Können Käfer Astronaut:innen werden?

Über das Oben und das Unten: ein Gespräch zwischen Ina Barwich, Nachwuchskoordinatorin am Bremer Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) und Dramaturgin Sonja Szillinsky.

In unserem Stück Plötzlich Käfer geht es um einen Jungen, der sich über Nacht in einen Käfer verwandelt. Neben allen Fragen, die sich durch diesen neuen Körper für ihn ergeben, drängt sich schnell die folgende auf: Können Käfer Astronaut:innen werden? Kann er seinen menschlichen Traum auch als Käfer verfolgen? Im Theaterstück bleibt die Frage unbeantwortet, daher würde ich sie Ihnen gern stellen.

Ina Barwich: Also die Antwort ist: ja und nein. Früher, als die Raumfahrt angefangen hat, wurden zunächst keine Menschen hochgeschickt, sondern Tiere. Das sind leider nicht so schöne Geschichten, weil die Tiere viele Tests über sich ergehen lassen mussten. Da waren auch Insekten dabei, zwar keine Käfer soweit ich weiß, aber Fruchtfliegen hat man auf jeden Fall verwendet. Aber da sich die Tiere nicht selbst aussuchen können, ob sie ins All fliegen wollen, ist man davon heute etwas abgekommen. 

Was würde passieren, wenn ein Käfer einfach auf der Erde losfliegen und versuchen würde, so hoch zu fliegen, dass er ins All kommt? 

Wir haben auf unserer Erde etwas ganz Wunderbares: unsere Atmosphäre. Und in der Atmosphäre gibt es alles, was wir zum Leben brauchen, zum Beispiel Sauerstoff. Der Käfer braucht Luft zum Atmen und zum Fliegen; je höher er fliegt, desto weniger Luft, desto weniger Sauerstoff findet er vor und es wird immer schwieriger zu atmen. Es gibt zwar Käfer, die recht weit oben fliegen können, manche Tiere können ja Extrembedingungen aushalten, aber irgendwann ist eben keine Luft mehr da. Bis zur Internationalen Raumstation, der ISS, die sich auf vierhundert Kilometern Höhe befindet, könnte er also nicht fliegen, obwohl in dem Bereich noch Reste der Atmosphäre vorhanden sind.

Bei der Vorbereitung einer Raumfahrt gelten spezielle Regeln und Hygienevorschriften. Könnte es dennoch passieren, dass ein Käfer unbeabsichtigt in ein Raumschiff gerät und aus Versehen mitreist?

Eigentlich sollte das nicht möglich sein. Man hat ein großes Interesse, dass wirklich nur das ins Raumschiff kommt, was man dabeihaben möchte. Das hat zum einen damit zu tun, dass man Gewicht einsparen möchte. Zum anderen wird auch dafür gesorgt, dass die Astronaut:innen gesund sind. Wenn man oben im All ist, möchte man keinen Schnupfen haben. Die Hygienevorschriften sind also relativ streng. Aktuell können wir ja nur zur ISS fliegen, die letzte Mondlandung ist schon eine ganze Weile her. Spätestens, wenn es dann mal auf andere Himmelskörper geht, wie den Mond oder den Mars, wird es noch viel strenger werden. Denn dann ist man nicht nur ein paar Monate, sondern ein paar Jahre im Weltraum unterwegs. Ein kleiner Käfer macht vielleicht nicht so viel aus, eine Stechmücke möchte man zum Beispiel nicht an Bord haben. Zumal es ja auch Insekten gibt, die Krankheiten übertragen können. Also: Wenn ein Käfer an Bord kommt, dann nur geplant, aber nicht unbeabsichtigt.

Wie würde sich ein Käfer im schwerelosen Raum verhalten?

Grundsätzlich orientiert sich ein Käfer mithilfe seines Gefühls für oben und unten. Wenn er fliegt, fliegt er nach oben und wenn er sich absenken will, klappt er seine Flügel ein. Das Problem in der Schwerelosigkeit ist aber, dass es kein Oben und kein Unten gibt. Die Erdgravitation, die ihm anzeigt, wohin er fliegen und wo er landen kann, fehlt dann. Auf der ISS beispielsweise gibt es ja kein Vakuum und vielleicht könnte er sich dort mit Flügelschlägen vorwärtsbewegen. Gezieltes Fliegen funktioniert wahrscheinlich trotzdem nicht, weil das Verständnis von oben und unten einfach etwas ist, das ganz tief verankert ist bei Käfern – und auch bei uns Menschen. Astronaut:innen brauchen auch ein paar Tage, um sich an die Schwerelosigkeit zu gewöhnen. 

1957 gab es den berühmten Flug des sowjetischen Satelliten Sputnik 2, der mit dem ersten Tier, einem Hund namens Laika, ins All flog. Welche anderen Tiere haben die Erde seitdem verlassen? 

Es waren schon einige Tiere im All! Neben Laika gab es noch viele Hunde, aber auch Katzen und Affen sind in den 1960er und 1970er Jahren ins All geflogen –  und wie gesagt, auch Insekten. Die Tiere sind meines Wissens alle in ihren Kapseln geblieben, es ist nicht vorgekommen, dass Tiere im All ausgestiegen sind. Ab wann spricht man von einem Tier? Auf der ISS finden sich zum Beispiel einige Mikroorganismen. Es gibt ein Lebewesen, das sich gut eignet für ein Leben im All: das Bärtierchen. Es ist winzig, weniger als einen Millimeter groß, und es sieht ein bisschen aus wie ein Käfer, auch wenn es kein Insekt ist. Es kann extreme Umweltbedingungen wie Vakuum, große Kälte oder Hitze aushalten, indem es in einen schlafähnlichen Zustand fällt und erst wieder aufwacht, wenn die Umgebung lebensfreundlicher ist.

Auch das Verhalten von Pflanzen in der Schwerelosigkeit wird erforscht. Werden auf der ISS bereits Pflanzen zur Nahrungsgewinnung eingesetzt? Spielen Insekten dabei eine Rolle? 

Ja, auf der ISS werden schon Pflanzen gezüchtet. Das funktioniert sogar recht gut, auch wenn natürlich noch viel Forschungspotenzial besteht, denn die Frage von oben und unten, die ist auch für Pflanzen wichtig. Unten sind die Wurzeln, oben wächst die Pflanze. Woher weiß sie, wohin sie wachsen muss? Führt das dazu, dass sie weniger stabil ist? Zum Bestäuben der Pflanzen würde man sich auf der Raumstation – anders als auf der Erde – jedoch nicht auf Insekten verlassen, sondern die Pflanzen manuell oder mit Hilfe von Robotern bestäuben, um den Ertrag zu maximieren. 

Welche Pflanzen gibt es auf der ISS?

Es werden vor allem Gemüsesorten angebaut, Obst wächst ja oft an Bäumen, das dauert einfach zu lang und braucht zu viel Platz. Vollständig selbst versorgen können sich die Astronaut:innen leider nicht, der Gemüseanbau ist aber ein fester Bestandteil der Ernährungsplanung im All geworden. Denn frische Nahrung zu haben ist etwas Wichtiges, auch wenn sich die astronautische Nahrung deutlich verbessert hat. Mittlerweile gibt es auf der ISS viele Möglichkeiten – die Astronaut:innen können sogar Pizza backen da oben. 

Für einen Käfer scheint es also nicht sehr erstrebenswert, ins All zu fliegen. Welchen Tipp haben Sie für Kinder, die Astronaut:innen werden wollen? 

Am allerwichtigsten ist Durchhaltevermögen und echte Begeisterung. Es gibt wenige Leute, die am Ende tatsächlich Astronaut:innen werden, aber wenn man etwas mit Raumfahrt machen möchte, gibt es auch viele andere interessante Berufe. Entscheidend für Astronaut:innen ist es nicht unbedingt, die schlaueste Person von allen zu sein, sondern in ganz vielen Bereichen gut zu sein. Und es ist äußerst wichtig, gut im Team arbeiten zu können.

 

Ina Barwich ist Nachwuchskoordinatorin am Bremer Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM), das u. a. Schwerelosigkeits-Experimente durchführt. Bereits während ihres Lehramtsstudiums der Chemie und Geschichte arbeitete sie im Bereich Vermittlung von Themen der Luft- und Raumfahrt am DLR_School_Lab des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). 

 

 

Veröffentlicht am 26. September 2024