„Ich habe immer das Bedürfnis, aus Klischees, aus dem Gewohnten und dem Erwarteten auszubrechen.“

Warum man eine Idee von Liebe lernen kann und wie man sie hinterfragt: Die Dramaturginnen Saskia Scheffel und Elif Zengin haben mit Soft Rebellion-Regisseurin Yeşim Nela Keim Schaub gesprochen.

Romeo und Julia ist eine legendäre Liebesgeschichte von zwei Teenagern, die unsere Vorstellung von romantischer Liebe stark geprägt hat. Was reizt dich an dieser Geschichte?

Yeşim Nela Keim Schaub: Ich glaube, dass wir eine Idee von Liebe gelernt haben, die so tief in unserem Denken verankert ist, dass sie all unsere Beziehungen, auch die zu uns selbst, unbewusst geformt hat. Das Liebeskonzept, das wir bei Romeo und Julia immer wieder erzählt bekommen, suggeriert eine Liebe, für die wir bereit sein müssen, uns in unserem Kern zu verändern. Es ist auch eine Liebe, die uns erlöst, weil sie uns das gibt, von dem wir glauben, wir könnten es uns selbst nicht geben. Dabei entwickeln wir Erwartungen aneinander und an uns selbst, denen wir nicht gerecht werden können oder wollen und erfahren uns in Folge als nicht liebenswürdig. Andererseits spielt Liebe im Kontext von Zugehörigkeit und Herkunft eine identitätsstiftende Rolle, die Sicherheit, aber auch Einengung bedeuten kann.

Die Inszenierung ist eine Stückentwicklung frei nach Shakespeares Original. Auf welche Motive greifst du zurück?

Ich stelle mir immer wieder die Frage, was wollen wir aus dem Stück Romeo und Julia und damit auch von dem Liebeskonzept für unsere Stückentwicklung annehmen und was möchten wir anders verstehen oder sogar ganz ablehnen. Es ist ein Versuch, eine eigene Liebesgeschichte zu erzählen, die uns gerecht wird. Dabei bietet uns das Theater einen Möglichkeitsraum, um uns zu diesem alten Stoff ins Verhältnis zu setzen. So können wir sowohl unser Selbst als auch die Liebe ganz unterschiedlich und immer wieder neu erfahren.

Wir haben uns für den Stücktitel Soft Rebellion entschieden. Was bedeutet er für dich und was hat das mit Romeo und Julia zu tun?

Für mich ist eine Soft Rebellion der Versuch, dem Druck der gesellschaftlichen Normierungen und der Gewalt, die in äußeren Zuschreibungen liegt, zu entgegnen, indem man sich selbst und dem Gegenüber mit Verständnis und Zärtlichkeit begegnet und sich erlaubt, die eigene Stimme zu finden. Es ist eine Suche, die ich auch bei Romeo und Julia sehe, die mit ihrer Liebe gegen die Strukturen, ihre Familien und die ihnen auferlegten Rollen rebellieren.

Die Inszenierung vereint Ensemblespieler:innen des Jungen Theaters und des Schauspiels. Auch wir als Dramaturginnen vertreten die jeweiligen Sparten. Welchen Einfluss hat das auf deine Arbeitsweise?

Ich finde es grundsätzlich sehr wichtig, dass alle Beteiligten ihre unterschiedlichen Erfahrungen und Expertisen in das Projekt einbringen. Es kann aber auch die Herausforderung mit sich bringen, gewohnte Arbeitsweisen zu verlassen und neu zu gucken, wie man zusammenkommt. Für mich ist das immer wieder ein Lernprozess und eine große Bereicherung.

Am Anfang des Stücks wird der Wunsch formuliert, aus den festgefahrenen, sich wiederholenden Systemen auszubrechen. Woraus möchtest du mit diesem Stück ausbrechen?

Ich habe immer das Bedürfnis aus Klischees, aus dem Gewohnten und dem Erwarteten auszubrechen.

 

 

Veröffentlicht am 21. Oktober 2024