„Mein Hamlet steckt in meinem Weltschmerz“

Sechs Ensemblemitglieder aus Hamlet teilen im Gespräch mit der Dramaturgin Dorle Trachternach ihre Gedanken: Was verkörpert die Figur Hamlet für sie persönlich? Welche Botschaft würde ihnen der Geist von Hamlets Vater mit auf den Weg geben? Und welche Eindrücke und Überlegungen haben sie während der Probenzeit begleitet?

Ausgangspunkt unserer Überschreibung von Shakespeares berühmtesten Stoff ist die Frage, wie sich junge Menschen von heute mit der Figur des jungen Prinzen von Dänemark verbinden können. Steckt auch ein bisschen von Hamlet in euch?

Mio Kunze, 21 Jahre: Ich denke, bei mir ist es dieses Gefühl, plötzlich ins Leben geworfen zu werden. Die Unsicherheit, die Hamlet verspürt, weil er in einem Kapitel seines Lebens angekommen ist, in dem er plötzlich Entscheidungen treffen muss, bei denen noch nicht klar ist, wie sie ausgehen.

Sona Katharina Scherthan, 18 Jahre: Mein Hamlet sitzt in dem Teil von mir, der langsam realisiert, wie kaputt die Welt ist, auch wenn sie mir früher so heile erschien.

Devrim Dinc, 21 Jahre: Mein Hamlet steckt eher in meinem Weltschmerz, in meiner Ratlosigkeit, meiner Orientierungslosigkeit, meiner Verwirrung. Wenn das Leben einen so richtig krass erwischt und man auf eine Art „selbst-los“ wird. In diesem Gefühl habe ich meinen Hamlet gefunden.

Davina Austin Mensah, 16 Jahre: Mein Hamlet steckt wahrscheinlich irgendwo in meinem Gehirn, aber ich weiß nicht ganz genau wo.

Rosa Voelzke, 21 Jahre: Das geht mir ähnlich. Ich denke, dass ich ihn vielleicht nie zu hundert Prozent finden werde.

Hamlet erhält vom Geist seines toten Vaters den Auftrag, den Mord an ihm zu rächen. Wenn euch heute ein Geist erscheinen würde, welche Botschaft oder welchen Auftrag hätte er für euch?

Tarek Aldebes, 16 Jahre: Ich hoffe, dass die Botschaft wäre, dass ich mich nicht immer so runterziehen lassen soll von negativen Menschen in meinem Leben.

Christopher Puchert, 16 Jahre: Ich glaube der Geist würde mir sagen, dass ich mich langsam mal ein bisschen ernsthafter auf das Leben vorbereiten sollte.

Rosa Voelzke: Wahrscheinlich, dass ich besser auf mich aufpassen und für mich leben sollte.

Sona Katharina Scherthan: Ich schätze, der Geist würde mir den Auftrag geben, die Chancen und Möglichkeiten, die sich mir bieten, voll zu nutzen. Ich kann wählen gehen, ich kann lernen, ich kann studieren, ich kann sprechen und gehört werden.

Um es mit Hamlets berühmtesten Worten zu sagen: Was willst du sein und was willst du nicht sein?

Tarek Aldebes: Generell will ich eine Person sein, die andere unterstützt, und auf gar keinen Fall das Gegenteil.

Christopher Puchert: Ich bin mir nicht ganz so sicher mit Sein oder nicht sein aber ich bin glaube ich immer noch ich selbst und möchte so auch immer bleiben.

Rosa Voelzke: Ich will glücklich sein und nicht zu viel nachdenken.

Devrim Dinc: Ja, genau. Ich möchte außerdem kein verschlossener Mensch sein, sondern jemand, der einen positiven Beitrag für die Gesellschaft leistet.

Davina Austin Mensah: Ich will alles sein, was frei von Hass und Ekel ist.

Sona Katharina Scherthan: Ich möchte Schwester sein, Gesprächspartnerin, Beschützerin, Zuhörerin.

Was sind eure Lieblingsmomente in der Inszenierung?

Christopher: Ich habe viele Szenen, die mir gefallen, zum Beispiel die Totengräberszene, oder der komplette fünfte Akt.

Devrim Dinc: Ich liebe alle Momente, in denen ich aus mir herauskomme und Sachen mache, die ich in meinem normalen Leben nie machen würde.

Mio Kunze: Mein Lieblingsmoment ist der, wenn Sona in der Rolle des Polonius in das Wasserbecken steigt. Die ganze Szene erzählt mir sehr viel darüber, dass Ophelia in einem Gefüge feststeckt – aber wir ebenso. Wir suchen in der Inszenierung nach einem anderen Ende für sie, einem, das sie nicht – wie bei Shakespeare – im Wasser sterben lässt. Und doch merken wir, wie schwer es ist, festgeschriebene Muster und Erzählweisen zu durchbrechen.

Sona Katharina Scherthan: Ehrlich gesagt mag ich diesen Moment auch am liebsten, aber auch, weil mir vorher so heiß ist auf der Bühne!

Rosa Voelzke: Ich liebe alle Momente, in denen wir auf der Bühne alle beieinander sind und uns als Gruppe sehen!

Welche Gedanken sind euch während der Probenzeit gekommen?

Mio Kunze: Mein Alltag ist plötzlich voll mit Hamlet, seinen Gedanken, die Songs, die in der Inszenierung vorkommen, mir fallen dauernd Textzeilen aus Hamlet ein, die zu Alltagssituationen in meinem Leben passen.

Tarek Aldebes: Ich habe mich ehrlich gesagt zu Beginn schon öfter gefragt, ob ich wirklich sechs Monate damit verbringen soll, so intensiv Theater zu spielen, neben der Vorbereitung auf meinen Schulabschluss. Aber es hat sich auf jeden Fall gelohnt!

Devrim Dinc: Ich hab in der Probenzeit sehr viel über mich selber gelernt. Über meine Wünsche, Bedürfnisse, auch über meine Talente.

Davina Austin Mensah: Je mehr wir uns mit den Figuren aus dem Stück beschäftigt haben, desto mehr habe ich mich gefragt, ob Hamlets Mutter Gertrud nie Zweifel gekommen sind, ob Claudius nicht doch etwas mit dem Tod von Hamlets Vater zu tun hat. Warum hat sie nicht mehr nach Antworten gesucht?

Rosa Voelzke: Dass ich die Zeit mit allen unglaublich genossen habe und eigentlich noch gar nicht bereit bin loszulassen.

 

Veröffentlicht am 23. April 2025.