Ich bin Nero Caballo ...
Dieses Lied aus dem Musical Der 35. Mai ist ein echter Ohrwurm und ihr Song im Stück: Stefanie Dietrich steht im Theater Bremen ausrangiertes Zirkuspferd auf der Bühne, das mit viel Humor und Herz nicht unterzukriegen ist. Diana König hat sie im Januar für das Magazin Bremissima interviewt, das Theater Bremen darf das Gespräch zweitveröffentlichen.
Diana König: Der Song „Ich bin Nero Caballo … das steppende Zirkuspferd“ kommt in Der 35. Mai immer wieder in unterschiedlichen Variationen vor, denn Sie singen und tanzen eine der Hauptrollen in dieser Musical-Uraufführung. Was haben Sie gedacht, als der Regisseur Martin G. Berger auf Sie zukam und fragte, ob Sie ein singendes und steppendes Zirkuspferd spielen möchten?
Stefanie Dietrich: Ich habe ganz ehrlich und völlig unbescheiden gedacht, dass es dafür keine bessere Besetzung als mich gibt.
Im Musical, das auf einem Kinderbuch von Erich Kästner basiert, geht es um den kleinen Konrad, der zwar gut in Mathe ist, aber Probleme mit dem Aufsatzschreiben hat und seinen Onkel, der ein bisschen tapsig versucht, ihn zu unterstützen. Und Nero Caballo, also Ihre Rolle, macht eigentlich alles für die beiden möglich. Warum kann das Pferd das?
Also, erstens ist am 35. Mai alles möglich. Deshalb ist es eigentlich überhaupt nicht verwunderlich, dass ein rollschuhfahrendes, steppendes, sprechendes, schwimmendes Zirkuspferd mit Onkel Ringelhuth und Konrad durch einen Schrank nach der Südsee reist. Und zweitens besitzt Nero Caballo eine Riesensuperpower, nämlich die Kraft der Fantasie, die ja bekanntlich Berge versetzt. Im Übrigen gilt es im Laufe des Abends die Frage zu klären, ob es diesen komischen Gaul überhaupt je gegeben hat, aber dafür muss man schon selber ins Theater kommen.
Jetzt mal ehrlich, Frau Dietrich, was war während der Proben der schlimmste Ohrwurm?
Ich muss gestehen, dass sich Zurück Marsch Marsch, die Szene, in der man in der Versuchsstation des Schlaraffenlandes Wünsche wahr werden und wieder verschwinden lassen kann, auditiv zu einer Herausforderung für uns entwickelt hat. Wir haben es seeeeeehr lange geprobt, und wir mussten es seeeeeeehr oft hören.
Tanzen und singen auf einmal, das ist sicher nicht leicht. Da muss man über Bewegung und Stimme gleichzeitig den Überblick behalten. Wie schaffen Sie das?
Ach, das werde ich oft gefragt, es scheint für viele etwas Besonderes zu sein. Für mich ist das ganz normal. Es ist mein Beruf. Man nennt Leute wie mich Triple Threats, also Dreifach-Bedrohungen. Wir können singen, tanzen und schauspielern gleichzeitig. Mein Job ist es, im Pailletten-Kostüm Dinge leicht aussehen zu lassen. Die Wahrheit ist, dass ich einen sehr großen Teil meines Lebens in verschwitzen Tanzklamotten auf staubigen Probebühnen ohne Tageslicht verbracht habe, mit hartem Training und ganz viel Üben.
Wo haben Sie denn Ihr Handwerk gelernt?
Ich hatte das Glück, an der Theaterakademie August Everding in München studieren zu dürfen. Ich nenne das wirklich ein Glück, denn es war eine künstlerisch unbeschreiblich fruchtbare und inspirierende Zeit. Unter dem Dach des Prinzregentheaters sind Studierende aus allen Sparten vereint, ich habe dort in Schauspiel- Opern - Musical- Operetten- oder Tanztheaterproduktionen gespielt. Ich konnte mich in allem ausprobieren, und von dem Netzwerk an Theaterschaffenden von damals profitiere ich bis heute. Uns wurde von Anfang an beigebracht, über den Tellerrand zu schauen, und neugierig zu bleiben. Das habe ich mir bis heute bewahrt.
Wann war Ihnen klar, dass Sie auf die Bühne wollen?
Ich komme aus einer Künstlerfamilie. Mein Opa war ein großer Schlagersänger in der DDR, meine Mutter ein Kinderstar, meine Tante Pianistin – ich sage immer: ich hatte gar keine Wahl. Mit acht Jahren stand ich zum ersten Mal auf der Bühne, im Kinderensemble des Friedrichstadtpalastes meiner Heimatstadt Berlin, und damit war der Käse gegessen. Ich wollte nie was Anderes werden, ich wollte immer nur fliegen.
Der 35. Mai ist eine Uraufführung am Theater Bremen: Wie ist das, wenn man die erste ist, die eine Rolle singt und spielt?
Das ist ein großes Geschenk und etwas ganz, ganz, ganz Besonderes. Mir wurde die Rolle wirklich auf den Leib geschrieben, praktisch in die Kehle hinein. Die Songs sind meinem Stimmumfang angepasst, meinem Witz und meiner Schnoddrigkeit. Ich darf alles zeigen, was ich kann. Die Komponisten des Abends, Martin G. Berger und Michael Ellis Ingram, kennen mich gut, und ich merke der Rolle an, mit wieviel Liebe sie geschrieben wurde. Und es ist ein großer Vertrauensbeweis an mich als Darstellerin, mir so einen Schatz wie den Nero anzuvertrauen. Es bedeutet mir viel.
Für diese Rolle sind Sie extra nach Bremen gekommen, denn Sie leben eigentlich in Berlin. Aber Reisen sind Sie als freie Schauspielerin und Sängerin gewöhnt, oder? Wie sieht Ihr Alltag aus?
Ich mache im Schnitt zwei bis drei Produktionen im Jahr. Das heißt, ich werde, wie hier in Bremen, als Gast an ein Theater geholt und verbringe dann meistens gute sechs Wochen Probenzeit an diesem Theater. Nach der Premiere komme ich nur für die laufenden Vorstellungen in die betreffende Stadt. Ich verbringe tatsächlich viel Zeit in Zügen. Ich mag das, ich bin vom Sternzeichen Zwilling und gerne unterwegs. Wenn ich besonders viel um die Ohren habe, lasse ich mit Vorliebe mal einen Koffer am Gleis stehen. Ich habe auf diese Weise schon zweimal meine Steppschuhe verloren. Und Klavierauszüge, die verliere ich auch immer sehr gern im Zug.
Was machen Sie denn, wenn Sie nicht unterwegs sind, proben oder spielen?
Nichts. Dann mache ich nichts. Und ich schäme mich auch nicht dafür. Mein Beruf ist wunderschön. Aber er ist auch sehr anstrengend. Körperlich, psychisch, seelisch anstrengend. Während einer Vorstellung bin ich hochkonzentriert und gebe alles, ich spare nicht. Wenn ich zu Hause bin, schlafe ich sehr viel. Ich brauche das, um mich wiederaufzutanken. Ich kaufe ein. Ich hole meinen Sohn von der Schule ab. Ich mache mit ihm Hausaufgaben. Ich gehe schwimmen. Das war´s. Im Sommer kümmere ich mich um meinen Hof in der Oberhavel. Wir sind ein Gästehaus mit Veranstaltungsscheune namens HOF LANDLUST. Mein Vater war Landwirt, mein Mann kommt von einer großen Farm, die Arbeit in der Natur erdet uns sehr.
Man hört häufiger, dass es für Schauspielerinnen und Sängerinnen mit zunehmenden Alter schwerer ist, Rollen zu bekommen. Wie erleben Sie das?
Für mich sind die Rollen immer größer und schöner und interessanter geworden. Ich bin so dankbar, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Ich habe mit 35 meinen Sohn bekommen. Als ich wieder in den Beruf eingestiegen bin, war ich 15 Kilo schwerer und habe nur noch Rollen gespielt, mit dem Wort „alt“ im Namen: Alte Frau aus Candide, altes Showgirl aus Follies oder jetzt das alte Zirkuspferd. Ich finde das unbeschreiblich befreiend. Und spannend. Ich habe das Gefühl, für mich geht es jetzt überhaupt erst richtig los, mit diesen satten, reichen, schillernden Frauenportraits.
Würden Sie sagen, dass in jeder Rolle, die Sie verkörpern, auch eine Seite von Ihnen zum Vorschein kommt? Oder macht es gerade eher Spaß, etwas, das ganz weit weg ist von Ihrer eigenen Persönlichkeit, zu spielen?
Ich bin absolut davon überzeugt, dass jede Figur aus einem bestimmten Grund zu einer bestimmten Zeit zu mir kommt. Jede Figur will mir etwas sagen, mich auf eine Reise mitnehmen, mich etwas lehren. Interessanterweise sind die Rollen, die mir sehr fremd vorkommen, manchmal fast leichter zu spielen. Für diese Rollen nehme ich mir ganz besonders viel Zeit in der Vorbereitung, benutze bestimmte Techniken und hole sie an mich ran. Gefährlich sind die Rollen, die einem „vermeintlich“ ganz nah sind. Da übersieht man schnell mal was. Da ist bei mir die Gefahr, dass ich mich zu sicher fühle, das ich nicht genau hinschaue und oberflächlich werde. Aber so oder so ist alles ein Prozess.
Können wir Sie momentan eigentlich noch in anderen Städten und Rollen auf der Bühne sehen?
Ich habe ein eigenes Solo-Programm über eine Lustspielsoubrette namens Mizzi Meier. Damit bin ich regelmäßig in Deutschland unterwegs. Gerade wird das Mizzi Meier-Universum erweitert: mit Freunden schreibe ich an einer Version von Prinzess Rosine, einer so gut wie noch nie aufgeführten Linke Operette, die Mizzi gemeinsam mit ihrer Tochter Christine auf einem Kreuzfahrtschiff mitten auf dem Nil aufführen soll. Und im März geht es gemeinsam mit G. Berger nach Wien, an die Volksoper, wo ich die große Ehre habe, eines der Showgirls in Follies spielen zu dürfen.
Auf was freuen Sie sich, wenn Sie zum Theater kommen?
Auf meine Kollegen, auf Tatjana in der Maske, auf Anja, meine Ankleiderin und auf die Gummibärchen von der lieben Caro am Inspizientenpult.
Veröffentlicht am 18. Februar 2025