Menschlich, musikalisch, modern
Die Opernregisseurin Ulrike Schwab im Kurzporträt, geschrieben von Opernwelt-Redakteur Arno Lücker.
Porträts über Opernschaffende beginnt man meist mit der Aufzählung von Preisen, Inszenierungen und möglichst berühmten Namen, deren Nähe zum eigenen Namen aussagen soll: „Ich bin gut im Geschäft.“ Auch Opernregisseurin Ulrike Schwab ist gut im Geschäft und wurde erst im August 2021 mit dem Mortier Next Generation Award der Salzburger Festspiele ausgezeichnet.
Dennoch hat sie die große, sehr große Karriere im manchmal neidvoll vergifteten, männlich dominierten und rauen Operngeschäft erst noch vor sich.
Schwab studierte nicht nur Musiktheaterregie an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin, sondern zugleich Operngesang. Dieser Umstand führt zu einer hohen, empathisch-emphatischen Grundmusikalität ihrer bisherigen Inszenierungen. Schwab denkt nicht nur vom Klang, von den Klangstrukturen und den Expressionen der Werke her. Sie musikalisiert die Partituren zusätzlich, füllt sie bisweilen mit „Fremdmaterialien“ an, die jedoch nicht Fremde, sondern Umarmungsmöglichkeiten wie faszinierende Nähe resultieren lassen. Der Mensch: im Mittelpunkt. So oblag es den Protagonistinnen in Schwabs Produktion Wolfskinder (Neuköllner Oper, 2018) nicht nur, zu singen. Jede Sängerin spielte zugleich auf mindestens einem weiteren Instrument. Auf engem Bühnenraum, in einer „Rumpelkammer der Kriegszuflucht“, aus der heraus ein unendlich schönes wie trauriges Märchen entstand, wurde gespielt, verräumt, geträumt, musiziert, geschlafen – und erzählt.
Die erzählerische Kraft von Ulrike Schwab erschöpft sich nicht nur in explizit-lustvollen Umsetzungen der Noten und der Libretti.
Schwab taucht – dabei sympathisch publikumszugewandt – in Musik-Referenzen ab, steigt in den schmerzvollen Keller erinnerter Kinderlieder, öffnet die Wunde; und wärmt uns dabei mit Trost und Liebe. Nie wird das kitschig, nie ist das bloß ironisch. Da, wo es bei Schwabs Regie-Arbeiten „witzig“ wird, da nimmt sie uns Rezipientinnen und Rezipienten irgendwann immer an die Kandare. Der Witz wird umspült von Trauer und Gebrochenheit. 2019 hatte – ebenfalls an der Neuköllner Oper – Schwabs Sicht auf Mozarts Don Giovanni ihre Premiere. Das Resultat – GIOVANNI. Eine Passion – zeigte einmal mehr: Schwab ist nah dran an den Stoffen, kennt nicht nur die Partituren, sondern auch andere Inszenierungen, Sichtweisen, Geschichten. Gemeinsam mit dem STEGREIF.orchester setzte sie ein wahres Mozart-Fest in Szene – im Zeichen ambivalenten Trauerns und Feierns. Der frauenverachtende Terrorist Giovanni: tot. Und wir schauten im Neuköllner Saal – lange Zeit sogar stehend, wirklich als Trauergemeinde Anteil nehmend – den Musikerinnen und Musiker, den berührend jungen Sängerinnen und Sängern dabei zu, wie sie das Leben und die Verbrechen Giovannis erinnernd auf den Plan rufen. Das kippte herrlich um in Volks- und Schrammelmusik.
Fremde – aber nicht als Konzept des Entfremdens. Fremde als Referenz-Maschine.
Schwab ließ Bonbons schmeißen, ließ uns mit den Sängerinnen und Sängern im persönlichen Kontakt treten. Die entlang einer gedachten Partiturlinie entstandenen Improvisationen des Orchesters im freien Raum schenkten uns nicht nur echte, persönliche, vorpandemische Handshakes. Schwab und ihre Kolleginnen und Kollegen zogen uns hinein in die Geschichte.
In dem musikalischen, menschlichen Erzählen ist Schwab besonders stark. Dabei zwingt sie uns niemals eine oberflächliche – oder gar blind-nackt-wütende – Betrachtungsweise des in Opern stets dominanten Mann-Frau-Themas auf. Wenn sich Männer eifersüchtig um Frauen prügeln, dann lässt Schwab diese Protagonisten nicht einfach nur – was vollkommen berechtigt wäre – verunfallend auflaufen. In Schwabs Bremer Pagliacci sehen wir Canio wie hypnotisiert einen Schrein für „seine“ Nedda aufbauen: Liebend und doch wohl selbst traumatisiert, gefangen in seinem Käfig der destruktiven Eifersucht sortiert er Devotionalien. Wie ein Kind, das im selbstversunkenen Spiel Tröstung und Selbstverständlichkeit sucht. Selbst der eifersüchtige Mann, dessen Neid zum Tod führt: selbst er ist bei Schwab Mensch; und wird doch aus der Warte einer selbstbewussten, um die feministischen Diskurse unserer Zeit wissenden Künstlerin gegen die Wand inszeniert.
An dieser Wand wollen wir bald viele Figuren sehen, um mit Ulrike Schwabs Kunst zu erleben, wie sie sich vielleicht von Zwängen lösen, um Utopien kämpfen, in ein neues Leben eintauchen. (Oder eben kräftig auf die Fresse bekommen!) Denn dieses neue, mögliche, manchmal heiß vermisste Leben der Opernregie, das verkörpert Schwab auf unterhaltsamste, klügste und musikalischste Weise.
Veröffentlichung: 22.12.21