„Jetzt komme ich mir wie in einem Reset vor.“

Nathalie Mittelbach steht gerade als Clarissa in Die Liebe zu den Orangen auf der Bühne. Die Produktion ist komödiantisch, schnell und körperlich herausfordernd. Vor vierzehn Monaten ist Nathalie Mittelbach Mutter geworden. Dramaturgin Brigitte Heusinger spricht mit der Sängerin über die neuen Herausforderungen.

Brigitte Heusinger: Ich möchte mit dir über die Vereinbarkeit von Kind und Beruf reden, aber es geht mir auch darum zu erfahren, was es für eine Sängerin bedeutet, für jemanden, der ganz entscheidend mit seinem Körper arbeitet, ein Kind zu bekommen. Hattest du Panik, dass sich deine Stimme verändert? 

Nathalie Mittelbach: Der Körper verändert sich und die Stimme natürlich mit. In der Schwangerschaft empfand ich es als ziemlich krass. 

Inwiefern?

Der Körperschwerpunkt verschiebt sich und mit ihm die Atmung. Manchmal wurde mir wegen dem erhöhten Blutvolumen schwindelig bei anstrengenden szenischen Proben. Die Stimmbänder werden dicker, weil die Schleimhäute anschwellen, und ich brauchte vielmehr Power, um einen Ton zu produzieren. Auch die Nasenschleimhaut ist betroffen, ich befand mich quasi in einem andauernden „Erkältungszustand“. Zudem kamen noch Probleme mit Reflux aufgrund der hormonell gelockerten Muskulatur. Alles ganz und gar nicht ideal fürs Singen. Und danach brauchte es Zeit, den Körper und meine Stimme wieder zu finden. Ich suche immer noch ein wenig.

Wie lange hast du mit dem Singen ausgesetzt?

Zwei Monate vor sowie zwei Monate nach der Geburt habe ich keinen Ton gesungen, außer Kinderlieder natürlich. Ich habe nicht geübt – im Gegensatz zu früher, wo ich im Akkord gelernt habe. Jetzt komme ich mir wie in einem Reset vor. Als hätte ich mein Singen auf Null gestellt und kann es mir neu erarbeiten, in einem unbeschriebenen, spannungsfreieren Körper. 

Du empfindest die Veränderungen auch als positiv?

Ja, ich habe ein anderes Körpergefühl. 

Inwiefern?

Ich spüre gewisse Muskeln besser und isolierter. Und das kann ich, weil das Singen nach der Geburt eben erstmal gar nicht funktioniert hat. Die Muskeln zum Steuern der Stimme waren einfach ausgeleiert, weg. Ich konnte keine Resonanz herstellen. Wenn nichts geht, musst du anfangen, dich zu spüren. Du musst analysieren und dann arbeiten. Aber klar, es gibt immer Zweifel, ob man es schafft. Und ich kämpfe immer noch mit meiner Atemlänge. Es macht sehr viel aus beim Singen, dass man die Spannung hinbekommt und die Atemsäule aufrecht hält. Das bedeutet sehr viel Kontrolle.  

Wann war die Angst zu versagen am größten?

Bei meiner ersten szenischen Probe von Die Liebe zu den drei Orangen. Die letzte Rolle, die ich vor der Elternzeit entwickelt habe, war die Eboli in Verdis Don Carlo und lag anderthalb Jahre zurück. Danach habe ich nur Wiederaufnahmen gesungen. Ich habe mich wirklich gefragt, ob ich noch spielen, einen Charakter gestalten und den szenischen Anteil mit der stimmlichen Leistung verbinden kann. Und das in einem anderen Körper. Doch dann kam ich auf eine Probe, in der Ian Spinetti und Fabian Düberg sich wie wild „die Bälle zuwarfen“ und das, während sie voll aussangen. Ich saß nur da und dachte „wow, ist das toll!“ Ihre Energie hat mir total geholfen. Ich war begeistert und habe mich einfach reingeschmissen und vor lauter Spaß meine Ängste vergessen.

Hat dir in deiner Elternzeit die Bühne gefehlt?

Ja.

War es das Adrenalin?

Ja, bestimmt haben mir die Adrenalinschübe gefehlt. Aber ich liebe vor allem diese Konzentration, diese Anspannung, wenn man die Bühne betritt, das Dum, Dum, Dum, das schlagende Herz. Und dieses positive Kaputtsein, wenn man die Bühne verlässt. Man arbeitet auf einem Peak – konzentrationsmäßig und körperlich. Und die Musik tut mit ihrer Magie das ihrige dazu. Es ist schon ein Drogenberuf.

Und als Mutter darf ich es sagen: Der Beruf ist wahrscheinlich noch eine potentere Droge, wenn man ein Kind hat, oder?

Eine andere. Ich war in meinem Leben noch nie so glücklich wie an dem Tag, an dem ich meinen Sohn das erste Mal auf dem Arm hatte. Aber auf eine ganz neue Art. Ich habe eine ganz tiefe, ruhige Erfüllung und Zufriedenheit gespürt. Das ist die Basis. Und der Beruf ist halt die Spitze. Meine Kollegin und Freundin Patricia Andress hat einmal den bemerkenswerten Satz gesagt: „Das Singen ist eine eifersüchtige Liebhaberin“. Es ist schon sehr herausfordernd die beiden Welten zusammen zu kriegen – emotional wie rein praktisch. Du hast zwei Dinge, die du wirklich liebst. Momentan hat mein Sohn ganz klar Vorrang. Aber auch das ist manchmal schwierig, weil ich es nicht gewohnt bin oder gewohnt war, Abstriche zu machen. 

Stillst du noch?

Ja, aber Stillen kostet mich am wenigstens. Dennoch, irgendwann bin ich auch wieder froh, meinen Körper für mich zu haben und einen Aperol Spritz in der Sonne genießen zu können.  

Wo ist dein Sohn, wenn du Proben hast: vormittags von 10 bis 14 Uhr und abends von 18 bis 22 Uhr? 

Eigentlich hatten wir einen Kitaplatz unterm Jahr, aber die Eingewöhnung lief nicht gut. Ich habe gefühlt eine Woche lang geweint und bin dann meiner Intuition gefolgt und habe meinen Sohn abgemeldet. Sängerin zu sein, ist kein besonders familienfreundlicher Beruf. Unsere Arbeitszeiten sind ja wahnsinnig schwierig mit Kinderbetreuung zu vereinbaren. Abends sind alle zuhause, ich bin auf der Bühne. Wir mussten unser Netzwerk aktivieren und eine private Babysitterin einstellen. Das Zubettbringen ist ein Thema, manchmal auch ein Drama. Es ist schon herausfordernd gewesen, eine Kinderbetreuung zu finden, die feinfühlig und gleichzeitig belastbar genug ist. Und man braucht immer einen Plan B. Was mir aber wahnsinnig hilft, ist die Solidarität generell unter Eltern und Müttern und spezifisch unter Sängerinnen-Müttern. Ich habe mehrfach bei Kolleginnen um Rat gefragt. Dadurch lebten viele alte Kontakte wieder auf und teilweise sind auch neue Kontakte entstanden. Dieser Austausch, die Solidarität und die ehrlichen Gespräche waren und sind eine sehr schöne Erfahrung.

 

 

Veröffentlicht am 18. Juni 2024