Lilo mal (w)anders

Die TV-Ikone hat Brigitte Heusinger so einiges verraten.

Lilo Wanders ist Göttermutter Juno. In Orpheus in der Unterwelt. Regisseur Frank Hilbrich hat sie angerufen, gefragt, ob sie möchte, ob sie könnte und jetzt ist sie da. In voller Größe, mit der Präsenz einer Diva und dieser charakteristischen Stimme, die alle über 40jährigen kennen, die früher mal heimlich reingeschaut haben in das Erfolgsformat Wa(h)re Liebe auf VOX wie Millionen andere auch. „Es war ein kommerzielles Format“, verrät Lilo Wanders, doch sie moderierte es gerne: „Über Sex kann man so viel erzählen.“ Erwartet wurde von der bissigen Figur Wanders, dass sie sich abfällig über ihre Gäste äußern würde, doch Lilo schoss zwar spontane spitze Pfeile aus der „Lamäng“, aber hörte vor allem genau zu: „Wer bin ich schon, mich über die Vorlieben anderer Menschen zu erheben?“ Und: „Ratschläge sind billig! Pauschalisierungen liegen mir überhaupt nicht!“

Ihr Vorbild für das Label „Lilo Wanders“ war im Vergleich aus ungleich härterem Holz.

Wanders (die damals noch nicht Wanders war) interviewte Evelyn Künneke 1984. In einem kleinen Hotelzimmer, Knie an Knie sitzend und kettenrauchend, beide. Wanders voller Verehrung zur Begrüßung: „Ich bin einer ihrer größten Fans, ich habe von meinem verstorbenen Vater alle ihre Schelllackplatten geerbt.“ Künneke: „Erzählen Sie mir doch nicht, was ich im Leben gemacht habe“. Es war ein Höllenritt, doch die getippten Seiten wurden zur Fundgrube für einen neuen Charakter, der zu leben begann auf der Bühne, zuerst im Schmidt Theater auf der Reeperbahn und dann als TV-Ikone. Später hat sich Lilo mit der Künneke angefreundet, diesem „alt gewordenen Kind mit dem goldenen Löffel im Hintern und Mund, das sich für überflüssig hielt, denn ihre Eltern hätten aneinander genug gehabt. Das erzählt alles.“

Klar ist Lilos Label der Sex.

Doch das Geschlechtliche ist nur ein Tummelplatz für das Zwischenmenschliche, für die alltäglichen Verletzungen. Der Stoff für die Sottisen, mit denen sie auch die Operette von Offenbach spickt („Wer die Einsamkeit fürchtet, sollte nicht heiraten“) liegen auf der Straße: „Ein älteres Ehepaar – nein, also eher Menschen in meinem Alter – neben mir. Beide tragen die gleiche mintgrüne Windjacke. Früher waren diese Anoraks beige, heute sind sie pastellfarben. Er sagt zu ihr: Nun komm, es ist so ein schöner Tag, nun lächle doch mal. Sie sagt zu ihm: Lächeln für wen? Etwa für dich?“ Oder sie stehen in der Zeitung wie die Äußerung des Ehemanns von Hildegard Knef: „Ich liebe meine Frau, aber ich mag sie nicht“.

„Niemanden kannst du mehr kränken und beleidigen als deinen Lebenspartner oder deine Lebenspartnerin!“

Gerade ist Lilo Wanders mit ihrem Soloprogramm Sex ist immer noch ihr Hobby („Ich habe zwei große Hobbies, und das zweite ist Lesen.“) unterwegs und begehrter Gast bei Talkrunden. „Ich spreche das aus, was andere denken oder fühlen.“ Diese hohe Sensibilität, ihre große Empfindsamkeit ist eine Gabe, die sie früher nicht zu thematisieren wagte: „Ich habe mich nie getraut, darüber zu reden, denn ich hatte immer Angst, dieses schamanische Vermögen, mich in andere hineinversetzen zu können, einzubüßen.“ Und es ist auch eine Bürde: „Ich ziehe die anstrengenden Menschen an, die Irren und die Hochbegabten. Und es gibt die Gefahr, sich selbst zu verlieren.“ Deshalb ist ihr ihr Rückzugsort, das Dorf zwischen Bremen und Hamburg, so wichtig.

Zudem praktiziert sie einen Schweigetag pro Woche: Kurz einsam sein im Gegensatz zur permanenten Kommunikation.

Auf dem Land lebt sie mit Frau und früher Kindern, die jetzt erwachsen sind. Wir wollten nur über Lilo reden und verlassen dann doch kurz die Kunstfigur und reden über den Mann, der dahintersteht. Ich: „Darf ich dich was ganz Intimes fragen?“ „Ja“, sagt sie. „Wieso hast du einen sichtbaren Busenansatz im Dekolleté?“ „Weil ich ein dicker Mann bin.“ „Quatsch!“ „Ich schiebe einfach die Haut im Korsett hoch, das innen natürlich ein bisschen ausgestopft ist. Und du kennst doch bestimmt die Balletttänzerinnen ohne Busen, die malen sich ein dunkleres Dreieck auf den Ausschnitt. Alles, was dunkel ist, wirkt zurückgenommen, alles helle kommt nach vorne.“ „Und was ist mit deiner Stimme?“ „Das ist meine natürliche Lage. Ich habe diese helle Stimme – mein weibliches Tarnröhrchen – die ich früher nicht mochte, aber heute spannend finde, da sie eigentümlich ist. Ich hatte bis in mein hohes Erwachsenenalter eine bruchlose Kopfstimme, konnte rauf und runter singen und hatte ein enormes Lungenvolumen. Doch ich sage dir, da haben dann doch 55 Jahre Rauchen schon was angerichtet.“

Verschwiegen werden sollte nicht, dass es eine Bremer Vergangenheit gibt.

Ein Jahr lang hat Lilo in der Gneisenaustraße in der Neustadt gewohnt, zu der Zeit, in der sie im Rahmen ihres Studiums des Bibliothekwesens ein Praktikum in verschiedenen Bremer Bibliotheken absolviert hat. Dass sie hier einen Schwulenchor gegründet und damit einen Grundstein für ihre Karriere gelegt haben soll, ist allerdings eine Erfindung von Wikipedia. Vielmehr war die Initialzündung ein Auftritt bei einer alkoholschwangeren Party in ihrer Hamburger Wohngemeinschaft. Und verschwiegen werden sollte vor allem ein anderes wichtiges Anliegen nicht, Lilos Engagement für die COME OUT! Stiftung, die Freiräume für junge LSBT*I* (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*- und Intersexuelle*) schafft mit dem Motto: Jeder und jede soll seine Einzigartigkeit mit Stolz leben dürfen. Hier sieht sich Lilo in der Verantwortung: „Wir werden es uns nicht nehmen lassen, dieses besondere Leben, denn wir haben ja nur dieses eine!“

 

 

Veröffentlicht am 30. November 2023