Jago muss nicht nur Otello, sondern auch das Publikum täuschen

Über die Oper, Gemeinsamkeiten von Tennis und Musik und psychologisches Spiel: Dramaturgin Brigitte Heusinger stellt Bariton Michał Partyka vor. Er singt in der nächsten Musiktheaterpremiere Otello die Partie des Intriganten Jago.

Michał Partyka war an großen und wichtigen Opernhäusern zu Gast, unter anderem der Pariser Oper, dem Liceu in Barcelona, dem Teatro alla Scala in Mailand, der Oper in Dubai, den Salzburger Festspielen und der Polnischen Nationaloper in Warschau. Und er hat wichtige Rollen seines Faches gesungen wie Billy Budd, Eugen Onegin, den Grafen in Le nozze di Figaro, Frank and Fritz in Die tote Stadt oder Escamillo in Carmen. Letzten Februar hat er mit Król Roger von Karol Szymanowski im Ständetheater Prag gastiert und gerade in der Oper in Posen und im Nationaltheater Warschau mit der Uraufführung von Krzystof Krauze The Wedding nach Witold Gombrowicz. Seit drei Jahren lebt er in Bremen, aber wenn er hier gerade nicht singt, ist er woanders. Geboren ist Michał Partyka in Stettin, zehn Jahre hat er in Paris gelebt, oft ist er in Warschau oder in Barcelona, wo er sich gerade am meisten zuhause fühlt.

„Ich mag Bremen, aber ich werde hier nicht sterben.“

Konkrete Karrierepläne hat er keine. Schließlich wäre sein hiesiges Engagement auch Zufall gewesen. „Mein Agent rief mich an und schlug vor, in Bremen vorzusingen. Ich hatte eine Operation wegen Reflux-Problemen, als ich in Warschau Werther singen sollte, und fühlte mich körperlich schwach. Wenige Tage vor der Premiere wurde die Produktion wegen der Coronapandemie dann auch noch abgesagt.“ So sehnte sich der Freiberufler nach ein wenig Sicherheit. „Auf dem freien Markt ist der Druck einfach sehr hoch. Du wirst bei jeder einzelnen Vorstellung beurteilt und es ist einfach supernervig, wenn man zwei Monate probt und man nur drei oder vier Shows spielt, weil es für mehr kein Geld gibt. Man muss immer in Topform sein und das war ich nicht.“ Zum ersten Mal entschied er sich, Teil eines Ensembles zu sein. „Hier zählt die längerfristige Perspektive, deine gesamte Entwicklung und weniger die einzelne Vorstellung. Ich wollte die Chance nutzen, mich auf der Bühne zu verbessern und in Ruhe und mit einem schönen Repertoire meine Gesangstechnik zu konsolidieren“. Begonnen hat er mit Ford in Falstaff und dann kam der Posa in Don Carlo.

Seine Lieblingspartie war jedoch die Titelrolle in Doctor Atomic, was ihn selber wundert, weil er „kein Fan der zeitgenössischen Oper“ ist.

Neben der suggestiven Musik war es vor allem der Stoff und der Text, den er großartig fand. „Das größte Problem in der Oper sind die Libretti“, sagt er. Und es sei oft ein Vorteil von modernen Werken, dass sie relevant seien und er sich eben intellektuell und als Darsteller an ihnen abarbeiten könne. Als Jugendlicher fand er daher die Oper wenig prickelnd und ging auch der Stoffe und der Schauspielkunst wegen lieber ins Schauspiel. Schließlich gäbe es in Polen eine sehr lebendige Theaterszene.

Und jetzt probt er Jago. „Magst du die Partie?“, frage ich ihn. „Es ist ein Traum für jeden Bariton“, antwortet er.

Er sei erst 40 und hätte sie lieber später gemacht. Aber der schauspielerische Aspekt an diesem komplexen Charakter reize ihn sehr: „ein interessanter Bösewicht mit vielen Facetten. Er ist nicht nur böse, er leidet auch und daher kommt seine dunkle Seite zum Vorschein.“ Vor allem sei Jago raffiniert, er sei intelligent. „Die Darstellung des Jago muss weich, sehr schlank sein, denn er muss nicht nur Otello, sondern auch das Publikum täuschen.“ Viele Baritonrollen seien Bösewichte, daran habe er sich gewöhnt. „Don Giovanni hat nun auch nicht gerade einen guten Charakter – ich habe ihn fünfmal gespielt.“ „Identifizierst du dich mit deinen Rollen?“ – „Ich versuche es.“ Er beschäftigt sich mit dem Stoff, hat im Vorfeld der Otello-Produktion Shakespeare gelesen. Ja und dann geht es in die Proben und in den Gesprächen mit der Regie, den anderen Mitspieler:innen „versuchen wir einen Weg zu finden“. Diese Arbeit liebe er, das Entwickeln der Rolle, das Entwickeln der Szene. Vor allem bei so einem grandiosen Stoff.

Es ist gute Literatur, die Konflikte sind modern: die toxischen Herrscherfiguren wie die politischen Intrigen.

„Bist du während der Vorstellung mit Haut und Haaren in der Figur oder hältst du Distanz?“ –  „Mein erster Don Giovanni in Paris war sehr düster – ich war so intensiv in der Rolle, dass es sogar meine Beziehung belastete. Ich wurde gereizt, ungeduldig. Da merkte ich: Ich brauche Distanz, sonst werde ich verrückt. Wenn die Lichter angehen und Showtime ist – dann gebe ich alles. Doch wir Sänger:innen müssen immer unsere Gesangstechnik im Hinterkopf behalten. Das ist die Kunst der Oper: Schauspiel, Emotionen, Musik – und technische Perfektion.“ „Du bist sehr intensiv auf der Bühne.“ – „Ja, ich denke, das ist meine Stärke. Ich hatte das Glück mit großen Lehrern zu arbeiten und zehn Jahre lang die besten Sänger und Sängerinnen der Welt an der Pariser Oper zu beobachten. Ich habe erstaunliche Regisseure erlebt und mit ihnen gearbeitet. Das hat geholfen.“ – „Wie bist du Sänger geworden?“ –

„Meine Mutter wollte, dass ich Musiker werden, mein Vater, dass ich Sportler werde, ein Tennis- oder Fußballspieler. Leider hat meine Mutter gewonnen. Frauen gewinnen immer.“

So hat Michał Partyka zehn Jahre lang in der Musikschule Klavierunterricht bekommen und in einem Knabenchor gesungen, der rund um den Globus gastierte. „Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, stundenlang Klavier zu üben. Ich war wahrscheinlich einfach zu faul. Obwohl ich mich mehr für Jazz interessierte, entschied ich, eine Gesangsausbildung an der Musikhochschule zu beginnen und bestand die Aufnahmeprüfung an der Musikakademie in Posen. Dort traf ich Jerzy Mechliński, meinen Mentor, meinen Freund, meinen Meister – ein großartiger Bariton und Darsteller, der mich lehrte, was Oper sein kann. Wir haben viele Musiktheaterwerke angeschaut, darüber diskutiert. Anfangs akzeptierte ich das Genre Oper, irgendwann war ich richtig begeistert.

Aber was Michał Partyka mindestens so gerne macht, ist Tennisspielen.

Ich frage ihn, ob Musizieren und Tennisspielen Gemeinsamkeiten haben. Er lacht. Er habe zufällig gerade mit jemandem gespielt, der gesagt hat, dass er wie ein Musiker spiele. „Die meisten Menschen scheinen gleichförmiger zu spielen, ich scheine den Rhythmus zu ändern.“ Rhythmuswechsel, Kontrapunkte zu setzen, unerwartet zu reagieren, das ist auf der Bühne wie beim Tennis entscheidend. Das ist auch der Stil seines großen Idols Roger Federer. „Ich war immer verliebt in seine so ungewöhnliche und spektakuläre Art, auch psychologisch zu spielen. Ein Spiel besteht aus Wellen und man muss mental immer auf einem hohen Niveau wach sein – im Tennis wie auf der Bühne.“  

Veröffentlicht am 1. April 2025.