„Ich frage mich, hätte ich das geschafft?“

Romanautor David Safier hat zu Beginn der Proben an der Uraufführung Solange wir leben das Ensemble um die Regisseurin Alize Zandwijk auf der Probebühne besucht. In einem berührenden Gespräch erzählte er von der Entstehung des Romans und der Bedeutung, die das Schreiben für ihn gehabt hat. Dramaturgieassistent Johannes Schürmann hat Auszüge aus dem Gespräch verschriftlicht.

Ab wann ist bei dir der Impuls entstanden, aus dem Leben deiner Eltern einen Roman zu machen? Hast du irgendwann mal angefangen, Notizen zu machen?

David Safier: Es gibt von Dennis Johnson ein Buch, Train Dreams, das ist auf etwas über hundert Seiten ein fiktionales Leben eines Menschen. Ich hatte immer das Gefühl, es wäre über meinen Vater und meinte, das müsste auch über meine Mutter gehen. Als ich meinem damaligen Verleger von meinem Vater erzählte, sagte er: Sie müssen über Ihren Vater schreiben. Da habe ich geantwortet: Ja, aber dann auch über meine Mutter. Dann habe ich zwölf Jahre lang Listen gemacht, was für Szenen drin vorkommen und irgendwann einfach drauf los geschrieben und geschaut, welchen Ton ich finde. Denn der Ton in Solange wir leben ist ein anderer als in meinem anderen Shoah-Roman, 28 Tage lang oder in meinem Roman, der im Mai rauskommt und im Theater im Warschauer Ghetto spielt, Die Liebe sucht ein Zimmer. Das ist ein Theaterstück, was im Warschauer Ghetto tatsächlich aufgeführt wurde. Das einzige in der Shoah von Juden geschriebene Stück, was überliefert ist. Ich habe die Rechte daran gekauft und eine Handlung drum herum gebaut. Jedenfalls hat Solange wir leben einen anderen, einen eigenen Ton. Diesen Ton musste ich erst einmal finden und dann habe ich es geschrieben. Natürlich ist einiges teilweise imaginiert. Denn selbst wenn du weißt, wie deine Eltern sich kennengelernt haben, weißt du nicht, was und wie sie genau miteinander geredet haben. Und auch die Geschichten, die sie erzählt haben, sind wahrscheinlich nicht alle so gewesen und teilweise zu Legenden ausgebaut, weil sie sich nicht mehr richtig daran erinnern.

War das Schreiben des Romans eine Befreiung für dich?

Für mich war es erst einmal eine schöne Erfahrung. Es war wirklich schön, weil ich merkte, dass ich meine Eltern liebe. Ich finde wirklich vieles an denen bewundernswert, und ich frage mich, hätte ich das geschafft? Ich wäre sicher an den gleichen Sachen zerbrochen wie sie, aber ich frage mich, wäre ich an anderen Sachen nicht noch mehr zerbrochen? Hätte ich das überhaupt geschafft, mich da wieder rauszuwinden? Mir hat das Schreiben also gutgetan. Es war überraschend, was mich bewegt hat. Bei manchem dachte ich, die Szene schreibst du heute, sehr easy. Aber dann habe ich eine ganze Woche nachgedacht, warum die das eigentlich gemacht haben. Das hat mir geholfen. Das hat Dinge gelöst. Was sehr schön war, das war die Buchpremiere in Wien. Weniger der Erfolg als der Gedanke: Jetzt weiß wieder jemand in Wien, wer Josef Safier war. Das hatte etwas für mich, dass dieser Mensch, der von dort vertrieben worden ist, dass der wieder lebt und wieder so alt ist. Ich habe ihn wieder nach Hause gebracht. Das hat gutgetan.

Hast du mit den Skizzen angefangen als deine Eltern schon gestorben waren?

Ja. Ich hätte dieses Buch sonst nie schreiben können, denn ich weiß ja, was meine Eltern dazu sagen würden. Dann würde mein Vater sagen: Das war doch alles gar nicht so gewesen. Und meine Mutter würde sagen: Ach, lass ihn doch.

Veröffentlicht am 24. Februar 2025