„Macbeth ist wie ein Marathon, Telramund wie mehrere 400-Meter-Läufe mit Pausen.“

Dramaturgin Brigitte Heusinger im Gespräch mit dem Bariton Elias Gyungseok Han über Routinen, Partien, diskriminierende Erwartungshaltungen und Ehrgeiz.

Brigitte Heusinger: Wie lange bist du in Bremen?

Elias Gyungseok Han: Es ist mein viertes Jahr.

Was macht für dich Bremen aus?

Als ich hierherkam, war Corona noch nicht vorbei. Ich wohne mitten in der Altstadt. Alle Läden waren geschlossen. Die Innenstadt stirbt ja deutlich aus, aber trotzdem gibt es inzwischen wieder Leben, neue Läden, vor allem mein Lieblingsgeschäft Go asia direkt vor meiner Haustür und viele gute Restaurants, authentische Küchen.  

Und beruflich, was war da das Highlight?

Ich bin total langweilig und gebe die Standardantwort: Alles, was ich gemacht habe, war in der Zeit der Beschäftigung meine Lieblingsrolle, egal, ob es sich um eine kleine oder große Partie handelte. Im Musical Hello, Dolly! habe ich nur vier Takte zu singen, aber ich genieße jedes Mal die gute Laune, die unter uns und im Publikum herrscht.

Wann bist du mit dir nach einer Vorstellung zufrieden?

Grundsätzlich nie. Eigentlich bin ich froh, dass ich keine Kontaktlinsen vertrage und ohne Brille das Publikum nicht immer scharf sehen kann. Nach der Vorstellung zum Applaus zu gehen, mich zu verbeugen, ist für mich immer noch schwer. Ich will schnell runter von der Bühne. Meistens bin ich auch der Schnellste beim Abschminken. 

Was machst du nach der Vorstellung?

Manchmal überreden mich Kolleg:innen, noch was trinken zu gehen. Das mache ich gerne, am liebsten aber gehe ich nach Hause, koche, bastle, spiele Dart oder schaue einen Film oder Serien. 

Hast du Rituale vor der Vorstellung?

Nein, auch da bin ich unspektakulär. Ich bin pünktlich in der Maske, mehr nicht. Sänger zu sein, ist ein Beruf.

Ein Beruf, der manchmal hart sein kann. Du konntest bei der Premiere von Macbeth die Titelpartie nicht singen, du warst krank. 

Ja, das war furchtbar, ich war am Ende. Aber darüber nachzudenken, bringt nichts. Man muss versuchen, sich ausschließlich darauf zu konzentrieren, die Stimme wieder ins Lot zu bringen und die Kondition zurückzugewinnen. 

Du probst jetzt eine vergleichbar herausfordernde Partie mit dem Friedrich von Telramund in Richard Wagners Lohengrin.

Macbeth ist wie ein Marathon, Telramund fühlt sich an wie mehrere aneinandergereihte 400-Meter-Läufe mit Pausen.

Charakterlich ähneln sich die beiden. Macbeth wie Telramund gelten als schwache Männer, die starke Frauen an ihrer Seite haben, die sie anstacheln, die Macht zu ergreifen. Lady Macbeth ruft zum Königsmord auf, Ortrud zur Vernichtung des Widersachers Lohengrin und dessen Frau Elsa.

Es sind halt typische Männer. Sie glauben an das, was sie glauben möchten. Macbeth wie Telramund wissen nicht mal, dass sie manipuliert werden. Sie denken irrtümlicherweise, aus eigenem Impuls zu handeln. Das Wirken der Frauen ist verständlich. Ihnen war es ja in der Regel nicht möglich, direkt Macht zu erlangen. Sie mussten es über ihre Männer tun. Als Mann bin ich auch heute noch privilegiert.

Du wirst trotzdem das Gefühl kennen, nicht privilegiert zu sein.

Die Frage, ob ich diskriminiert werde, kann ich genauso mit „selten“ wie mit „jeden Tag“ beantworten. Beides trifft zu. Doch wenn von Rassismus gesprochen wird, sind wir Asiaten in der Regel nicht gemeint. Das ist manchmal bitter. Asiatinnen und Asiaten sind nicht im Bild. 

Dabei gibt es gerade in Theatern durchaus rassistische Tendenzen, wenn von der Angst gesprochen wird, dass zu viele Koreaner:innen im Chor oder im Ensemble seien und man keine weiteren Asiat:innen engagieren solle.  

Rassismus kann sich auch in Erwartungen ausdrücken: Ein koreanischer Sänger singt perfekt, ist gründlich vorbereitet, ist pünktlich, nett, freundlich und sagt immer ja. 

Und Ehrgeiz gehört auch zum Klischee. Bist du ehrgeizig?

Bevor ich überhaupt Deutsch konnte, war ich sehr ehrgeizig in Bezug auf die Aussprache. Jedes Wort, jeder Satz sollte perfekt klingen.

Dein Deutsch ist hervorragend, dein Wortschatz riesig.

Ich bin in dem Moment in Deutschland angekommen, als ich folgenden Satz sagen konnte: „Hey, ich bin nicht hier geboren, ich lerne Deutsch, aber ich kann es noch nicht so gut“. Freunde von mir waren zwei Jahre jünger, 17 Jahre alt, als sie nach Deutschland kamen. Sie haben massive Identitätskrisen durchgemacht, weil sie nicht wussten, zu welcher Kultur sie gehören. So lernte ich, dass ich mich schnell entscheiden muss und habe meine Antwort gefunden: Ich bin ein Koreaner, der in Deutschland wohnt und lebt. Wenn ich hier leben will, muss ich diese Kultur kennenlernen, die Sprache können. Es gibt nach wie vor ein koreanisches und ein deutsches Ich. Wenn ich koreanisch zähle, öffne ich die Hand und bewege die Finger gen Handfläche. Wenn ich deutsch zähle, schließe ich die Hand und hebe die einzelnen Finger.

 

 

Veröffentlicht am 4. September 2024