„Ich kenne eine Menge guter Menschen auf dieser Welt.“
Warum nette Menschen nicht langweilig sind, Nachdenken nicht immer gut ist und die Frage, ob manche Leute Angst vor der Schönheit haben: die südafrikanische Sopranistin Sarah-Jane Brandon im Gespräch mit Brigitte Heusinger, leitende Dramaturgin im Musiktheater.
Brigitte Heusinger: Du bist in Südafrika geboren, bist mit 23 Jahren nach London gezogen. Dort hast du studiert und 14 Jahre lang gelebt, wenn du nicht gerade irgendwo in der Welt gastiert hast.
Sarah-Jane Brandon: Mir geht es sehr gut, ich habe Freund:innen, wunderbare Kolleginnen und Kollegen, eine schöne Wohnung. Ja und ich genieße es sehr, dass das Leben in Bremen eher ruhig ist. Die Menschen sind freundlich und ich mag die offene, norddeutsche Art. Aber vor allem empfinde ich es als Privileg, jeden Tag das zu tun, was ich liebe.
Gerade ist dein Privileg, die heftige Partie der Lady Macbeth zu singen. Wie stehst du zu der Figur?
Charakterlich gesehen würde ich nicht sagen, dass ich der Lady ähnlich bin. Ich glaube, ich bin eine starke Persönlichkeit, aber definitiv keine Frau, die alles dafür tun würde, das zu bekommen, was sie will!
Gehört zu deinem Beruf nicht auch eine große Portion Ehrgeiz?
Ja, ich denke, ich bin schon ehrgeizig, was mein Leben und meine Karriere angeht. Aber über Leichen würde ich nie gehen. Ich glaube daran, meine Ziele durch harte Arbeit erreichen zu können und wünsche mir, ein guter Mensch zu sein, der andere gut behandelt.
Suchst du in den Figuren, die du verkörperst, nach den guten Seiten?
Ja, etwas Gutes findet sich in jeder und in jedem. Menschlichkeit zeichnet uns aus. Wir müssen in unseren Figuren auf der Bühne Qualitäten finden, sonst können sich die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht identifizieren. Und wenn man sich nicht identifizieren kann, ist man nicht berührt. Auch Lady Macbeth liebt. Sie liebt Macbeth. Es ist eine giftige Liebe, aber es ist eine Liebe.
Ich höre eigentlich immer von Darsteller:innen, dass es viel mehr Spaß macht, die bösen, zerstörerischen Figuren zu spielen als die guten. Geht dir das auch so?
Vielleicht. Man hat eine größere Farbpalette, die man nutzen kann. Aber eigentlich finde ich es schade, dass die meisten Menschen eine schlechte Meinung von netten Menschen haben und denken, die Eigenschaften nett und freundlich könne man mit langweilig und uninteressant gleichsetzen. Ich kenne eine Menge guter Menschen auf dieser Welt. Zum Beispiel meine Mutter. Sie ist eine wunderbare Frau. Als Grundschullehrerin arbeitet sie mit Kindern, die Lernschwierigkeiten haben und Förderung bedürfen. Sie ist so freundlich, so geduldig, so sanft und beeinflusst das Leben ihrer Schüler:innen. Ihnen würde es schlechter gehen, wenn sie ihr nicht begegnet wären. Das ist etwas ganz Wertvolles. Daher ist es für mich sehr wichtig, darüber nachzudenken, wie man positive Menschen gut darstellen kann.
Ist das auch ein Grund, warum du Theater machst?
Was ich auf die Bühne bringen möchte, ist in erster Linie guter Gesang. Unsere Kunstform ist etwas ganz Besonderes und daher habe ich viele Jahre lang an meiner Technik, meinem Ausdruck gearbeitet. Und ich bin immer noch dabei und genieße es. Ich liebe Schönheit, ich möchte schöne Dinge hören und sehen. Und ich glaube, dass wir in der heutigen Zeit fast ein wenig Angst vor der Schönheit haben.
Du singst jetzt die Lady Macbeth und bereitest dich auf die Rolle der Vitellia in Titus vor.
Ich habe in meinem Leben viel Mozart gesungen und immer gedacht, es ist das Schwierigste überhaupt, weil es so rein und präzise sein muss und jede:r die Musik und den Stil kennt. Aber nachdem ich jetzt Lady Macbeth gesungen habe, fühlt sich Mozart im Vergleich dazu ganz leicht an.
Sag mal, was denkst du, machst du in zehn Jahren?
Die Pandemie hat dazu beigetragen, dass ich eine neue Sicht auf das Leben habe. Ich kann so viele Pläne im Kopf haben wie ich will. Aber man kann nie wissen, ob sie sich verwirklichen lassen. Aber natürlich möchte ich gute Partien an schönen Orten singen, mit guten Kolleginnen und Kollegen.
Bremen ist dein erster fester Vertrag an einem Haus, du bist zum ersten Mal ein Ensemblemitglied.
Ich war jahrelang nie zwei Wochen am Stück zuhause, sondern immer unterwegs. Natürlich habe ich es genossen, aber jetzt erlebe ich diese neue Stabilität als sehr wohltuend für meinen Körper und meinen Geist. Es ist so toll, am Tag der Vorstellung im eigenen Bett aufzuwachen und nicht in einem Airbnb oder einem Hotelzimmer. Und ich freue mich so über die Gelegenheit mit Menschen zu arbeiten, die ich kenne und zu sehen, wie wir uns helfen und alle miteinander entwickeln. Wir unterstützen uns. Das ist sehr schön.
Gibt es keine Konkurrenz?
Konkurrenz gibt es immer ein bisschen, aber nicht wirklich.
Hast du viel Lampenfieber?
Ja, sehr. Obwohl es sich bei Macbeth in Grenzen hält. Ich habe einfach keine Zeit; eine Szene, eine Arie folgt auf die andere. Das war in Don Carlo anders. Ich hatte Pausen und so die Gelegenheit, sehr nervös zu sein.
Wie bereitest du dich auf die Vorstellungen vor?
Ich versuche, lange zu schlafen. Nach dem Aufstehen inhaliere ich erst heiße, dann kalte Luft. Wenn ich sehr nervös bin, mache ich sauber. Das hilft. Aber das Putzen darf nicht zu anstrengend sein, sonst verliere ich zu viel Energie. Ein paar Stunden vorher versuche ich etwas Gutes zu essen und viel, viel Wasser zu trinken. Und ich spreche wenig, höre klassische Musik und sehe Filme, bei denen man nicht nachdenken muss. Mein Ziel ist, so wenig nachzudenken wie es geht und mein Gehirn ganz leer zu machen. Das ist für mich nicht einfach, denn eigentlich bin ich ein Mensch, der immer nachdenkt. Ob ich will oder nicht.
Veröffentlicht am 8. Februar 2024