Kinder – Die ehrlichsten Zuschauer*innen

Guido Gallmann, Gabriele Möller-Lukasz und Martin Baum über den besonderen Zauber an Kindervorstellungen.

Als Martin Baum in Tom Sawyer als Killer-Joe die Peitsche übers Publikum schwang, sank nicht nur den Kleinen das Herz in die Hose und alle hofften innig auf Beistand durch Tante Polly, gespielt von Gabriele Möller-Lukasz. Und wenn beim Nachfolgestück Die Abenteuer des Huckleberry Finn in der vergangenen Spielzeit Guido Gallmann als liebenswert skurriler Theaterdirektor den Kampf mit dem Kostüm antrat, juchzte das Publikum regelmäßig bei seinem herrlichen Slapstick. Gallmann darf auch in diesem Jahr wieder mit auf der Bühne stehen, er spielt in Die rote Zora und ihre Bande den kleinen Ivekovic und den Vogel Koko. Was ist denn nun der Zauber an Kindervorstellungen? Ein Gespräch unter Kolleg*innen …

Guido Gallmann: Der erste zauberhafte Moment ist schon vor dem Beginn: 800 aufgeregte Kinder, ein Riesenlärm im Zuschauerraum, Lachen, Schreien, Rufen, in einer Lautstärke, die wir sonst natürlich nicht kennen. Und in der Sekunde, in der das Licht ausgeht bzw. auf der Bühne angeht, ist schlagartig Ruhe, Stille und Konzentration. Das ist jedes Mal ein toller Augenblick!

Martin Baum: Ja, was ist der Zauber? Dass man Kinder nicht belügen kann, sie reagieren unmittelbar auf die Gefühle, die wir versuchen herzustellen: Angst, Freude, Mitleid … Es ist wunderschön, in gespannte, aufmerksame und verzauberte Kindergesichter zu schauen. Besonders ist auch, dass Kinder, vor allem kleinere, ganz ohne Voreingenommenheit und Erwartung unmittelbar das annehmen, was ihnen gezeigt wird. Das ist toll, eine große Chance und eine große Verantwortung, mit ihnen gemeinsam Theater zu machen.

Gabriele Möller-Lukasz: Kinder sind pur, sie nehmen es, wie es ist, wenn es ihnen gefällt, dann gefällt es ihnen, und wenn nicht, dann nicht, und das zeigen sie auch! Sie haben keine Probleme mit Sachen, über die wir uns einen Kopf machen: Ist das realistisch, kann das sein? Sie nehmen es einfach an und akzeptieren eine Spielbehauptung.

Martin Baum: Kinder sind viel klüger, als wir vielleicht manchmal glauben. Man muss nicht „Kindertümeln“, man kann ihnen ganz ernsthaftes und auch sehr provokantes Theater zeigen. Kann und soll!

Guido Gallmann: Es ist wunderbar zu erleben und zu spüren, dass Theater für Kinder ein tolles Erlebnis sein kann, sie aufgeregt sind, sich richtig freuen, mitfiebern und Partei ergreifen, auch lautstark Zustimmung oder Ablehnung äußern.

Martin Baum: Wir haben auch eine wahnsinnige Verantwortung, da wir den Kindern ganz bleibende Eindrücke hinterlassen. Ich zum Beispiel habe noch unglaublich viele Erinnerungen und Bilder im Kopf von den ersten Märchen und Theaterstücken, die ich als Kind gesehen habe.

Gabriele Möller-Lukasz: Ich finde es wichtig und richtig, dass wir am Theater Bremen mit dem Moks und den Jungen Akteur*innen die Lücke geschlossen haben, die es früher zwischen Weihnachtsmärchen und Erwachsenentheater gab.

Martin Baum: Ein weiterer Zauber bei solchen Vorstellungen ist, dass Kinder im Theater noch Kinder sein dürfen und nicht vor dem ActionSerienKrimiSpannungBaller-Fernseher sitzen müssen, sondern auf ganz einfache Geschichten reagieren können, die sehr viel mit ihnen zu tun haben.

Gabriele Möller-Lukasz: Zauberhaft sind auch die offenen Münder, das Staunen und das Sich-verzaubern-lassen-können!

Guido Gallmann: Noch eine kleine Geschichte zum Abschluss: Als mein Neffe noch klein und das erste Mal im Theater war, fragte ihn seine Mutter nach der Vorstellung, was die Schauspieler da gemacht haben. Und dann sagte er mit leuchtenden Augen, begeistert und mit einem langen A: „Quaaaaaaaaaatsch!!!“
Auch ein Zauber: für Kinder Quaaatsch zu machen!