„Ich zeichne diese düsteren Bilder nicht, ich mache sie nur sichtbar.“
Mit Ein Stück Gegenwart. Salon zu neuer Dramatik startet eine neue Reihe im Theater Bremen. Verantwortlich dafür ist die Dramaturgin Sonja Szillinsky. Sie hat den ersten Gast getroffen: ein Gespräch mit dem Dramatiker Amir Gudarzi.
Sonja Szillinsky: Eine Besonderheit deiner Stücke besteht in den auftretenden Chören: Du lässt Gruppen sprechen, die – in der „realen Welt“ – keine Sprache haben, zum Beispiel Gegenstände oder Fossilien. Ich denke an den „Chor der Waffen, die nicht mehr töten wollen“ in deinem Stück Am Anfang war die Waffe oder den „Chor der toten Tiere, die zu Öl geworden sind“ in Wonderwomb. Was interessiert dich daran, ihnen eine Stimme zu geben?
Amir Gudarzi: Theater ist eine Fantasiewelt, in der das Unmögliche jeden Abend möglich wird. Daher können sich diese Unmöglichkeiten auch auf Dinge, beispielsweise auch auf Waren beziehen. Ich finde es reizvoll herauszufinden, wie das Öl über sich selbst, über die Welt und über uns Menschen denken könnte. Genauso wie die Waffen. Ich finde es reizvoll, wenn wir Menschen beginnen, mehr über die Gegenstände nachzudenken, die uns dienen, oder wir ihnen, weil wir sie begehren und dadurch reich werden können. Öl und Waffen haben die Form unseres Lebens und Zusammenlebens auf der Welt nachhaltig verändert. Ich fände es fragwürdig, wenn sie nicht sprechend vorkommen würden, in einem Stück, das sie zum Thema macht.
In deinen Texten geht es oft um die Auseinandersetzung mit Formen von Gewalt. Du benennst internationale Zusammenhänge und stellst gewaltvolle Ereignisse einander gegenüber. Das ist sehr schmerzhaft zu lesen, beziehungsweise auf der Bühne zu erleben. Und es zeichnet ein recht finsteres Bild der Welt – hast du dennoch Hoffnung, dass gewaltvolle Regime, wie beispielsweise das im Iran, eines Tages überwunden werden können?
Amir Gudarzi: Ich zeige Verbindungen und Zusammenhänge, die für unser Verständnis der Welt wichtig sind und aus der Vergangenheit heraus noch immer unsere Gegenwart beeinflussen. Ich zeichne diese düsteren Bilder nicht, ich mache sie nur sichtbar. Natürlich kann man die Augen schließen, damit man all das nicht sieht, aber diese Düsterkeit existiert und sie wird durch ein Verschließen unserer Augen nicht aus der Welt verschwinden. Ich zeige eine Kette von Mechanismen, die unterbrochen werden muss, um in einer besseren Welt leben zu können.
Und wie könnte das gelingen?
Amir Gudarzi: Wir müssen nicht immer aktiv etwas dafür tun, wir können manchmal auch innehalten – und dieses Innehalten ist ein Widerstand, eine Unterbrechung der Kette der Gewalt. Darin liegt die Hoffnung. Wenn die Schurken des iranischen Regimes eines Tages diese Kette unterbrechen und den Befehlen nicht Folge leisten, das heißt auf Demos nicht schießen, dann ändert sich die Lage sofort. Wenn der Operator in Amerika, der eine Drohne bedient, die in Afghanistan im Einsatz ist, den Befehl nicht befolgt, weil er glaubt, es handele sich um Zivilist:innen wie im Stück Am Anfang war die Waffe, dann würden diese Kinder überleben. In diesem Innehalten, das durchaus in unserer Macht steht, sehe ich Hoffnung. Wir können die Kette der Gewalt unterbrechen.
Das Theater ist eine Kunstform, die davon lebt, dass etwas in dem Moment entsteht, in dem das Publikum anwesend ist, also im Wortsinne gegenwärtig. Tagespolitische Ereignisse werden sofort zu Referenzen und beeinflussen möglicherweise die Lesarten des Publikums. Welche Rolle spielt die Gegenwart für dich beim Schreiben?
Amir Gudarzi: Es ist ein großes Problem beim Theater, dass man zumeist nicht auf tagesaktuelle Themen reagieren kann. Wenn man Glück hat und das Stück gleich nach dem Schreiben auf die Bühne kommt, vergehen trotzdem mindestens zwei Monate. Unsere Gegenwart ist ein Produkt der Vergangenheit und sie formt die Zukunft, daher verbinde ich alle diese drei Ebenen in meinen Stücken miteinander. Ich betrachte die Gegenwart genauso wie geschichtsaffine Menschen die Vergangenheit: Ich sehe es als eine Aufgabe für mich an, in dieser Gegenwart Dinge richtig zu stellen oder zu ändern, damit die Zukunft anders sein kann.
Bisher hast du vor allem Theaterstücke geschrieben, kürzlich ist jedoch dein erster Roman erschienen; er trägt den Titel Das Ende ist nah. Wenn du einen neuen Text beginnst: Wie und wann fällt eine Entscheidung für eine Gattung, für eine Form?
Amir Gudarzi: Eigentlich weiß ich sofort, welche Textgattung ich für eine Idee wählen muss. Es passiert gleichzeitig. Beim Roman war es genauso. Ich hatte die Idee seit 2011 im Kopf und habe lange Material dafür gesammelt. Aber dadurch, dass ich wusste, dass es ein Roman sein wird, hat es so lange gedauert. Ich konnte daraus nicht ein Theaterstück machen, was wesentlich einfacher und schneller zu schreiben gewesen wäre.
Warum war es für dich offensichtlich, den Stoff für einen Roman und nicht für ein Drama zu verwenden?
Amir Gudarzi: Die Idee, wie ich sie im Kopf hatte, war nicht fürs Theater geeignet. Eine innere Stimme im Theater wäre zu pathetisch, aber für Prosa ist sie sehr passend.
In welchem Maß fließen deine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse in deine Texte ein?
Amir Gudarzi: Ich muss nicht alle Erfahrungen unbedingt selbst machen, ich beobachte sie zum Beispiel in meiner Umgebung. Ich habe sieben Jahre lang als Dolmetscher und Sozialarbeiter gearbeitet: Während dieser Zeit habe ich für die Polizei, das österreichische Bundesasylamt und für verschiedene NGOs gearbeitet. Da erlebt man einiges. Alles, was ich schreibe, geht durch meinen Filter und ist somit ein Teil von mir.
Am 11. September 2023 liest Amir Gudarzi mit dem Schauspielensemble im Rahmen der Reihe Ein Stück Gegenwart. Salon zu neuer Dramatik im noon / Foyer Kleines Haus.