Lebensschicksale, exemplarisch

All-round-Künstlerin Tina Keserović im Gespräch mit Schauspieldramaturg Stefan Bläske über Antifaschismus und Rap, körperliche Arbeit und die Inszenierung Mach es gut!

Stefan Bläske: Du bist Schauspielerin, aber auch freie Künstlerin, machst Projekte, Filme, tourst u. a. mit Migrant Migraine. Ein performativer Rap.

Tina Keserović: Ja, Migrant Migraine ist das fresheste Brötchen aus meiner TinaFactory. Hehe, wie das klingt. Tina_f.actor_y ist mein Instagram-Account und ich bin Kind von Fabrikarbeiter:innen und hasse den hashtag actorslife. Und tatsächlich stehe ich die letzten Jahre sehr wenig als Schauspielerin auf der Bühne. Ich arbeite interdisziplinär, in verschiedenen Kollektiven, sei es Performance Kunst, Protest Art, Musik.

Migrant Migraine ist ein Solo.

Tina Keserović: Ja, ein Soloabend, den ich selbst geschrieben und produziert habe. Ich hab während des Lockdowns durch meine Cousins entdeckt, dass ich rappen kann und versuche das als theatrales Mittel zu nutzen, um migrantische Perspektiven in „hochkulturelle“ Kreise zu infiltrieren. In diesem Stück befasse ich mich mit der Frage, wie sich Migration auf Körper und Seele auswirken und wie zum Beispiel in meinem Falle die Migräne verschwand, als ich auf den Balkan re-migrierte. 

Nun spielst du zum ersten Mal in Bremen, in Sylvia Sobottkas Produktion Mach es gut! bist du Maja.

Tina Keserović: Erzählt wird die Geschichte einer Frau, die in ein ihr erstmal fremdes Land zieht und da ihr gesamtes Arbeitsleben verbringt. Und zwar in einem Berufsstand, der bis heute prekäre Lebensumstände mit sich bringt. Dadurch, dass wir sie auf der Bühne bis ins hohe Alter begleiten, haben wir die Chance zu sehen, was das alles bedeutet für ihren Körper, ihr soziales Leben.

Maja arbeitet als Putz- und Reinigungskraft, als Hausfrau, als Pflegerin.

Tina Keserović: Verschiedene Berufe verzehren den Körper auf andere Art und Weise. Wir verfolgen zwar die Geschichte dieser Frau, jedoch werden Zuschauer:innen, die Kinder von Gastarbeiter:innen oder zugezogenen Menschen sind, Muster wiedererkennen. Heißt also für mein Verständnis: Dies ist kein individuelles Lebensschicksal, sondern exemplarisch. Mich interessiert die Frage, welche Berufe in Deutschland für welche Bevölkerungsgruppen vorgesehen sind. Oder konkreter ausgedrückt: Warum verstehe ich als jemand, der eine slawische Sprache spricht, fast immer alle Putzfrauen, Bauarbeiter, Straßenkehrer, usw.? 

Du hast aber auch schon Beate Zschäpe gespielt, in Videos und an den Münchner Kammerspielen, das hat viel Aufsehen erregt.

Tina Keserović: Das war ein Job wie jeder andere, und es folgten viele weitere Zschäpe-Double Jobs, hat sich für mich nicht krass angefühlt, eine Nazibraut oder mittlerweile Nazi-Ikone zu spielen, habe da keine Gefühle zu. Wenn die Message stimmt, mach ich es. Aber bin ja auch nicht mit deutschem geschichtlichem Erbe belastet, habe also mehr Abstand. Was ich aber tatsächlich etwas weird fand, war, als ich bei Konzerten der Antilopengang manchmal bei dem Song Beate Zschäpe hört U2 mit auf der Bühne stand, dass Fans sich nach den Konzerten immer mit mir als Beate fotografieren wollten. War richtig Kult bei denen, und immer explizit als Beate, mit der Brille, die ich aufsetzen sollte. Und ich dachte mir nur: Hey feiert doch lieber mich, Tina, ich bin Antifaschistin! 

Was treibt dich grade um?

Tina Keserović: Die gemeinsamen Bestrebungen der CDU und der kroatischen rechtskonservativen HDZ auf dem Balkan. Die Resultate dieser Verbrüderung hindern mich und so viele andere, die nicht toxisch, nationalistisch und chauvinistisch sind, auf dem Balkan zu leben, dort zu arbeiten und in Sicherheit und Würde zu altern. Ach so, und immer auch der Vatikan, bin ja eine Frau und steh auf Vermögensumverteilung.

 

 

Veröffentlicht am 14. Juni 2023