich! Mehr, mehr, mehr!

Ich hasse es, wie sicher und steril alles wird.

Ich bin passiv schuldig, aber tue weiterhin so, als ob es mich interessiert, während ich die Fahrt in meinem benzinschluckenden Van genieße. Das Paradoxe ist der unwiderstehliche Wunsch nach künstlicher Schönheit mit allen Mitteln. Es ist nicht meine Absicht, den Konsumismus anzuprangern. Ich habe keine Lösung, außer dem, was alle wissen: Sei ein:e verantwortungsvolle:r Verbraucher:in, wenn du es dir leisten kannst, eine:r zu sein.

Wer ist der Teufel? Die Marketingleute oder die Kund:innen? Die Influencer:innen oder die Follower:innen?

Wir alle, wahrscheinlich. Wir werden Zeug:innen einer allegorischen Parade auf experimentellem Terrain, auf dem sich haarsträubende Zärtlichkeit, desensibilisierte Grausamkeit, strahlende Versprechen und unaufhaltsame Zerstörung denselben Raum teilen. Eine Abfolge von Szenen, die ohne erkennbare Logik ineinander verwoben sind, von Ekel bis Euphorie, gewalttätig und verspielt, einsam und schelmisch, brillant und idiotisch. Ein Perpetuum mobile, das in eine glückliche Apokalypse mündet. Genießen Sie die Fahrt.

 

--- English version ---

Before coming to Germany to get a dance education, I managed to sneak into the award ceremony of the César, the French Oscar. I was twenty years old and trying to infiltrate the French film world. I made it until the backstage area, where movie stars hung around after receiving their prizes. I had a nice talk with some of them. The only one you might know is Juliette Binoche. Back then she was just starting her career. I tried to stay cool but my heart was beating fast. I thought this was my only chance to climb the stairs of fame and glory. The next morning, I woke up in my student dorm. The excitement was gone and I was back in my reality.

On a ruby colored carpet, a procession of images emerges into the light.

A catwalk. Seemingly unconnected emotionless figures claim their ground like iconic sexy creatures. A safe world of bored people who seem to be VIPs. The exclusive ones. The red carpet: an exquisitely stylized world where humor and violence are rare and beauty is born from cold loneliness, sadness and a magical mix of chosen colors and textures. An exposition of desires, dreams and glamour, made out of plastic.

Who are the fools? The star who has to follow a fake image created by the industry or the fans?

Ain’t we all followers? Pac-Men* & Pac-Women* who sempiternally devour as much goods as possible? „I know I don’t need it but I still wanna have it.” I am not better than the pack. I Amazon. I go to Rossman even if I don’t know what for. I am not a responsible buyer. I watch mainstream movies. I watch football. I eat meat. Me, Me, Me! More, More, More!

I hate how safe and sterile everything gets.

I am passively guilty but continue to pretend to care while enjoying the ride in my gas-guzzling van. The paradox is the irresistible desire of artificial beauty by all means. My intention is not to denounce consumerism. I don’t have the solution beside what everyone knows: be a responsible consumer, if you can afford to be one.

Who is the devil? The marketing people or the customers? The influencers or the followers?

Probably all of us. We are witnessing an allegorical parade on experimental terrain where outlandish tenderness, desensitized cruelty, brilliant promises and an unstoppable destruction all share the same space. A sequence of scenes that are interwoven without any recognizable logic, from disgust to euphoria, violent and playful, lonely and mischievous, brilliant and idiotic. A perpetual motion machine that leads to a happy apocalypse. Enjoy the ride.

 

 

Veröffentlicht am 19. Januar 2024